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# taz.de -- Günter Schabowski über den Mauerfall: „Das hat der Krenz verboc…
> Mit der Maueröffnung sollte eigentlich die DDR gerettet werden, sagt
> Günter Schabowski in einem Interview von 2009. Ein Zufall sei der
> Mauerfall nicht gewesen.
Bild: ... und dann war die Mauer offen (Archivbild 10. November 1989).
taz: Herr Schabowski, Sie haben in der DDR eine geradezu klassische
Funktionärskarriere gemacht. Sind Ihnen während dieser ganzen Zeit auch mal
Zweifel gekommen, oder war das alles erst fünf vor zwölf, um nicht zu sagen
fünf nach zwölf?
Günter Schabowski: Also, nee, mir sind da keine Zweifel gekommen, muss ich
Ihnen ehrlich gestehen, also selbst am 9. November bestanden am System
selber keine Zweifel. Kommunisten, überzeugte Kommunisten, sind Gläubige.
Das, was bei uns schief lief, wurde immer dem Klassengegner zugeschrieben.
Welchen Anlass gab es dann, dass sie meinten in die Routine eingreifen zu
müssen?
Das kam eigentlich erst 85, mit Gorbatschow. Man sah, dass man das etwas
lockerer machen und auf die Menschen zugehen. Dann kamen ja auch direkte
Bemühungen von Honecker hinzu, sich abzuriegeln gegen solche Einflüsse. Und
dann ist es natürlich der zunehmende Druck der Menschen, vor allen Dingen
die Massenflucht gewesen, täglich 300, 400, 500 Menschen, die die DDR
verlassen, selbst auf dieses Risiko an der Grenze unter Umständen gekillt
zu werden. Und dann auch der zunehmende Druck durch die Opposition, der
dann in den Montagsdemos mündete.
Was hat Sie da eigentlich mehr beeindruckt, die Massenflucht oder ...?
Ich hatte das Gefühl, dass letztlich diese Demos, usw. mehr
Randerscheinungen sind, die man ja doch letztlich im Griff hätte, wenn sie
sich entladen könnten. Die Fluchtbewegung hat mich mehr beeindruckt. Das
war es, was uns antrieb. Wir waren drei Figuren im Politbüro. Wir sagten
uns, diese Fluchtbewegung führt ja dazu, dass das Renommee des Systems in
den Keller rutscht. Wir müssen eine Grenzlockerung herbeiführen. Und das
wurde mal Honecker gegenüber unter vier Augen also mal so angedeutet. Aber
es gab ja keine Diskussionen im Politbüro. Nein, es wurde totgeschwiegen.
Und das führte dann zu der Überlegung, wenn wir die DDR retten wollen, dann
müssen wir die Fluchtbewegung sozusagen abebben lassen. Das war das Motiv
der Absetzung Honeckers.
Es ist ja immer schwer, sich selber zu taxieren. Würden Sie sagen, das war
ein mutiger Schritt?
Ich bin der letzte, der sich besonders schmückt mit solchen Attributen. Es
war sozusagen bestimmt davon, das System zu retten. Natürlich, ein
Weichling kann das überhaupt nicht machen.
Haben Sie auch mal überlegt, das könnte schief gehen?
Ja natürlich, deswegen musste das verstohlen vor sich gehen. Also, man wäre
nur verhaftet worden, rausgeschmissen worden, aber nicht wie zu Zeiten
Stalins erschossen worden, das ist ja keine Frage.
Hatten Sie eigentlich irgend eine Art von Plan, ein Reformkonzept, als Sie
daran gegangen sind, Honecker abzulösen?
Aber entschuldigen Sie, wenn sich drei Leute zunächst mal mit dieser
Verschwörung befassen, haben sie keine Gelegenheit, also da einen Think
Tank oder dergleichen zu veranstalten. Immer laufen sie ja Gefahr, dass
irgendjemand dabei ist, der das vorzeitig verraten könnte und dann ist
Sense. Das erste und einzige Ziel war, Honni muss weg, und dann können wir
die nächsten Schritte planen, die Reisegeschichte, eine Grenzöffnung
letztlich, wie das dann immer interpretiert wurde, herbeiführen. Und dann
hätten wir jede Menge Zeit, um zu überlegen, was wir tun wollen.
Manche meinen ja heute, die Maueröffnung sei der letzte Notbremsenversuch
von Krenz gewesen, sich doch noch irgendwie zu retten.
