# taz.de -- Abgeordnete über ihren Abschied: „Freude am Job kriegt niemand m… | |
> Viele Parlamentarier treten nach der Bundestagswahl nicht mehr an. Mit | |
> Wolfgang Bosbach, Jan van Aken und Bärbel Höhn sprachen wir darüber. | |
Bild: Nach der Bundestagswahl nicht mehr abgeordnet: Wolfgang Bosbach (l.), Bä… | |
taz.am wochenende: Frau Höhn, Herr Bosbach, Herr van Aken, mit welchem | |
Gefühl gehen Sie Ihrem letzten Tag im Bundestag entgegen? | |
Jan van Aken: Erleichterung ist bei mir schon dabei. | |
Bärbel Höhn: Ein bisschen Wehmut, aber vor allen Dingen bin ich gespannt | |
auf das Neue. | |
Wolfgang Bosbach: Der Abschied wird mir schwerfallen, aber ich freue mich | |
auch auf einen neuen Lebensabschnitt. Vor ein paar Wochen habe ich zum | |
ersten Mal in 23 Jahren zwei Wochen Urlaub gemacht. Eine neue, schöne | |
Erfahrung. Ich habe viel von der Welt noch nicht gesehen und möchte mir die | |
Zeit nehmen, das, was ich bis jetzt versäumt habe, nachzuholen. | |
Tut es Ihnen leid, viel versäumt zu haben? | |
Bosbach: Ja, total. | |
Was haben Sie denn versäumt, außer Urlaub? | |
Bosbach: Ich habe vor allem familiär viel verpasst. Die Erziehungsarbeit | |
für unsere drei Töchtern lag eindeutig bei meiner Frau. Die ersten sechs | |
Jahre konnte ich immer abends nach Hause fahren. Da lagen die Kinder zwar | |
schon im Bett, aber morgens habe ich sie oft in den Kindergarten oder die | |
Schule gebracht. Das war mit dem Umzug von Bonn nach Berlin plötzlich | |
vorbei. Ich habe mich dann dabei erwischt, dass ich, wenn ich freitags | |
abends nach Hause kam, nur meine Ruhe haben wollte. Die Kinder, sie waren | |
ja noch klein, wollten erzählen, was sie erlebt hatten, und Papa wollte | |
Ruhe. Ich habe mir eingeredet, das holst du nach, was natürlich nicht geht. | |
Das bedaure ich heute sehr. | |
van Aken: Bei mir war das sehr klar. Ich habe drei Kinder, wir haben uns | |
die Kindererziehung und den Haushalt geteilt. Wochenendtermine habe ich nur | |
selten machen können, was bei Politikern eigentlich gar nicht geht . . . | |
Bosbach: Ich war samstags, sonntags immer unterwegs. | |
van Aken: . . . nicht mal auf allen Parteitagen konnte ich sein, wenn klar | |
war, dann sieht man die Kinder nicht. Streckenweise bin ich gependelt, auch | |
in der Sitzungswoche. Von Hamburg nach Berlin, ein Jahr lang fast jeden | |
Tag, was echt Mist ist. | |
Bosbach: Das kostet Kraft, ja. | |
Warum hören Sie eigentlich auf, Frau Höhn? | |
Höhn: Ich werde dieses Jahr 65. Wenn wir 2013 als Grüne an die Regierung | |
gekommen wären, dann hätte ich jetzt noch eine Legislaturperiode | |
drangehängt. Aber weil wir wieder in der Opposition sind, habe ich gesagt, | |
das kenne ich schon. Ich will auch mehr Zeit haben für meinen Mann, meine | |
Kinder und Enkelkinder. Mehr Freiheit. Ich mache zum Beispiel ganz viele | |
Fotos, aber die liegen alle auf der Festplatte. Ich will sie endlich mal | |
sortieren. | |
van Aken: Ich finde, dass sich einiges zum Guten ändern würde, wenn das | |
Abgeordnetendasein generell auf acht Jahre begrenzt wäre. Diese | |
