# taz.de -- Oscar-Gewinner „Moonlight“: Queer ist nicht schwul | |
> Der Held des Oscar-Films „Moonlight“ wird in den Medien als „queer“ | |
> bezeichnet – das ist falsch. Es ist ein schwuler Film. | |
Bild: Szenenbild aus „Moonlight“ | |
Mit diesen Worten fängt die Presseschau vom Perlentaucher am Montag an: „In | |
Los Angeles wurden vergangene Nacht die Oscars verliehen. Barry Jenkins' | |
‚Moonlight‘ über einen queeren, schwarzen Jungen …“ So nett und sympat… | |
die Kolleg*innen dieser Onlineplattform für die Dinge der politischen und | |
künstlerischen Diskurse auch sind: Das ist einfach ein falscher Satz. | |
Ungefähr so misslich wie der Satz „Das Steinhuder Meer ist ein Meer.“ | |
Denn: Der Held des Films ist nicht queer, sondern schwul. Ein junges, | |
später jugendliches, später erwachsenes Wesen afroaamerikanischer Prägung. | |
Ein Film, der anrührt und in politischer, auch sexualpolitischer Hinsicht | |
zeigt, unter welchen Bedingungen das eigene gleichgeschlechtliche Begehren | |
gerade in dunkelhäutigen, nichtweißen Kontexten gelebt werden kann – oder | |
auch nicht. | |
Eine Coming-of-Age-Geschichte, die zur Identifikation einlädt, wenn es | |
nicht ein schwuler Held wäre: Schon die letzte große schwule Geschichte aus | |
Hollywood, Ang Lees „Brokeback Mountain“, war für den Kinomarkt entschwult | |
worden: Da war viel von der Freundschaft zweier Cowboys die Rede, eher | |
verschämt aber nur davon, dass da zwei junge Männer sich in einander | |
verlieben, und zwar nicht platonisch, sondern, nun ja, auch sexuell | |
einander begehrend. | |
Was jedoch kann gegen ein Wort wie „queer“ eingewandt werden? Es atmet | |
nicht mehr das wirkliche Leben von Schweiß, schwul stinkt, queer riecht | |
korrekt. So eine Art Calvin-Klein-Vokabel: alles unisex. Aber das ist bei | |
„Moonlight“ grober Unfug. Das, was den Helden Schutz suchen, später sich | |
muskulär panzern lässt – ehe er wieder seine melancholischen Gefühle | |
entdeckt und, ein Happyend?, in ein besseres Leben geht. Queer ist eine | |
Wahl, aber wer gleichgeschlechtlich begehrt, hat diese nicht, er ist, wie | |
Heterosexuelle auch, durch ein psychisches „Triebschicksal“ (Freud) | |
codiert. | |
## Stubenreines Begehren | |
Das sind alles Binsen: Dass eben Homosexualität ebensowenig als Begehren | |
änderbar ist wie Heterosexualität (sofern eine*r nicht nur diese Neigungen | |
spielt). | |
Insofern: Weshalb beschleicht einen inzwischen das Gefühl, dass „schwul“ | |
als Vokabel für gleichgeschlechtliches Begehren unaussprechbar (bleiben) | |
soll – und stattdessen „queer“ gewählt wird. Denn es klingt stubenreiner | |
und politisch korrekter? Das Wort trägt den Geschmack vom Modischen, denn, | |
so lehren es doch die Denker*innen der Queer Theory, kann nicht jede*r | |
queer sein, auch heterosexuell orientierte Menschen? Diese Queerisierung | |
ist insofern auch eine Zuweisung: Schwulsein reicht nicht, queer muss es | |
sein, flamboyant und grell und besonders. | |
Kommt es aber nicht gerade darauf an, dem Schwulen das Dramatische zu | |
nehmen – als sei es eben ein gleichgeschlechtliches Begehren, nichts | |
weiter? Queer verweist hingegen auf politisch-ideologische Aufföhnung, die | |
sich der oder die Beföhnte nicht ausgesucht hat. Ärgerlich, das! | |
„Moonlight“ ist ein zurecht preisgekrönter Film – und es handelt sich um | |
die Geschichte eines schwulen afroamerikanischen Helden. Ihn „queer“ zu | |
nennen ist der Versuch, dem Homosexuellen das Fleischliche zu nehmen – eine | |
Identitätskategorie, die einem afroamerikanischen Bürger übergestülpt wird: | |
Das darf man instrumentalisierend im Namen der Sache des Queeren nennen. | |
28 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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