Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wie sich Innovationen verkaufen: Revolutionäres schreckt ab
> Innovationen setzen sich auf dem Markt durch? Stimmt nicht. Je
> revolutionärer ein Produkt, desto mehr Marketing ist notwendig.
Bild: Skepsis vor Neuem haben vor allem die Großen, die an bestimmte Produkte …
Wie es geht, das zeigt zum Beispiel die Waschmaschine. Ein Gerät, das einem
den langwierigen Prozess von Weichen, Waschen, Wringen abnimmt und damit
vermutlich einen größeren Beitrag zur Entlastung des Alltags im Allgemeinen
und zur Emanzipation im Speziellen geleistet hat, als es auf den ersten
Blick aussieht. Klarer Fall: Die Waschmaschine, Innovation, Haken dran.
Wie es eher nicht geht, zeigt DVB-T2. Ein neues Format fürs digitale
Antennenfernsehen, das die Empfangsqualität verbessert, das aber
anscheinend nicht so Waschmaschine ist, dass die Nutzer von selbst auf die
Idee kämen, die Elektronikläden zu stürmen und flächendeckend neue
Empfangsboxen zu besorgen und damit das Waschen per Zuber und Brett obsolet
zu machen. Also wird das alte Format abgeschaltet, damit die alten
Frequenzen frei werden für neue Anwendungen. Zack. Innovation, verordnet.
Und dann sind da natürlich noch die zahlreichen Fälle, die irgendwo
zwischen DVB-T2 und Waschmaschine liegen. Der
Stracciatella-Zitrone-Ingwer-Joghurt, der auch nichts anderes ist als weiße
Pampe mit zu viel künstlichen Aromen in überdesignter Verpackung und dessen
Erfolg maßgeblich davon abhängt, wie viel Geld in den Marketingetat fließt
und ob die Werber dieses Geld zielgruppengerecht einsetzen. Innovation zur
Konsumsteigerung.
## Alles eine Frage des Nutzens
Die Frage, ob etwas innovativ ist, sagt Carsten Schultz, Professor für
Technologiemanegement an der Universität Kiel, bemesse sich immer am Markt.
Das kann der Verbraucher sein, wenn es um den neuen Joghurt geht. Oder die
Industrie, wenn es sich um eine neue Benzineinspritzpumpe handelt. Denn
klar, kein Verbraucher kauft ein Auto, weil er die neue
Benzineinspritzpumpe so praktisch findet, dennoch hat sie die Möglichkeit,
sich am Markt durchsetzen.
„Man kann nicht sagen: Innovation ja oder nein“, sagt Schultz, „sondern
nur, wie hoch ist der Grad an Innovation?“ Und da gelte: hoher Nutzen für
den Anwender, hoher Grad an Innovation. Niedriger Nutzen, eher nicht so
innovativ. Der neue Joghurt müsste also laut Schultz schon mindestens etwas
in der Kategorie blutdrucksenkende Wirkung als Zusatznutzen haben, um über
eine eher übersichtliche Innovation hinauszukommen.
Innovationen haben ihre Wurzeln meist in einem von zwei Bereichen: Entweder
sie entstammen der Forschung. In Unternehmen oder Universitäten basteln
Wissenschaftler an, sagen wir, neuen Oberflächenstrukturen. Es gibt
irgendwann einen Durchbruch und man überlegt sich: Welches Produkt lässt
sich daraus kreieren? Antibakterielle Waschbecken für Kliniken? Warum
nicht?
Die zweite Wurzel ist der Kunde oder der Markt. Oder, und hier liegt häufig
der Haken, das, was der Innovationsentwickler für den Kunden oder den Markt
hält. Dass geäußerter Kundenwunsch und tatsächlicher Kundenwunsch und die
daraus resultierende Kaufentscheidung mitunter drei unterschiedliche Dinge
sind, das erleben nicht nur Joghurthersteller.
## Dreck statt Dreck
Doch nehmen wir mal den innovativsten Fall an. Ein Produkt oder eine
Dienstleistung, die – auch wenn es die zukünftigen Nutzer noch nicht zu
träumen wagen – quasi revolutionär ist. Den Alltag radikal vereinfacht,
einen nennenswerten Vorteil für die Umwelt hat oder eine deutliche Senkung
der Kosten bedeutet. Und dann? Will es keiner haben.
