# taz.de -- Vom Wattenmeer nach Kreuzberg: Punkrocker mit Botschaften | |
> Die Band Turbostaat aus Flensburg tourt mit ihrem neuen Album „Abalonia“ | |
> durchs Land. Darin enthalten: Kritik an der Gesellschaft – und der | |
> eigenen Heimat. | |
Bild: Die Stimmung in Husum? Nicht immer ganz so schön | |
Zwei ausverkaufte Termine und ein Zusatzkonzert machen eines deutlich: | |
Turbostaat aus Flensburg kommt bei den Berlinern gut an. Die etablierte | |
Deutschpunk-Band ist mit ihrem neuen Album „Abalonia“ auf Tour und hat drei | |
Tage in Folge das kultige SO36 in Kreuzberg beehrt. Dass die Jungs aus dem | |
Norden gerade zu dieser Zeit kommen, trifft sich gut. Denn die Band stammt | |
aus Husum, der „grauen Stadt am Meer“. Dort, in der Kleinstadt an der | |
Nordseeküste, plant taz.meinland gerade eine Veranstaltung. Was man wohl | |
von Turbostaat über Schleswig-Holstein lernen kann? | |
In ihrer neuen Single „Die Tricks der Verlierer“ verarbeiten die Punker | |
negative Eindrücke eines Kneipenabends in Husum. Die alten Freunden der | |
Bandmitglieder haben ein Weltbild, das den kosmopolitisch ausgerichteten | |
Musikern missfällt. Turbostaat singt dagegen an. | |
Ein paar Diskokugeln baumeln von der Decke, blaues Licht strahlt durch den | |
Raum. Wer schon mal im SO36 war, kennt sicherlich die besondere | |
Beschaffenheit des Konzertsaales. Er zieht sich ordentlich in die Länge. | |
Als die noisige, post-punkige Vorband Karies beginnt, hat sich bereits ein | |
bunter Teppich aus Zuhörern gebildet. Anders als erwartet trägt nur ein | |
kleiner Teil der Menschen hier eindeutige Punk-Outfits. Stattdessen sind | |
die meisten so gekleidet, wie man sich gutbürgerliches Klientel vorstellt. | |
## Husum, verdammt noch mal! | |
Mit dem komplexen, teils bewusst dissonanten Sound von Karies, können die | |
meisten nicht „grooven“. Nur zwei einsame Tänzer stechen aus der Masse | |
heraus. Sie lassen sich vom größtenteils steifen, maximal mit dem Kopf | |
nickenden Publikum, nicht beeindrucken und trancieren jeweils alleine. | |
Karies rattern wie Getriebene ihre Songs herrunter, kommuniziert wird | |
wenig. Gegen Ende zeigt die junge Band anhand extrem dynamischer Parts | |
aber, dass sie mitreißend sein kann. | |
Turbostaat knallt direkt los: Von null auf hundert in weniger als einer | |
Sekunde, macht die Band ihrem Namen alle Ehre. Der Bass fetzt fast die | |
Ohren weg, vorne im Publikum bildet sich ein Pogo-Kreis. Einer der | |
Gitarristen schrammelt atemberaubend schnell, nahezu epileptisch, auf den | |
Saiten. Die ganze Band zieht routiniert ihr Ding durch, so wie es „alte | |
Hasen“ eben zu tun pflegen. Besonders sticht Sänger Jan Windmeier hervor. | |
Energiegeladen und charismatisch zieht er die Menschenmenge in seinen Bann. | |
Mal mit anklagendem Sprechgesang, mal mit eingängigen, einfachen | |
Gesangsmelodien präsentiert er die melancholischen, tiefgründigen und | |
kritischen Texte. | |
Mit ihrer Heimatstadt Husum setzen sich Turbostaat in vielen Liedern | |
auseinander. Das wird unter anderem bei dem Song „Insel“ deutlich. „Husum, | |
verdammt nochmal!“, schreit Windmeier an dessen Ende. Das Publikum schreit | |
aus voller Kehle mit. | |
Bei der neuen Single, die von unangenehmen Gespräch am früheren Stammtisch | |
handelt, fragt Wiedmeier: „Sind sie langsam so geworden, wie sie niemals | |
werden wollen oder waren sie schon immer so beknackt?“ Er singt auch: „Wenn | |
du ein zu Hause hast, brauchst du keine Heimat mehr!“ Äußerungen über | |
Husum, die Kontroversen aufzeigen. | |
## Moin zu Geflüchteten | |
Turbostaat tickt jedenfalls pro offene Gesellschaft. Sie kooperieren unter | |
anderem mit der Flensburger Initiative „Wirsagenmoin“, der norddeutschen | |
Version des „Refugees welcome“. Der Inhalt ist derselbe: Gegen Rassismus | |
und Fremdenhass. | |
Vor der Bühne füttert die Meute den „Moshpit“, wild tanzende Menschen | |
versammeln sich darin. Der Moshpit speist sich aus Schweiß und blauen | |
Flecken. Einige klettern auf die Bühne und springen in die Arme des | |
Publikums, Turbostaat versetzt manche in Ekstase. | |
Gerade die langsameren Intros, die fließend in geballten indie-lastigen | |
Deutschpunk übergehen, beeindrucken. Windmeier hält mit gelassener Miene | |
sein Mikrophon dem Publikum entgegen. „Eingesperrt sind wir immer noch, es | |
beruhigt uns sogar, dass es so ist.“ Mit einer Selbstverständlichkeit und | |
Gelassenheit, als wäre die Bühne sein Wohnzimmer, interagiert der Sänger | |
mit der Masse. | |
Die Band überzeugt: Musikalisch, aber vor allem textlich durch Reflexion | |
und Biss. Die vielen ambivalenten Bezüge auf die norddeutsche Heimat von | |
Turbostaat machen neugierig. Was wohl bei der angestrebten | |
Schleswig-Holstein-Tour rauskommt? Die taz.meinland-Redaktion freut sich | |
auf die Tour im Norden der Republik! | |
20 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Samba Gueye | |
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