# taz.de -- Nach der Holm-Affäre: Stasi und (k)ein Ende | |
> Weiterhin fragen viele Behörden eine frühere Stasi-Mitarbeit ab. Damit | |
> soll Schluss sein, fordert Ilko-Sascha Kowalczuk von der | |
> Stasi-Unterlagen-Behörde. | |
Bild: Stasi-Mitarbeit wird noch immer von vielen Behörden abgefragt | |
Zwei Monate ist es her, dass Staatssekretär Andrej Holm wegen des Umgangs | |
mit seiner Stasi-Vergangenheit zurücktreten musste. Nun fordert ein | |
Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde ein Ende solcher Sanktionen. „Ich | |
bin der Meinung, dass es mit den Stasi-Überprüfungen vorbei sein muss“, | |
sagt Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk der taz. Die meisten Leute, die neu | |
in Jobs kämen, seien sowieso zu jung für eine mögliche Mitarbeit beim | |
DDR-Geheimdienst. Strafrechtlich relevanten Dingen sollte natürlich | |
weiterhin nachgegangen werden. | |
Auf Vorschlag der Linkspartei hatte der Senat den Mietenaktivisten Andrej | |
Holm im Dezember zum Staatssekretär für Wohnen ernannt. Noch als | |
Jugendlicher hatte sich Holm bei der Stasi verpflichtet, vom September 1989 | |
bis Januar 1990 war er Stasi-Offiziersschüler. Holms Akte konnte man im | |
Dezember zum großen Teil im Internet nachlesen, Belastendes fand sich darin | |
nicht. Als jedoch bekannt wurde, dass er bei seiner Einstellung an der | |
Humboldt-Uni 2005 in einem Fragebogen falsche Angaben zu seiner | |
Stasi-Tätigkeit gemacht hatte, wurde es eng für den Staatssekretär, im | |
Januar musste er zurücktreten. | |
Kowalczuk sieht das kritisch. 1991, als das Stasi-Unterlagengesetz vom | |
Bundestag verabschiedet wurde, habe man eine Überprüfungspraxis von 10 | |
Jahren angestrebt, sagt er. „28 Jahre nach der Wende ist es an der Zeit, | |
die DDR zu historisieren.“ Einen Schlussstrich wolle er deshalb nicht, aber | |
er fordere einen anderen Umgang mit der Vergangenheit. | |
In der Gesellschaft seien, was die Geschichte der SED-Diktatur betreffe, | |
vor allem Vorurteile und einfache Bilder hängen geblieben, so Kowalczuks | |
Beobachtung. „Du kannst heute wie 1992 rufen: Da vorne läuft das | |
Stasi-Schwein! Und die Meute wirft sich darauf.“ Seiner Meinung nach sollte | |
es weniger um individuelle Verstrickungen gehen, sondern das historische | |
System der SED-Diktatur als Ganzes in den Blick genommen werden. Kowalczuk | |
sagt: „Für den Einzelnen sollte es nicht mehr so große Einschnitte geben | |
wie in den letzten 25 Jahren.“ | |
Es existiert heute kein Gesetz, das die Beschäftigung eines ehemaligen | |
Stasi-Mitarbeiters im öffentlichen Dienst generell verbietet. Auch | |
Überprüfungen sind nirgendwo vorgeschrieben, sie hängen vom politischen | |
Willen der jeweiligen Gremien und Institutionen ab. Der rot-rot-grüne Senat | |
hat sich beispielsweise zur Überprüfung entschieden: Keiner der | |
SenatorInnen war offenbar für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit | |
tätig, so das Ergebnis, das vergangene Woche veröffentlicht wurde. Das | |
Abgeordnetenhaus hat im Januar erneut die Einrichtung eines Ehrenrates | |
beschlossen, der die Abgeordneten überprüfen soll. Das geschieht allerdings | |
auf freiwilliger Basis, die Parlamentarier müssen dem zustimmen. | |
Wie eine Recherche der taz zeigt, fragen auch viele andere Berliner | |
Institutionen eine mögliche Stasi-Vergangenheit nach wie vor ab. Wer heute | |
von der Humboldt-Uni eingestellt wird, muss eine einfache Erklärung | |
abgeben, ob er für die DDR-Sicherheitsbehörden tätig war oder nicht. An der | |
Freien Universität bekommen neue Mitarbeiter zudem einen „Zusatzbogen zum | |
Personalfragebogen“ vorgelegt – wie ihn Andrej Holm 2005 ausfüllen musste. | |
Der Zusatzbogen ist laut Innenverwaltung auch bei Polizei und | |
Verfassungsschutz noch in Gebrauch. Für bestimmte Mitarbeiter, die eine | |
„sicherheitsempfindliche Tätigkeit“ ausüben – etwa beim Verfassungsschu… | |
–, findet eine Überprüfung gesondert statt. Nach Angaben der | |
Bildungsverwaltung müssen neu eingestellte Lehrkräfte an Schulen ebenfalls | |
einen Fragebogen beantworten. | |
Anders ist es bei der Justizverwaltung: Bei der Neueinstellung etwa von | |
RichterInnen werde eine Stasi-Tätigkeit nicht ausdrücklich abgefragt, sagt | |
eine Sprecherin. Allerdings seien die BewerberInnen im Schnitt zwischen 30 | |
und 35 Jahre alt und kämen deshalb für eine Stasi-Mitarbeit gar nicht in | |
Frage. | |
Tatsächlich wird mit jedem Jahr, das seit der Wende vergeht, der potenziell | |
betroffene Personenkreis kleiner. Auch die anderen Verwaltungen setzen die | |
Fragebögen nur bei Menschen ein, die zum Zeitpunkt der Wende volljährig | |
waren – sie müssen heute also Mitte 40 oder älter sein. Die Zahl der | |
Überprüfungen im öffentlichen Dienst ging in den letzten zehn Jahren massiv | |
zurück (siehe Kasten). 2019 ist damit wohl ganz Schluss: Laut | |
Stasi-Unterlage-Gesetz endet dann die Frist, bis zu der Überprüfungen im | |
öffentlichen Dienst möglich sind. | |
Vielleicht bietet das auch eine Chance? Der Historiker Kowalczuk wünscht | |
sich anstelle der Sanktionierung Einzelner eine differenzierte | |
Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte. „Es muss möglich sein, in | |
unserer Gesellschaft angstfrei über die Vergangenheit zu reden“, sagt er. | |
Für Andrej Holm habe das in der Debatte Anfang des Jahres nicht gegolten. | |
17 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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