Karriereperspektive Bundestag sollte es so nicht geben. Und weil ich das | |
fordere, gehe ich jetzt auch selbst. Teilweise ist das Diskussionsniveau im | |
Parlament erschreckend, viele sind nur damit beschäftigt, ihre Wiederwahl | |
zu sichern. | |
Bosbach: Widerspruch. Abgeordneter sein zu wollen, aber wegen einer | |
zeitlichen Begrenzung nicht zu dürfen, das wäre frustrierend. Da ist doch | |
besser: Abgeordneter Bosbach sagt, 23 Jahre, das ist eine lange Zeit, ab | |
jetzt mache ich etwas anderes. | |
Höhn: Mich hat mal ein junger Grüner gefragt: Ey, du bist doch Ministerin. | |
Ich will Bundestagsabgeordneter werden, wie mache ich das? Da habe ich | |
gesagt: Am besten gar nicht. So einen wie dich können wir nicht gebrauchen. | |
Bosbach: Der wollte einen Masterplan haben. | |
Höhn: Ja, Berufswunsch Abgeordneter. Das geht nicht. | |
Herr Bosbach, warum hören Sie auf? | |
Bosbach: Ich werde wie Frau Höhn 65, aber mir sieht man es auch an. Da | |
überlegt man sich schon, wie es im nächsten Lebensabschnitt weitergehen | |
soll. Ich bin nicht der Gesündeste. Es fällt mir auch durch meine | |
Krebserkrankung zunehmend schwer, den Anforderungen gerecht zu werden. Und | |
ich will nicht mit halber Kraft arbeiten. Außerdem ist es ja kein | |
Geheimnis, dass ich in einigen wichtigen politischen Fragen eine andere | |
Haltung habe als die Mehrheit meiner Partei. Ich möchte nicht immer gegen | |
die eigene Truppe antreten. | |
Woran merken Sie, dass Ihnen die Kraft fehlt? | |
Bosbach: Es sind nicht die Veranstaltungen selbst. Da bin ich eine Art | |
Zirkuspferd, wenn die Musik ertönt, gebe ich mein Bestes. Das ist für mich | |
ein Jungbrunnen. Aber letztes Wochenende: Ich stehe auf dem Bahnsteig, es | |
ist saukalt, es zieht. Zuerst heißt es: 5 Minuten Verspätung. Dann sind es | |
10 Minuten, dann 15, und dann kommt der Zug gar nicht. Ich wusste aber, | |
dass am anderen Ende der Strecke 400 Leute auf mich warten. Das macht einen | |
ungeheuren Druck. | |
Im Rückblick betrachtet: Hat sich der Job für Sie alle gelohnt? | |
Höhn: Auf jeden Fall. Ich habe unglaublich viel gelernt, habe interessante | |
Menschen und Projekte kennengelernt. Und ich hatte die Möglichkeit, zu | |
gestalten. | |
van Aken: Ich habe den Parlamentarismus ja 30 Jahre lang sehr kritisch | |
gesehen. Aber zu meiner eigenen Verwunderung muss ich jetzt sagen: Ja, der | |
Job hat sich schon gelohnt. | |
Warum? | |
van Aken: Ich finde, der Bundestag hat zwei ganz wichtige Funktionen. Die | |
eine ist die Kontrolle der Regierung, das ist das wichtigste überhaupt. | |
Ohne die Kontrollfunktion würde jede Regierung freidrehen. Die zweite ist | |
Diskursmacht. Ich hätte mir nie vorstellen können, welchen massiven | |
Einfluss man in dieser Position auf Debatten hat. Ganz am Anfang, im | |
Kundus-Untersuchungsausschuss: Ich komme raus und plötzlich stehen da 10 | |
Kameras und 30 Journalisten. Und dann senden die das auch noch alle. Das | |
war ein richtig einschneidendes Erlebnis. Um Diskurse zu setzen und zu | |
beeinflussen, dafür lohnt sich der Job. | |
