# taz.de -- Protest gegen US-Präsident Trump: Amerikas neue Wutbürger | |
> Überall fordern US-Bürger Antworten von ihren Abgeordneten. Die fürchten | |
> den Zorn des Wahlvolks und gehen ihm aus dem Weg. | |
Bild: Amerikas Wut entlädt sich in Townhall Meetings – wie hier in Louisiana… | |
KINGSTON taz | Auf den Klappsitzen der Grundschulaula drängen sich an | |
diesem Samstagabend 500 Personen. Ihre Stimmung ist zwischen geschäftig und | |
aufgewühlt. Manche schreiben Fragen auf Karteikärtchen, in denen es um die | |
Zukunft der Krankenversicherung und um Massenabschiebungen geht sowie um | |
den Klimawandel, der plötzlich nicht mehr existieren soll. | |
Andere posten Bilder aus dem Saal auf Twitter oder schwenken Transparente | |
mit Forderungen wie: „Tu Deinen Job!“ oder: „Sei transparent!“. Immer | |
wieder branden Sprechchöre auf: „Wo bist du, Faso?“ und: „Sprich mit dem | |
Volk!“ | |
Es ist die größte Bürgerversammlung, die die Kleinstadt Kingston am | |
Hudson-Fluss seit langer Zeit erlebt hat. Für manche Teilnehmer ist es | |
zugleich die erste. Viele spüren, dass ihr Leben, wie sie es kennen, in | |
Gefahr ist. Sie haben Angst vor der Zukunft. Sie ertragen den Ton nicht, | |
den ihr neuer Präsident anschlägt. Und sie glauben, dass sie diejenigen | |
sind, die die Demokratie verteidigen müssen. „Ich bin keine bezahlte | |
Protestlerin“, hat die Sozialarbeiterin Debra Heath als Antwort auf Donald | |
Trumps Behauptung auf ihr Transparent geschrieben: „Ich bin eine | |
Patriotin.“ | |
## Viele Nachbarn haben Trump gewählt | |
Ihr Mann, der gelernte Rettungshelfer Bruce Heath, findet „fast alles, was | |
aus Washington kommt, falsch und sehr frustrierend“. Wie die meisten hier | |
haben die Heaths die Demokratin Hillary Clinton gewählt. Aber die beiden | |
sind keine Aktivisten. In ihrem bisherigen Leben haben sie weder an | |
Demonstrationen teilgenommen noch Transparente gemalt. In ihrer ländlichen | |
Region, wo viele Nachbarn Trump gewählt haben und das mit Aufklebern auf | |
ihren Trucks zeigen, sprechen sie vorsichtshalber nicht einmal über | |
Politik. | |
Debra erzählt von einer Freundin, deren Mann verhindert hat, dass sie ein | |
„Black Lives Matter“-Schild im Vorgarten aufstellt. „Er befürchtete, dass | |
er Schüsse ins Haus bekäme.“ Weil es für die Bürgerversammlung so viele | |
Anmeldungen gab, wurde sie im letzten Moment vom Rathaus in die größere | |
Aula der George-Washington-Grundschule verlegt. | |
Auch die erweist sich nun als zu klein. Die Abgewiesenen stehen auf der | |
Treppe, dem Trottoir und der Straße vor der Schule, wo sie eine | |
Parallelveranstaltung mit Megafonen abhalten. „So sieht Demokratie aus“, | |
skandieren sie. Und kündigen an, dass dies erst „der Anfang“ sei. | |
## Keine Nachsicht für „No Show Faso“ | |
Alle Botschaften – drinnen wie draußen – richten sich an einen Abwesenden. | |
John Faso, der Kongressabgeordnete für den Wahlkreis Nummer 19 nördlich von | |
New York City, ist nicht erschienen. Auf der Mitte der Bühne steht ein | |
leerer Stuhl für ihn. An seiner statt lehnt darauf ein rosafarbenes Schild | |
mit der Aufschrift: „No Show Faso“ – Drückeberger Faso. | |
Rashida Tyler von der Gruppe „Citizen Action“, die den Abend moderiert, | |
