# taz.de -- Anna Depenbusch singt selbstbestimmt: Souverän im Gefühle-Wechsel… | |
> Die Hamburger Chansonnière Anna Depenbusch besingt auf ihrem neuen Album | |
> „Das Alphabet der Anna Depenbusch“ kapriziöse, aber selbstbestimmte | |
> Frauen | |
Bild: Absolut stilsicher: Anna Depenbusch schwatzt nicht nur der deutschen Spra… | |
Sie singt: „Immer wenn mein Herz sich überschlägt, macht es Sinn“ – und… | |
nimmt es ihr ab und findet es überhaupt nicht kitschig. Alltagssituationen, | |
Gefühlszustände oder das Lebensgefühl, Teil eines Agentenfilms zu sein: | |
Lauter kleine Chanson-Kurzgeschichten finden sich auf Anna Depenbuschs | |
neuem Album „Das Alphabet der Anna Depenbusch“. | |
Meist spielen Frauen die Hauptrolle. Die sind kapriziös, aber immer | |
selbstbestimmt, hochgradig romantisch, aber nicht so unangenehm männerhörig | |
wie die vielen anderen jungen Frauen, die über die Liebe singen. Oft ist in | |
den Songs der Hamburgerin nicht mal klar, ob sie gerade die Liebe oder die | |
Freundschaft besingt. Wenn sie im Titelsong „Alphabet“ eine Romanze mit | |
einem schon Vergebenen besingt, spielen Eifersucht und Gefühlsbäder eine | |
große Rolle. Aber zugrunde geht die Verschmähte daran nicht: “J wie jaja, | |
ich hab schon verstanden / es ist K kompliziert, wegen ’ner Andren“. | |
Bei aller Leichtfüßigkeit geht es um die ganz großen Gefühle: um die Liebe, | |
die Sehnsucht, um die Freiheit, oft auch darum, aus tiefen Löchern wieder | |
herauszukriechen und furchtlos weiter durchs Leben zu tanzen. „Ich habe | |
keine Angst vor Kitsch“, sagt Depenbusch. „Ich merke aber auch, dass die | |
Stimme viel ausbalancieren kann.“ Auch textlich wechselt sie souverän | |
zwischen Ernsthaftigkeit, Verletzlichkeit und einer guten Portion Humor und | |
Selbstironie. Dann klingt sie manchmal fast rotzig – was man im Chanson | |
auch erst einmal schaffen muss. | |
„Ich bin ein großer Freund von Brüchen, und auch vom Wechsel zwischen | |
kleinen Alltagsdingen und dem ganz Großen“, sagt sie. Dabei bekennt sich | |
Depenbusch – und wer tut das noch in diesen Zeiten! – zum Optimismus: „Ich | |
habe einfach eine Grundzuversicht. Wie Oma sagt: Es gibt nichts, das so | |
schlecht ist, dass nicht auch was Gutes drin ist.“ Sie habe immer das | |
Gefühl, dass sie aus schlechten Phasen gestärkt herausgehe. „Ich merke | |
auch, dass ich solche Menschen spannender finde“, sagt sie: „Menschen, die | |
wieder aufstehen.“ | |
Wieder aufgestanden ist auch Depenbusch, nachdem die Entstehung des Albums | |
erst mal holprig war: Vor zwei Jahren gingen die Betreiber des Hamburger | |
Labels 105music, bei dem sie seit ihrem zweiten Album „Die Mathematik der | |
Anna Depenbusch“ 2011 unter Vertrag stand, in Rente. Das ehemalige Label | |
von Ina Müller, Stefan Gwildis oder Annett Louisan wurde von Sony | |
aufgekauft, beim Major wurde es dann schwierig mit der künstlerischen | |
Freiheit: Schnell wurde ein Produzententeam zusammengestellt und ein | |
Songschreiber eingesetzt. Depenbusch fühlte sich überrumpelt. | |
Denn die 39-Jährige war gewohnt, alle Prozesse mitzubestimmen. Sie | |
komponiert, produziert, entwickelt die Ideen für die Musikvideos, das | |
Plattenlayout und die Konzerte. Plötzlich schrieb jemand anders ihre Songs. | |
Die so entstandene Platte wurde nie veröffentlicht, mittlerweile sieht sie | |
diese Episode mit dem ihr typischem Optimismus. „Ich konnte mir ein neues | |
Team suchen. Jetzt fühlt es sich total richtig an, mit allen Umwegen und | |
Sackgassen.“ Depenbusch wechselte zu Columbia und hat die Prozesse jetzt | |