Bosbach: Man darf die Einflussmöglichkeiten, die man politisch und | |
gesellschaftlich hat, weder unter- noch überschätzen. Aber ich finde die | |
Beschreibung, warum es sich gelohnt hat, vom Kollegen van Aken zu 100 | |
Prozent richtig. | |
Mit welchen Erwartungen sind Sie ins Parlament gekommen? | |
van Aken: Ich war am Anfang so was von enttäuscht. Als ich in den 90ern | |
meinen allerersten Tag bei Greenpeace hatte, gab es da gleich eine | |
kontroverse Debatte auf so hohem Niveau, dass ich dachte: Hier kannst du | |
nie mithalten. Im Bundestag war es genau umgekehrt: Da gibt es manchmal | |
derart faktenfreie Beiträge, das ist unerträglich. Ich will nicht alles | |
schlechtreden, es gibt auch tolle Leute da. Aber doch, das hat mich richtig | |
schockiert. | |
Bosbach: Was mich von Anfang an am meisten gestört hat, ist: Es gibt eine | |
bestimmte Debattenlänge von 30, 60, 90 Minuten und eigentlich ist nach der | |
ersten Runde alles gesagt. Dann könnte man doch eigentlich sagen: Danke | |
fürs Gespräch, nächster Punkt. Getretener Quark wird breit, nicht stark. | |
Aber die Leute haben sich vorbereitet, ihre Rede bis aufs letzte Komma | |
ausformuliert, und jetzt wollen sie sie eben auch halten. | |
Wie hat sich Ihre Arbeit im Laufe der Jahre verändert? | |
Bosbach: Früher gab es Debatten, die leidenschaftlicher waren als heute. | |
Heute ist es eher kühl und nüchtern . . . | |
van Aken: . . . und langweilig. | |
Woran liegt das? | |
Höhn: Auf jeden Fall auch am Smartphone. Wenn ich mich umschaue in den | |
Fraktionssitzungen, alle spielen damit rum und gucken mehr nach unten als | |
nach oben. Vieles ist dadurch schneller geworden. Wenn ich jetzt eine | |
Zeitung lese, da denke ich manchmal: Das ist doch schon total alt, was die | |
schreiben! | |
Bosbach: 2013 hat mein Herzschrittmacher geschockt, während eines | |
Landesparteitags in Münster. Den ersten Genesungswunsch bekam ich schon, | |
als ich noch wie ein Maikäfer auf dem Rücken lag, da hat sich der Notarzt | |
noch um mich gekümmert. Das kann keine Tageszeitung schaffen. Ich stimme | |
Frau Höhn gern zu, es ist schneller geworden, anstrengender. | |
Finden Sie es schade, gerade jetzt zu gehen, wo es politisch richtig | |
spannend wird? | |
Höhn: Trump, Brexit, die AfD – da juckt es mir schon in den Fingern. Aber | |
gegen rechts aufzustehen, was organisieren, das kann ich auch ehrenamtlich. | |
Außerdem wäre Rot-Rot-Grün spannend, das würde mir großen Spaß machen. | |
Bosbach: Gegen diese Entwicklungen in Europa und den USA anzugehen, das | |
wäre schon noch einmal eine Herausforderung. Aber für mich wird sich das | |
Kapitel Politik jetzt schließen. Ich werde immer ein politisch | |
interessierter Mensch bleiben, aber ich werde kein Amt mehr anstreben. | |
Trotzdem macht mir die Situation wirklich Sorgen. Ich bin geradezu | |
persönlich beleidigt, wenn jemand sagt, Trump sei gewählt worden, weil er | |
Klartext spricht. Sexistische Sprüche, Hetze gegen Minderheiten hat was mit | |
schlechter Erziehung zu tun, aber nichts mit Klartext. | |
Momentan wird viel darüber diskutiert, ob die politischen Eliten den | |
