# taz.de -- Doku „Alles gut“ über Flüchtlinge: Wenn Kinder plötzlich weg… | |
> Pia Lenz hat zwei geflüchtete Familien begleitet, die in Hamburg leben. | |
> Sie werden von einer Elterninitiative unterstützt. Die Angst vor | |
> Abschiebung ist stets präsent. | |
Bild: Langeweile im Waschsalon: Auch das gehört zum Alltag von Geflüchteten | |
HAMBURG taz | „Wenn er nicht nett wär', muss man ihn gut behandeln, dann | |
wird er auch nett.“ Diesen Satz sagt Ida, acht Jahre alt, Schülerin der | |
Klasse 2b in der Loki-Schmidt-Schule in Hamburg-Bahrenfeld. Djaner, der | |
Junge, über den sie redet, ist Rom und stammt aus Mazedonien: Er ist einer | |
der Protagonisten in Pia Lenz’Dokumentarfilm „Alles gut“ – und, so viel | |
darf man vorwegnehmen, seine Mitschüler behandeln ihn tatsächlich gut, | |
obwohl er die Geduld aller Beteiligten immer wieder auf eine harte Probe | |
stellt. | |
Als Djaner 2015 nach Hamburg kommt, wird er in der Flüchtlingsunterkunft | |
Holmbrook auf dem A7-Deckel untergebracht. Die Loki-Schmidt-Schule liegt in | |
unmittelbarer Nähe. Die Familie Djaners und eine aus Syrien, die während | |
der Drehzeit ebenfalls in der Einrichtung in Holmbrook lebt, stehen im | |
Mittelpunkt des Films. | |
Dass Lenz in der Schule drehen konnte, ist auch der Initiative „Eltern 4 | |
Holmbrook“ zu verdanken. Die Gruppe formierte sich 2015, um andere, | |
teilweise „konservativ denkende“ Eltern an der Schule frühzeitig für die | |
Neuankömmlinge zu „sensibilisieren“, wie es Kea Grönniger, eine der | |
GründerInnen, formuliert. Sie arbeitet als Sozialpädagogin. Auch eine | |
Kinder- und Jugendpsychiaterin und eine Kulturwissenschaftlerin sind bei | |
„Eltern 4 Holmbrook“ dabei. Grönnigers Sohn geht in Djaners Klasse. | |
„Alles gut“ – der Filmtitel greift die Redensart auf, die oft das Gegente… | |
des Gesagten bedeutet – stößt in eine Lücke des gesellschaftlichen | |
Diskurses. Das Schlagwort Integration taucht immer noch auf, spielt aber | |
eine immer geringere Rolle. Was es im Alltag bedeutet, ist einem Großteil | |
der Bevölkerung kaum bewusst. „Die Debatte um Geflüchtete verliert sich in | |
anderen Fragen. Für jene, die sich seit 2015 engagieren, sei es als Lehrer | |
oder privat, ist das demotivierend“, sagt Pia Lenz. | |
## Angst vor der Polizei | |
Der Regisseurin gelingen intime Nahaufnahmen aus dem Alltag der | |
Geflüchteten – etwa von der Angst Djaners vor der Hamburger Polizei, die | |
nachts die Unterkünfte abklappert. „Kinder wie Djaner haben schon oft | |
mitbekommen, dass andere Mädchen und Jungs plötzlich verschwinden. Wie soll | |
man ihnen das erklären?“ sagt Kea Grönniger. Djaner und sein Bruder | |
entgehen eines Nachts nur knapp einer Abschiebung. Eine Zeit lang kommt | |
Djaner nicht den Unterricht, weil die Mutter Angst hat, die Polizei könne | |
die Kinder aus der Schule abholen. | |
In der Zeit der akuten Bedrohung entstehen besonders eindringliche Bilder: | |
Als Djaner an einem sicheren Ort am anderen Ende Hamburgs untergebracht | |
ist, entschließen sich „Eltern 4 Holmbrook“, einen Fahrdienst zu | |
organisieren. Im Morgengrauen durchqueren die engagierten Eltern die Stadt, | |
damit Djaner jeden Tag in die Schule kommen kann. Die Klassenlehrerin | |
Christiane Jessel, die in dem Film wie jemand wirkt, der sich nicht gern in | |
den Vordergrund drängt, spricht in der Zeit mit ihren Schülern über das | |
