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# taz.de -- Buch über revoltierende DDR-Jugendliche: Einfach leicht
> Eine Gruppe Jugendlicher rebelliert Ende der 80er Jahre gegen das
> DDR-Regime. Peter Wensierskis Buch über diese Zeit wirkt wie ein
> Mutmacher.
Bild: Social-Media-Gerät 1989: Matritzendrucker für Flugblätter
LEIPZIG taz | Leipzig im Januar 1989. Die Stadt ist kein schöner Anblick.
Herumliegende Trümmer abgerissener Häuser versperren die Wege, ganze
Straßenzüge sind unbewohnt. In der Luft hängt der Geruch verheizter
Braunkohle. Es ist bereits dunkel, doch in einem Fenster der Naumannstraße
20a brennt Licht – der Großteil der anderen Wohnungen steht leer. Hinter
dem erleuchteten Fenster hat sich eine kleine Gruppe junger Menschen
versammelt. Micha blickt erwartungsvoll in die Runde: „Wer ist heute Nacht
dabei?“ In der Hand hält er ein Flugblatt. „Es ist Zeit, mutig und offen
unsere Meinung zu sagen“, steht darauf. 10.000 Stück davon wollen sie
verteilen und damit zu einer Demonstration aufrufen.
Das Buch „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ ist voller Szenen
wie dieser. Der Autor, Spiegel-Journalist Peter Wensierski, erzählt die
Geschichte junger Menschen in Leipzig, die Ende der 1980er die Rebellion
gegen das DDR-Regime wagten. Als Leser*in blickt man ihnen über die
Schulter wie sie heimlich in den Kellern Flugblätter drucken, der Stasi
entkommen und am See Partys feiern.
Als Wensierski im Sommer 1989 ein Video in seine Westberliner Redaktion des
Fernsehmagazins „Kontraste“ geschickt bekommt, ist er überrascht. Schon
damals sprachen junge Menschen auf dem Band vom Ende der DDR. Er selbst war
seit 1979 als westdeutscher Korrespondent in der DDR, verfasste Berichte
und Reportagen über die aufkeimende Oppositionsbewegung. 1985 belegte man
ihn mit einem Einreise- und Arbeitsverbot. Die jungen Menschen aus dem
Video hat er deshalb erst Jahre später kennengelernt – für sein Buch.
„Es waren die jungen Leute unter 25, die den Menschen damals das
Demonstrieren beigebracht haben“, sagt Wensierski. Sie waren Lehrlinge,
Pfleger, Maurer, Straßenmusiker oder Studierende. Manchen von ihnen blieb
das Abitur oder das Studium verwehrt. Viele von ihnen wohnten „schwarz“ in
leerstehenden, heruntergekommenen Häusern. Die Protagonisten waren allesamt
unterschiedlich und hatten ihre Schwächen. „Wichtig war aber, dass sie sich
zu Gruppen zusammengeschlossen, in der Gemeinschaft gelebt und gestritten
haben.“ Das sei zu ihrer Stärke geworden, analysiert Wensierski.
Um die 25 solcher „Basisgruppen“ gab es damals in Leipzig. Viele waren
untereinander vernetzt und hatten Verbindungen nach Prag oder Westberlin –
wie zum Journalisten Wensierski. Die unabhängigen Oppositionsgruppen
nutzten dabei oft den Freiraum der Kirche für ihre Aktionen. Das
Erfolgsgeheimnis sieht Wensierski dabei in ihrer Ausrichtung auf das
Handeln: „Sie hatten keine ideologischen Scheuklappen, haben nicht endlos
um die richtige politische Linie gestritten.“ Ein Umstand, der so manche
politische Bewegung heute lähmt.
Und so organisierten sie heimlich Versammlungen auf dem Platz vor der
Nikolaikirche oder Luftballonaktionen vor dem Capitol-Kino. Schließlich
ging es um Dinge, die ihr eigenes Leben bestimmten: das Recht, ihre Arbeit
frei zu wählen, ihre Meinung zu sagen, die Musik zu hören, die ihnen
gefällt. Es ging um ein selbstbestimmtes Leben.
Ihnen immer auf den Versen: die Stasi. Das Risiko, erwischt zu werden, saß
beim Planen der Aktionen stets mit am Tisch. „Aber die jungen Leute hatten
ihre Angst verloren“, erklärt Wensierski. „Selbst die Verhaftungen –
natürlich haben sie Angst gehabt, aber sie haben gemerkt, dass man die
Verhöre überstehen kann.“ Es hatte sich etwas in Bewegung gesetzt, die
Friedensgebete in der Nikolaikirche zogen immer mehr Menschen an. Jetzt gab
es kein Zurück mehr. Sie wollten raus aus der Kirche, raus auf die Straße.
„Jeder befeuerte jeden ständig mit neuen Ideen“, beschreibt ein Protagonist
im Buch die damalige Zeit.
## Vorbild für die heutige Jugend
Wensierski hat sein Buch vor allem für junge Menschen geschrieben.
Besonders gespannt ist er deshalb auf das Urteil seiner eigenen Tochter,
die selbst in ihren Zwanzigern ist. Zu lesen, wie die Jugendlichen damals
unter schwierigen Bedingungen Flugblätter druckten – schließlich war Papier
Mangelware, Druckerfarbe musste mit Ruß und Öl gestreckt werden und woher
so viele Matrizen nehmen? – ist inspirierend. „Gerade heute, wo manchen
Leuten Pressefreiheit egal ist, wo demokratische Freiheiten gefährdet sind.
Da ist dies eine der wichtigsten Geschichten, die man aus der DDR erzählen
kann“, findet Wensierski.
Viel wurde geschrieben über die sogenannte friedliche Revolution in
Leipzig, über schillernde Persönlichkeiten wie Kurt Masur oder Michail
Gorbatschow. Doch es waren junge Leute, die den Umsturz vorbereiteten. Wenn
man eine Lehre aus diesem Buch ziehen kann, die heute noch aktuell ist,
dann diese: Veränderungen müssen nicht von Institutionen ausgehen, man
kann die Dinge selbst in die Hand nehmen. Dann ist es sogar möglich, ein
Gebilde wie die DDR, bis auf die Zähne bewaffnet und 40 Jahre lang auf sich
selbst beharrend, zu Fall zu bringen. Ist der Stein erst mal ins Rollen
gebracht, fällt er manchmal ganz leicht.
Nach der Flugblattaktion in jener Nacht im Januar 1989 wurden viele der
Aufständischen verhaftet. Die Demonstration einige Tage später fand
trotzdem statt. Die Revolution war in vollem Gange.
28 Mar 2017
## AUTOREN
Jana Lapper
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