Kontakt zum „Normalbürger“ verloren haben. Haben Sie ihn verloren? | |
Höhn: Man wird schon ein bisschen abgehoben. Probleme wie zum Beispiel das, | |
woher das Geld am Ersten kommt, haben wir einfach nicht. Aber ob man sich | |
da selbst treu bleibt, hat weniger etwas mit der Zeit zu tun, die man im | |
Bundestag sitzt, sondern viel eher mit der Frage, wie geerdet man ist. Ich | |
versuche den Kontakt zu den Menschen zu halten, fahre viel Rad, nutze ab | |
und zu aber auch mal den Fahrdienst. Die Fahrer erzählen, dass es | |
Abgeordnete gibt, die erst sehr kurz im Bundestag sind, sich aber schon wie | |
Graf Rotz von der Backe benehmen. | |
van Aken: Mich hat jeder Job verändert, den ich gemacht habe. Das ist, | |
glaube ich, natürlich. Als ich nach den ersten vier Jahren merkte, dass ich | |
immer häufiger den Fahrdienst nutzte, bin ich wieder mehr Rad gefahren; den | |
kleinen Schweinehund überwinden. Ich sehe das bei Kollegen aus allen | |
Fraktionen: Leute kommen neu rein, sind noch Menschen, und nach einem | |
halben Jahr sind einige nur noch Abgeordnete und glauben, sie seien was | |
Besonderes. Woher kommt das? Das ist wahrscheinlich wie bei Ärzten. Wenn | |
einem Arzt oder einer Ärztin hundert Mal gesagt wird, Sie haben mein Leben | |
gerettet, dann glauben sie irgendwann selbst, Halbgötter in Weiß zu sein. | |
Bei einigen Abgeordneten ist das genauso. | |
Bosbach: Ein wunderschönes Erlebnis hatte ich mal beim Einchecken am | |
Flughafen. Es war wirklich knapp, es gab eine Schlange, und jemand läuft | |
ganz schnell noch zum Schalter: Sie müssen mich noch mitnehmen, ich bin | |
Abgeordneter! Da hat die Mitarbeiterin gesagt: Sie sind Abgeordneter? Kein | |
Problem, wir nehmen Sie trotzdem mit. Das erdet einen. | |
Wie schwer fiel es Ihnen, zu sagen: Ich höre jetzt auf? Mussten Sie bei der | |
Entscheidung lange mit sich ringen? | |
Höhn: Nein. Und als die beiden kleinsten Enkelkinder geboren wurden, habe | |
ich gedacht: Welch richtige Entscheidung! | |
Bosbach: Bei mir war es anders. Ich habe monatelang mit mir gerungen. Aber | |
je näher der letzte Sitzungstag kommt, desto sicherer bin ich mir, dass es | |
gut so ist. | |
van Aken: Ich habe eher das Gefühl, ich wechsle jetzt die Stelle. Ich bin | |
ja nicht weg, nur woanders im politischen Bereich. | |
Herr Bosbach, Sie sind am längsten von Ihnen allen im Bundestag, seit 23 | |
Jahren. Was hat sie am meisten geprägt? | |
Bosbach: Am stärksten hat mich sicher die sechsjährige Tätigkeit als | |
Vorsitzender des Innenausschusses geprägt. Wenn man plötzlich einem | |
Ausschuss vorsitzt, ist man nicht mehr so sehr Parteipolitiker. Ich habe | |
mich mehr als einmal dabei erwischt, dass ich gedacht habe, also an diesem | |
Argument der Konkurrenz, da ist was dran. Insgesamt glaube ich aber, dass | |
mich die Krankheit mehr verändert hat als die Politik. Man wird ruhiger, | |
gelassener und denkt bei Streit oft: Eure Sorgen möchte ich haben! | |
Höhn: Mich haben vor allem die zehn Jahre im Ministeramt verändert. Allein | |