stellt das Schild auf, während das Saalpublikum applaudiert. Die Initiative | |
existiert seit den 80er Jahren, hat aber noch nie so viel Zulauf bekommen | |
wie in diesen Wochen. In der Opposition gegen Trump trifft sie mit | |
Immigrantengruppen, bei denen die Hotlines heißlaufen, und Kirchengemeinden | |
zusammen. | |
Pastor Frank Alagna organisiert zusammen mit anderen Kirchen am Ort | |
Schutzwohnungen als Verstecke für Gemeindemitglieder, die von Abschiebung | |
bedroht sind. Er lässt gerade eine Dusche in seine | |
Holy-Cross-Santa-Cruz-Kirchen einbauen. | |
## Statt Bürgernähe: Fundraiser für zahlende Gäste | |
Als neuer Akteur ist das „Indivisible Movement“ in den Kreis gekommen. | |
Ehemalige Kongressmitarbeiter, die das Erstarken der Tea Party aus der Nähe | |
beobachtet haben, gründeten es nach der Wahl. Kernstück ist eine | |
Handreichung für den Umgang mit Kongressabgeordneten. In vier Monaten ist | |
ihr [1][Indivisible Guide] zu einem der meistgelesenen Texte im Web | |
geworden. Landesweit haben sich rund 4.000 Gruppen gebildet, die ihn | |
benutzen. | |
Der Republikaner Faso ist im November zum ersten Mal in den Kongress | |
gewählt worden. Mit neun Prozentpunkten Vorsprung konnte er sich deutlich | |
gegen die linke Demokratin Zephyr Teachout durchsetzen. Trotz dieses | |
Erfolgt geht er den Wählern jetzt aus dem Weg. Er hatte Bürgernähe | |
versprochen. | |
Stattdessen beschränken sich seine größeren Treffen im Wahlkreis seit | |
seinem Antritt auf ein Frühstück mit zahlenden Gästen von der Handelskammer | |
sowie auf einen „Fundraiser“, für das jeder Teilnehmer 1.000 Dollar | |
hinlegen musste. Faso will das Geld für seinen nächsten Wahlkampf benutzen. | |
Ein Mandat im Repräsentantenhaus währt nur zwei Jahre, weswegen auch Faso | |
bereits die Wahlen 2018 im Sinn hat. | |
In der Verhandlungspause im Februar kam der neue Kongressabgeordnete aus | |
Washington in seinen Wahlkreis zurück. Traditionell nutzen Abgeordnete | |
diese Woche, um mit der Basis zu sprechen. Doch in diesem Jahr verlief auch | |
das anders: Die Wahlsieger vom November verstecken sich im Februar vor den | |
Wählern. Von den 301 Republikanern in beiden Kammern des Kongresses haben | |
sich weniger als 30 Gesprächen mit der Basis gestellt. | |
Dabei ging es fast überall hoch her. Die Abgeordneten stießen auf Wähler, | |
die mit Verve, Sachkenntnis und Selbstbewusstsein auf Antworten bestanden. | |
Auch Demokraten haben Bürgerversammlungen gemieden. Vermutlich wussten sie, | |
wie schlecht ihre Zustimmung zu Trumps Ministern ankommt. | |
Doch Hauptziel der Wählerwut sind die Abgeordneten der Republikanischen | |
Partei. Monate nachdem sie ihre Mehrheiten in allen Institutionen in | |
Washington erobert haben, rennen sie jetzt aus ihren Bürgerversammlungen, | |
werden ausgelacht und ausgebuht. Andere gehen, wie Faso, erst gar nicht | |
hin. Als Grund gab er an, Bürgerversammlungen wie die in Kingston seien | |
„eine politische Falle“. Sie nützten nur der Opposition. | |
## Trumps Interessenkonflikte sollen unter die Lupe | |
„Eigentlich müsste ich jeden Tag einen gewählten Politiker zur Rechenschaft | |
ziehen“, sagt Andrei. Der Marktforscher steht mit seiner Frau Marissa vor | |
der George-Washington-Schule. Bei seinen Anrufen im Büro von Faso drängt er | |