wieder selbst in der Hand. | |
Vielleicht ist es der Song „Stadt Land Fluss“, mit dem sie sich auf dem | |
neuen Album am meisten identifiziert. Er ist eine Hymne an die | |
Rastlosigkeit: „Fester Boden tut mir nicht gut / ich leb' mein Leben wie | |
ein Zug“. „Ich bin nicht der Typ, der sich settled“, sagt Depenbusch. „… | |
suche kein Nest und bin am liebsten unterwegs.“ | |
Erstaunlich ist, welche Eleganz Depenbusch der deutschen Sprache | |
abschwatzt, dass sie dabei nie ins Manierierte abrutscht. Ihr | |
Jazzgesang-Studium brach die 39-Jährige damals ab, weil Songwriting in | |
ihrer Muttersprache dort nicht vorgesehen war. „Ich will verstanden werden, | |
und wenn ich auf Deutsch singe, ist das sehr unmittelbar.“ Auf Englisch | |
fehle ihr das Gespür für Sprache und Wortwitz. „Manche Leute finden, die | |
deutsche Sprache ist sperrig und tut weh. Für mich besteht die | |
Herausforderung genau darin, daran rumzukneten.“ | |
Die Plattenfirmen raten natürlich davon ab, sich auf den kleinen | |
deutschsprachigen Markt zu beschränken, genauso wie Depenbusch aktuelle | |
Trends und Referenzen auf musikalischer und inhaltlicher Ebene charmant | |
ignoriert. „Wenn mir jemand sagt: ‚Das ist aber zeitgemäß‘, habe ich ein | |
Problem. Ich finde gut, wenn in Alben keine Zeit steckt.“ Als Teenager, als | |
ein jazzbegeisterter Lehrer mit der schuleigenen Bigband das Interesse an | |
Musik in ihr weckte, hörte sie die deutsche Jazzsängerin Romy Camerun. Auch | |
für die klassischen Liedermacher wie Kurt Weill oder Edith Piaf begeistert | |
sie sich. | |
Mit ihren hochgesteckten dunklen Haaren und hellen Augen wirkt Depenbusch | |
wie eine Pariser Chansonnière aus den 1920er Jahren. Und es wundert nicht, | |
dass sie Tochter zweier Französischlehrer ist – auch wenn sie nach eigenen | |
Angaben diejenige in der Familie ist, bei der sich die Frankophilie am | |
wenigsten durchgesetzt hat. | |
In ihrem Song bleibt Depenbusch dem Chanson grundsätzlich treu, auch wenn | |
sie Jazz-, Folk- oder Country-Elemente mit einfließen lässt. „Ich mag | |
einfach das Theatrale am Chanson. Ich nehme mich auch sehr als Bühnenfigur | |
wahr und mache mich gerne schick für Auftritte.“ Sowohl auf als auch neben | |
der Bühne ist Depenbusch modisch absolut stilsicher, was in einem | |
RTL-Portrait mal für den etwas unappetitlichen Beisatz sorgte: „Anna | |
Depenbusch ist nicht nur ein Hingucker, sondern auch eine begabte | |
Sängerin.“ Für ihre Konzerte überlegt sie sich eigene Dramaturgien, | |
inklusive Kostümwechsel: „Ich achte auf einen ständigen Wechsel zwischen | |
Komödie und Tragödie, bei mir ist es immer ein Wechselbad der Gefühle. Das | |
macht mir Spaß, und ich schätze mein Publikum sehr dafür, dass es das | |
mitmacht.“ | |
Am 30. März tritt sie in Hamburg im fast ausverkauften Thalia-Theater auf, | |
worauf sie sich mit ihrer Liebe zum Theatralen besonders freut: „Ich liebe | |
die Theaterbühne, weil sie so fokussiert, für mich und für das Publikum. | |
Alles passiert im Guckkasten. Das entspricht meiner Musik, weil sie viel | |
Platz lässt für Pausen.“ Überhaupt sind ihr Konzerte das Wichtigste am | |
Musikerdasein, der Austausch mit dem Publikum – auf Perfektionismus pfeift | |
Depenbusch, die sich das Klavierspielen selbst beigebracht hat. „Die Leute | |
lieben es, wenn ich mich verspiele. Ich bin über die Jahre immer mutiger | |
geworden, Sachen auszuprobieren.“ Lebendigkeit funktioniert eben besser als | |
Perfektionismus. | |
12 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Hanna Klimpe | |
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