der Takt der Arbeit prägt stark. Nordrhein-Westfalen ist ein Riesenland, | |
und ich hatte ein Riesenministerium. Ich kam anfangs rein und da warteten | |
748 Briefe. Du bist die erste grüne Umweltministerin, schrieben die Leute, | |
wir haben das und das Problem, kümmere dich bitte. 748 Briefe! Und so geht | |
das weiter. Man muss mehrere 100 Entscheidungen pro Woche fällen, schnell, | |
das macht was mit dir. Es ist gut, dass mein Mann manchmal gesagt hat: Wir | |
sind hier nicht im Ministerium. Trotzdem war es ein großes Geschenk, so ein | |
erfülltes Leben zu haben mit einem Beruf, der Spaß macht. | |
van Aken: Wobei ich den Spaßfaktor im Bundestag begrenzt finde. Und das ist | |
ein wichtiges Kriterium. Ich möchte in meinem Leben die Welt verbessern und | |
Spaß haben, aber das Verhältnis stimmt im Bundestag nicht wirklich. Spaß | |
macht hier vielleicht ein schöner Battle mit Sigmar Gabriel. Oder einen | |
Skandal aufzudecken mit einer guten Recherche. Aber es gibt auch viele | |
Momente, Stunden und Tage, die sind ganz, ganz schlimm, oder? | |
Bosbach: Dann finden Sie mal einen Beruf, wo Sie nur Spaß haben. | |
Höhn: Spaß ist vielleicht das falsche Wort. Sagen wir mal Freude. Gemeinsam | |
zu diskutieren, auch kontrovers zu diskutieren, die Freude daran möchte ich | |
gern vermitteln. | |
Freude ist nicht gerade das, was der Bundestag ausstrahlt. | |
van Aken: Das ist die spannende Frage: Warum vermittelt sich das nicht? Mir | |
geht es auch so: Wenn ich mal richtig einem an den Karren fahren kann, | |
politisch was bewegen kann, bin ich superglücklich darüber, dann macht mir | |
das Spaß. Aber wenn ich in der „Tagesschau“ zwölf Sekunden zu meinem Thema | |
habe, tanze ich natürlich nicht und freue mich, sondern sage meinen | |
inhaltlichen Satz. Die ganze Freude, die dahintersteckt, bekommt keiner | |
mit. | |
Warum jubeln Sie nicht in der „Tagesschau“? | |
van Aken: Ich kriege es ganz gut hin, diese Politikersprache nicht zu | |
benutzen. Frau Höhn und Herr Bosbach ja auch. Aber wenn ich tatsächlich | |
eine Debatte beeinflussen will, muss ich in den zwölf Sekunden vorm | |
Mikrofon genau den Punkt setzen, den ich machen will. | |
Höhn: Wenn ich ein Interview gebe, ist das eine fachliche Botschaft. Ich | |
bin ja in die Politik reingeschliddert, ohne dass ich das wollte. Deshalb | |
sind mir immer die Inhalte so wichtig. Wie wollen Sie da Freude einfangen? | |
Sprache ist bei vielen Politikern sehr unkonkret, weil wir immer an dem | |
gemessen werden, was wir irgendwann mal gesagt haben. | |
Darf man als Politiker auch mal sagen: Tut mir leid, da weiß ich nicht | |
Bescheid? | |
Bosbach: Das sage ich jeden Tag. | |
van Aken: Aber das machen sonst nur wenige. Als ich das zum ersten Mal | |
gesagt habe, kam die Rückmeldung von diversen Kollegen und Mitarbeitern: | |
Das geht gar nicht. Auch auf Veranstaltungen wundern sich die Leute. | |
Genauso ist es bei Journalisten: Wenn ich da sage, so allgemeines | |
Politikergerede mache ich nicht, sind die das nicht gewöhnt. Ich finde das | |
eine totale Selbstverständlichkeit, zu sagen, man weiß nicht Bescheid. | |