den Abgeordneten, für die Veröffentlichung der immer noch geheimen | |
Steuererklärungen des Präsidenten zu sorgen. Faso soll sich dafür | |
einsetzen, dass Trumps Interessenkonflikte zwischen privatem Geschäft und | |
öffentlichem Amt untersucht werden. | |
Die Denkmalschutzexpertin Marissa hat im Büro der demokratischen Senatorin | |
für New York, Kirsten Gillibrand, angerufen. Sie wollte sie für ihre | |
konsequente Oppositionspolitik beglückwünschen. „So ein Anruf dauert nur | |
ein paar Minuten, aber es ist es wert: Politiker brauchen Feedback, um das | |
Richtige zu tun.“ | |
Vor der Schule steht auch die Landwirtin Susan. Sie telefoniert nicht, | |
sondern geht gleich selbst zu Fasos Büro. In dieser Woche war sie zweimal | |
da und ist ebenso oft abgewiesen worden. Sie wollte ihn fragen, warum er | |
dafür gestimmt hat, dass psychisch Kranke Schusswaffen kaufen dürfen. | |
Außerdem wollte sie ihn davor warnen, der Familienplanungsorganisation | |
Planned Parenthood die staatliche Unterstützung zu streichen. Dass sie | |
nicht durchgedrungen ist, entmutigt sie so wenig wie der leere Stuhl vor | |
der Aula: „Wir sind das Volk“, sagt sie, „Wir werden uns durchsetzen.“ | |
## Ein lebendiges Hühnchen auf dem Stuhl | |
Fürs Erste haben die Bürgerversammlungen tatsächlich bereits die Debatte | |
verschoben. In der Vorstadt von Detroit haben sie die Lacher auf ihrer | |
Seite, seit sie ein lebendiges Hühnchen auf den leeren Sitz ihres | |
republikanischen Kongressabgeordneten David Trott setzten. Der Abgeordnete | |
heißt nun: „Chicken Trott“ – Feigling Trott. | |
In Kingston hat die Versammlung mit Bürgern, aber ohne Abgeordnete, es | |
geschafft, ein paar Zahlen über Obamas Gesundheitsreform in Umlauf zu | |
bringen. Darunter, dass die Streichung der Gesundheitsreform 2,7 Millionen | |
Menschen in New York um ihre medizinischen Versorgung bringen und damit | |
zahlreiche Krankenhäuser ihre Einnahmen kosten würde. Faso versteckt sich | |
zwar vor der Basis, zeigt jedoch Einsicht in einzelne ihrer Argumente. | |
Als Kandidat vertrat er noch das Programm seiner Partei, wonach „Obamacare“ | |
komplett abgeschafft werden sollte. Jetzt sieht er das anders und will | |
„behalten, was positiv ist, und das andere verbessern“. Eine junge | |
Afroamerikanerin auf der Treppe vor der Schule hofft, dass weitere | |
Zugeständnisse folgen. Für Tamoya ist klar, dass ihre lungenkranke Mutter | |
keine Medikamente mehr hätte, falls die Republikaner ihr ursprüngliches | |
Programm durchsetzen. „Es würde mindestens 500 Dollar monatlich kosten“, | |
sagt sie, „das haben wir nicht.“ | |
Eine andere Konsequenz der Wahl spürt sie schon jetzt täglich an ihrem | |
Arbeitsplatz in einem Krankenhaus. Sie vermeidet politische Diskussionen | |
mit Kollegen, aber sie kennt die Einstellung der anderen. Sie weiß es über | |
ihre Twitter-Kommentare, und sie spürt es an den veränderten Blicken von | |
Trump-Anhängern seit der Wahl. „Es ist bitter geworden“, sagt sie, „wir | |
gehen auf Eierschalen.“ Dann fügt sie hinzu: „Dies ist mein Land, ich gehe | |
hier nicht weg.“ | |
2 Mar 2017 | |
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[1] https://www.indivisibleguide.com/ | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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