Nicht von Krenz . Es war eine Verschwörertruppe, man einigte sich auf
Krenz, dass der der Nachfolger werden sollte, weil die ganzen alten Säcke
im Politbüro natürlich ihm vertrauten, er war ja jahrelang im Politbüro und
er schien ihnen zu garantieren, dass ihre Pfründe erhalten bleibt. Deswegen
haben wir uns darauf geeinigt. Es war das Bestreben nicht nur von Krenz,
sondern derjenigen, die Honecker stürzen wollten, mit der Grenzöffnung dem
System Luft zu verschafften, verloren gegangenes Vertrauen unter der
Bevölkerung wiederzugewinnen. Wir erwarteten, dass die Fluchtbewegung dann
abflauen würde.
Wenn die Liberalisierung des Reisens Ihr wichtigster Programmpunkt war,
warum hat das dann solange gedauert und ist dann so hemdsärmelig
organisiert worden? Man hätte sich vorstellen können, eine Ansprache von
Egon Krenz, der über das Fernsehen sagt, liebes Volk, jetzt machen wir euch
das große Geschenk, die Reisefreiheit.
Es ist ja gar nicht so gewesen, dass das sozusagen alles plumps passiert
ist. Die Partei brauchte längere Zeit, auch die Genossen in der Regierung,
die ja den Auftrag bekommen hatten, das auszuarbeiten. Da saßen natürlich
also stramme Genossen drin, die sich sagte, sind die verrückt geworden, die
wollen die Grenze öffnen, wir müssen Sicherheiten einbauen und haben ein
paar entsprechende Formulierungen eingebaut. Und daraufhin waren am Montag
der Woche vom 9. November die Montagsdemonstrationen beherrscht vom Protest
gegen dieses Gesetz. Als wir Fernsehen guckten, waren wir entsetzt. Jetzt
haben wir dieses wunderbare Gesetz veranlasst, und der Protest der Leute
nimmt zu, statt uns zu entlasten. Und so kommen Krenz und ich am Abend
dieses Montags telefonisch überein, dass jetzt sofort die Regierung, die
diesen Mist gebaut hat, sofort eine kurze Sache, nicht mehr zwei ND Seiten
lang, sondern eine Schreibmaschinenseite vorlegt, wo dann klipp und klar
gesagt wird, Ein- und Ausreise, wohin man will, usw.. Und als es dann
fertig war, teilt Krenz es kurz dem Zentralkomitee der SED mit, das
zufällig an dem Tage tagte. Ohne große Begründung. Sie sind überrascht
worden. Möglicherweise hätte sich das Zentralkomitee, wenn darüber
diskutiert worden wäre, am Ende dagegen gewandt.
Egon Krenz hat ja anlässlich einer Buchvorstellung in diesem Jahr den
Eindruck erweckt, Sie hätten diese Situation etwas verbockt durch Ihr
Verhalten auf der Pressekonferenz.
Ich muss doch nicht unentwegt zu diesem Mist von Krenz Stellung nehmen.
Tatsache ist, Krenz gab mir dieses Papier rüber und sagte, das ist das, was
wir telefonisch am Montag dieser Woche veranlasst haben. Und ich guckte mir
das an und sah „Reisen“ und „ständige Ausreisen“ und sagte, nach meiner
Meinung ist das jetzt in Ordnung. Und da sagt er zu mir, Mensch, nimm’s
doch mit in die Pressekonferenz. Und wir kamen überein, jetzt den Druck zu
entlasten, war das Entscheidende. Und dann bin ich in die Sitzung gegangen
mit der Vorstellung, es am Ende der Pressekonferenz mitzuteilen, um einem
langen Frage–Antwort–Spiel aus dem Wege zu gehen. Ich hatte ja nun
mittlerweile hin und wieder Pressekonferenzen im Westfernsehen miterlebt
und beherrschte allmählich schon etwas von der Technik.
Also das war ihre Strategie für die Pressekonferenz?
Ich sagen Ihnen, die Pressekonferenz war natürlich eine enorme Belastung.
Wir haben ja nie Pressekonferenzen gemacht. Und ich hätte beinahe diese
Mitteilung, das Papier hatte ich vor mir auf dem Tisch liegen, beinahe aus
dem Blick verloren. Und dann stellte der Italiener, der Mann von der
Agentur Ansa, die Frage. Und ich dachte, Gott sei Dank. Ich greife mir den
Zettel und rasselte das runter, den ganzen Text. Später kamen dann die
Fragen, ab wann gilt das? Und ich greife noch mal zu dem Papier, und sage
dann, ab sofort und unverzüglich.