„Je höher der Innovationsgrad, desto mehr Marketing ist nötig, weil das
Produkt oder die Dienstleistung deutlich erklärungsbedürftiger ist“, sagt
Schultz. Das gelte besonders dann, wenn die Neuigkeit disruptiv ist, also
den Markt völlig neu ordnet. Waschmaschine. Smartphone. Vielleicht eines
Tages das selbstfahrende Auto.
Denn auch, wenn das Smartphone heute gerne als Selbstläufer gilt, als
Gerät, bei dem die Kunden quasi ferngesteuert zugriffen: Das war es nicht.
„Apple hat schon im Vorfeld eine ganze Menge Marketing gemacht damals“,
sagt Ralph Hintemann vom Borderstep Institut für Innovation und
Nachhaltigkeit. Und der Konzern habe einen entscheidenden Vorteil: eine
treue Gemeinde an Fans, die auf iPod und Mac schwören und ganz
selbstverständlich zu einem [1][neuen Produkt aus dem Hause Apple] greifen.
Doch das Smartphone ist nicht nur ein Beispiel für eine radikale
Innovation. Sondern auch für den Nachteil neuer Entwicklungen. „Wir lösen
mit Innovationen häufig Probleme und verschärfen sie an anderer Stelle“,
sagt Hintemann und nennt als Beispiel den Verkehr in New York. Der Stadt
sei im 19. Jahrhundert prognostiziert worden, binnen weniger Jahrzehnte in
Pferdemist zu versinken. Die wachsende Zahl der Fahrzeuge, die absehbar
nötig wurden, weil immer mehr Menschen immer schneller von A nach B
wollten, und die dazu benötigten lebendigen Pferdestärken einiges an Dreck
in den Straßen hinterließen. Aber dann: Verbrennungsmotor erfunden, in
Fahrzeug eingebaut, Problem gelöst. [2][Und ein paar Dutzend andere
geschaffen].
## Radikal ist gut – bis wir die Konsequenzen spüren
Auch die Waschmaschine ist nicht ganz unkritisch. Die Tonnen an Tensiden
etwa, die in den Gewässern landen, weil wir gerne saubere T-Shirts
anziehen. Vielleicht wird dieses Problem aber auch in Zukunft gelöst. Zum
Beispiel durch Geräte, in die wir die schmutzige Kleidung hineinhängen und
die dann ohne Wasser einfach per Ultraschall gereinigt wird. Radikal?
Eindeutig. Die Nebenwirkungen? Wir werden sehen.
27 Feb 2017
## LINKS
[1] /!5365850/
[2] /!5383803/
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Tourismus
Innovation
Konsum
Privatfernsehen
Fernsehen
Uber
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Ich meld mich: Themenwelten mit Tonalität
Man entschied sich, mit dem Marketing-Asset „Natur“ zu spielen. Und
entwickelte so eine Region für Best-Ager in blühenden Themenwelten.
Leitlinien des Hightech-Forums: Alter Wein in neuen Schläuchen
Das „Hightech-Forum“ der Bundesregierung stellte seine
innovationspolitischen Leitlinien vor. Dabei geht es auch um Akzeptanz für
neue Technologien.
Wir retten die Welt: Mehr ist weniger
Nachhaltiger Konsum? Schön und gut. Aber dann macht das Möbelhaus uns ein
Angebot, das wir nicht ablehnen können.
Umstellung auf DVB-T2 HD: Privatfernsehen wird kostenpflichtig
Mit DVB-T2 HD verschwinden Privatsender hinter einer stillen
Bezahlschranke. Dass das vom Publikum akzeptiert wird, ist allerdings
keineswegs sicher.
Antennenfernsehen startet: Aufgezwungene Technik
Der Sendestandard DVB-T wird im Norden eingestellt. DVB-T2 bringt bessere
Bilder und mehr Sender, aber auch Kosten und Elektroschrott
Selbstfahrende Autos bei Uber: Crash, boom, weg
Nach einem Unfall nimmt Uber seine selbstfahrenden Testwagen von der
Straße. Der Fahrdienst-Vermittler betont, dass die Gegenseite schuld am
Zusammenstoß sei.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.