Bosbach: Man darf es allerdings nicht ständig machen, sonst fällt es auf. | |
Wird es Ihnen fehlen, qua Amt zu etwas gefragt zu werden? | |
Höhn: Nein. | |
van Aken: Als ich bei Greenpeace angefangen habe, hat mir mein Chef am | |
ersten Tag gesagt: Pass auf, wenn du jetzt mit jemandem sprichst, meinen | |
die nie dich, sondern immer nur Greenpeace, und wenn du irgendwann mal hier | |
aufhörst, bist du wieder ein Nichts. Genauso war es, und jetzt rechne ich | |
wieder damit: Wenn ich hier aufhöre, bin ich ein Jan van Aken, den keiner | |
kennt. Aber ich mache meinen Job woanders, hoffentlich auch gut, und glaube | |
nicht, dass ich unter einem Aufmerksamkeitsdefizit leiden werde. | |
Bosbach: Neulich musste ich über mich selbst lachen. Ich war, wie gesagt, | |
14 Tage im Urlaub. Das Handy habe ich lautlos gestellt, das mache ich sonst | |
nie. Aber trotzdem habe ich alle Viertelstunde nachgesehen und war | |
beleidigt, dass noch keiner angerufen hat. Meine Frau hat dann irgendwann | |
gesagt, du denkst schon dran, dass zu Australien neun Stunden | |
Zeitunterschied sind? Da war ich beruhigt. Man darf sich nicht wichtiger | |
nehmen, als man ist. Irgendwann ist man Geschichte. Die Friedhöfe sind voll | |
von unersätzlichen Leuten. Es geht dennoch immer weiter. | |
Haben Sie Angst, in ein Loch zu fallen? | |
van Aken: Ich glaube, dass man auf jeden Fall erst mal in ein Loch fällt. | |
Das kennen doch alle, die schon mal eine Meisterprüfung oder eine | |
Doktorarbeit gemacht haben. Aber nach einer Woche Loch ist auch gut, oder? | |
Dann werde ich ja auch anfangen müssen, mir einen neuen Job zu suchen. Ich | |
habe Übergangsgeld für acht Monate und kann in Ruhe gucken, was ich mache. | |
Höhn: Es ist ganz gut, wenn man selbst entschieden hat, aufzuhören. Und | |
wenn man Zeit hatte, sich darauf vorzubereiten. Natürlich wird da ein Loch | |
sein am Anfang. Wer behauptet, das wird nicht passieren, ist weltfremd. | |
Vielleicht muss ich mir Zeit nehmen, das alles sacken zu lassen. Das | |
konnten wir nie, es ging zack, zack immer so weiter. Und jetzt mache ich | |
das wie das Sterntalermädchen und gucke mal, welche Sterne mir so in die | |
Schürze fallen. Einige Angebote gibt es auch schon. | |
Bosbach: Die erste Zeit werde ich sicher genießen. Bisschen mehr Freiheit, | |
bisschen mehr Freizeit. Aber nichts tun kann ich nicht. Ich werde wieder | |
etwas mehr als Rechtsanwalt arbeiten, einige Angebote, ehrenamtlich für | |
eine gute Sache zu arbeiten, habe ich auch schon. Die gucke ich mir jetzt | |
in aller Ruhe an. Ich möchte nicht von Hamsterrad zu Hamsterrad wechseln. | |
Hier rumschleichen im Regierungsviertel, nach dem Motto, hoffentlich werde | |
ich noch gefragt, das werde ich sicher nicht. | |
Auf Ihren Visitenkarten steht dann nicht mehr Abgeordneter, niemand bucht | |
Ihnen mehr Flüge . . . | |
Bosbach: . . . und wenn ich mich hinten rechts ins Auto setze, fährt keiner | |
mehr los. | |
28 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
Barbara Junge | |
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