Krenz behauptet ja jetzt, das war gar nicht so gemeint gewesen, sondern die
DDR-Bürger sollten sich die Reisedokumente brav einen Tag später bei den
Volkspolizeidienststellen abholen, um noch die staatliche Autorität zu
begründen.
Das ist möglich. Mich interessierte das auch nicht. Für mich war klar, wo
er mir sagt, Mensch, teil das mit, dass die Truppen alle Gewehr bei Fuß
stehen. Als ich es mitteilte, wusste aber keiner der Grenzposten davon.
Wenn jemand es war, dann hat es Krenz verbockt, weil er mir von diesen
Dingen keine Mitteilung machte. Entscheidend ist aber doch, dass die Leute
durchgesetzt hatten, was sie wollten, nämlich eine Grenzöffnung.
Egon Krenz hat mit einem Seitenhieb auf Sie gesagt: „Der Schabowski ist
dann einfach nach Hause in sein Wandlitz gefahren, und ich musste im ZK
sitzen und Verantwortung tragen und entscheiden, ob das nun ein Angriff vom
Westen auf die Grenze gewesen ist.“ Was will er uns eigentlich damit sagen?
Das zeigt nur, wie verbohrt und stur er den alten Vorstellungen anhängt.
Meine Vorstellung war damals die, dass dieser Beschluss zu einer absoluten
Öffnung der Grenze führt – in dem Bestreben, nicht die DDR aufzugeben,
sondern dass diese radikale Entscheidung wieder Resonanz unter der
Bevölkerung gewinnt.
Ungefähr drei Wochen nach der Pressekonferenz und der Maueröffnung mussten
Sie zurücktreten. Was haben Sie falsch gemacht?
Na gut, also, wir haben alles falsch gemacht, wenn Sie so wollen.
Geht es ein bisschen konkreter?
Das System war am Ende, und die Versuche, durch die Grenzöffnung, dieses
sich von Tag zu Tag zuspitzende Ende des Systems aufzuhalten, waren
Illusionen. Deswegen haben wir ja später unseren Rücktritt angeboten, weil
wir immer noch in dem Glauben waren, die Rolle der Partei muss unbeschädigt
bleiben, jetzt sollte für die nächste Garnitur, die nächste Generation der
Weg freigemacht werden. Das sehen Sie, wie weit die Verblendung geht.
Egon Krenz hat über den Mauerschützenprozess gesagt, dass er zwar bedauert,
dass Menschen ums Leben gekommen sind, aber nach wie vor jegliche
Verantwortung dafür zurückweist.
Muss ich mich damit auseinandersetzen? Ein System, das die Menschen daran
hindert, freizügig dieses Land verlassen zu können, mit dem sie nicht mehr
einverstanden sind, das hat alles verscherzt, was an
Legitimationsansprüchen überhaupt gemacht werden konnte. Und das dazu noch
Menschen, die nicht kriminell waren, die nur die DDR verlassen wollten, aus
welchen Gründen auch immer, mit dem Risiko des Totschießens belegt werden!
Dafür ist er in den Knast gegangen, und musste ich ja schließlich auch in
den Knast gehen, obwohl ich an den Entscheidungen darüber, ich kam spät ins
Politbüro, nicht beteiligt war. Wenn Sie den Leuten gegenübersitzen, den
Eltern, deren Junge erschossen worden ist, da sagen Sie sich, Herr Gott
noch mal. Da ist mir erst da bewusst geworden, wenn ich in einem System an
dieser Stelle sitze, das für alles zuständig ist und da passieren diese
Dinge, dann sind Sie mitverantwortlich dafür und dann müssen Sie sozusagen
das annehmen.
Es gibt ja Leute, die grämen sich bis heute, dass sie quasi die DDR kaputt
reformiert habe.
Zu dieser Formulierung kann ich Ihnen nur gratulieren. Je schneller das
System zu seinem Ende bugsiert wurde, desto besser für die Menschen. Am
Anfang glaubten wir noch, wir könnten es aufrecht erhalten, aber das System
ist an sich selber kaputt gegangen. Also was soll dieses Gerede, und die
Leute, die heute noch so denken, die sollten mal sich einen Stupser ans
Gehirn geben und vernünftig und realistisch die Verhältnisse analysieren,
die charakteristisch sind für den Fehlschlag dieses Systems.
9 Nov 2015
## AUTOREN
Christian Booß
Arne Jeschal
## TAGS
Mauerfall
DDR
Günter Schabowski
Der 9. November
Schwerpunkt taz Leipzig
1989
Revolution
Günter Schabowski
Günter Schabowski
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