Thema Abschiebung. Einige Eltern hätten sich hinterher bei der Lehrerin | |
darüber beschwert, sagt Grönniger. | |
Die zweite Schulklasse, deren Alltag das Publikum in „Alles gut“ kennen | |
lernt, ist eine der Internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) der | |
Stadtteilschule am Hafen. In diese Klassen kommen Kinder, die noch kein | |
Wort Deutsch sprechen. Viele sind Flüchtlinge, einige sind aus anderen | |
Gründen in Hamburg. Nach einem Jahr müssen sie in eine Regelklasse wechseln | |
– manchmal mitten im Schuljahr. Für Ghofran, die Tochter der syrischen | |
Familie, die Lenz porträtiert, beginnt hier ihre deutsche Schullaufbahn. | |
## Die Lehrerin erklärt mit Händen und Füßen | |
„Zu Beginn des Schuljahres habe ich quasi Theater gespielt, den Schülern | |
Begriffe mit Händen und Füßen erklärt“, sagt Liese Gasau, Ghofrans | |
Lehrerin. Dass der Schulalltag in „Alles gut“ eine so starke Rolle spielt, | |
liegt aus mehreren Gründen nahe. Gasau betont: „Die Schule gibt den Kindern | |
eine Struktur, die sie Wochen, vielleicht sogar Monate lang nicht hatten. | |
Die Schule ist der Haltepunkt, darauf können sie sich verlassen. Es gibt | |
Stundenpläne, es kommt eine Regelmäßigkeit in den Alltag.“ | |
Die Stimmungen, die „Alles gut“ anreißt, spiegeln sich wider im Soundtrack | |
der Musik von The Notwist. Die Musik der Band pluckert mal freundlich vor | |
sich hin, mutet mal melancholisch an, weist stellenweise aber auch | |
Widerhaken auf. | |
Lenz’ Dokumentarfilm kann naturgemäß nur eine Etappe des | |
Integrationsprozesses zeigen. Der Film hat mehrere offene Enden. Was tun, | |
wenn die ersten Schritte einigermaßen bewältigt sind? Gasau, die Ghofran | |
und einige andere Schüler aus ihrer IVK nun in einer fünften Regelklasse | |
unterrichtet, sagt, dass die Außenwelt von den Schwierigkeiten, die sich | |
danach auftun, nichts mitbekomme. | |
„Ein großes Problem ist die Situation in den Regelklassen“, sagt sie. Wenn | |
unter 23 Schülern „fünf Inklusionskinder mit unterschiedlichen | |
Lernbehinderungen“ seien und einige weitere, die erst 2015 begonnen haben, | |
Deutsch zu lernen, könne man nicht den Bedürfnissen aller Kinder gerecht | |
werden. Die Arbeiten, die sie in der Klasse schreiben lasse, seien drei- | |
bis vierfach differenziert, sagt sie. | |
Die Initiative „Eltern 4 Holmbrook“ befasst sich mit anderen Fragen. Sie | |
bereitet gerade einen Projekttag vor, in dessen Mittelpunkt der Umgang mit | |
dem Thema Abschiebung steht. „Wenn ein Kind verschwindet, ist das für die | |
gesamte Klasse traumatisierend“, sagt Kea Grönniger, es sei unvermeidlich, | |
dass die Schüler mit diesem Thema konfrontiert werden. An der | |
Loki-Schmidt-Schule seien mehrere Kinder von der Abschiebung bedroht. | |
Das gilt weiterhin für Djaner, der derzeit in einer kirchlichen Einrichtung | |
im Bezirk Altona lebt. Der Asylantrag seiner Familie wurde abgelehnt. Er | |
kann aber vorerst bleiben, weil seine Mutter wegen einer psychischen | |
Krankheit nicht abschiebefähig ist. Das Engagement für ihn dürfe dennoch | |
nicht abreißen, sagt Grönniger: „Man muss auch den Kindern etwas mitgeben, | |
die aus so genannten sicheren Herkunftsstaaten kommen und wissen, dass sie | |
nicht bleiben können.“ | |
23 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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