# taz.de -- Medien im Irak: Die Radiobrücke | |
> Im Westteil Mossuls herrscht weiterhin der „Islamische Staat“, Zivilisten | |
> hungern. Opposition kommt jetzt von einem kurdischen Piratensender. | |
Bild: Nicht allein der IS wütet im Osten Mossuls, auch der Hunger – für Leb… | |
ERBIL taz | Die Leitung knarzt. Die junge Frauenstimme am anderen Ende | |
spricht leise, aber bestimmt. „Wir haben kaum noch etwas zu essen“, sagt | |
sie. „Wie lange sollen wir das aushalten?“ Dann ist das Gespräch bereits zu | |
Ende. | |
Die Hörerin ruft aus dem [1][Westen Mossuls] an. Die Gebiete westlich des | |
Tigris, der die zweitgrößte Stadt des Irak teilt, befinden sich weiterhin | |
unter der Kontrolle der Extremisten des „Islamischen Staats“ (IS). [2][Wie | |
geht es den Menschen dort]? Wie ist das Leben unter der IS-Herrschaft? | |
Darüber soll der Rest der Welt, geht es nach dem Willen der | |
Steinzeitislamisten, nichts erfahren. | |
Oder wenn, dann nur das, was ihre eigene Propagandaabteilung verbreitet: | |
Der Kampf sei erfolgreich, die Gotteskrieger hätten wieder Dutzende | |
Ungläubige in die Hölle geschickt, tönt es in ihrem Radiosender. Andere | |
Sender, aber auch Handys sind verboten, Internetzugang gibt es nur über von | |
den Extremisten kontrollierte Internetcafés. | |
Diese Totalblockade zu durchbrechen, war das Ziel von Mohammed al-Moslawi, | |
als er vor knapp zwei Jahren den Radiosender Al Ghad gründete. Der | |
28-Jährige in Amerika ausgebildete Informatiker war erst vor wenigen | |
Monaten in seine Heimatstadt zurückgekehrt, als der IS im Juni 2014 Mossul | |
überrannte. Mit seiner Familie floh er wie viele andere Einwohner der Stadt | |
in den von den Kurden errichteten Teilstaat im Nordirak. „Ich wollte etwas | |
für die Menschen in Mossul tun“, sagt er im Gespräch mit der taz. „Ein | |
Radiosender schien mir genau das Richtige. Sie können alles Mögliche | |
unterdrücken, aber den Äther kann man nicht einfach verbieten.“ | |
## Im Störfeuer | |
Anfangs hätten es die Fanatiker mit Störsendern versucht. „Wir mussten | |
ständig unsere Frequenzen ändern.“ Doch Al Ghad setzte zum Gegenangriff an | |
und störte seinerzeit das IS-Radio. „Inzwischen haben wir mehrere | |
Frequenzen, so dass ihre Störmanöver ins Leere laufen.“ | |
Aus Angst vor Anschlägen der Extremisten will Moslawi aber nicht, dass wir | |
schreiben, wo sich das Studio genau befindet. Nur so viel: in Kurdistan. | |
Auch seinen wahren Nachnamen sollen wir nicht nennen. Das gilt auch für die | |
Hörerinnen und Hörer. „Freier Vogel“ nennt sich die Frau, die sich über … | |
Versorgungslage beklagt. Eine andere stellt sich als Umm Mohammed vor, die | |
Mutter von Mohammed – ein Allerweltsname im Irak. „Linke oder rechte | |
Seite?“, fragt der Moderator. | |
Gemeint sind die Ufer des Tigris. Mehr sollen die IS-Kämpfer, die es hören, | |
nicht erfahren. Denn die Anrufe sind lebensgefährlich. Wer sich dem Regime | |
der Extremisten widersetzt oder in Verdacht gerät, Informationen an ihre | |
Gegner zu übermitteln, den bringen sie um. | |
Manchmal ist es nicht mehr als ein Lebenszeichen an die Angehörigen in der | |
Stadt. „Ich bin in Sicherheit, macht euch keine Sorgen“, sagt ein Mann. | |
Andere senden Grüße aus dem Ausland, auch ein Hörer aus der Schweiz ist | |
dabei. Die „sechste Brücke“ über den Tigris nennen viele den Sender. Die | |
fünf Brücken, die den Fluss überspannen, hat die von den Amerikanern | |
angeführte Anti-IS-Koalition zerbombt, um den das Übersetzen der | |
Extremisten zu verhindern. | |
## Die sechste Brücke steht | |
Aber die Radiobrücke funktioniert. Täglich nehmen die Moderatoren | |
Dutzende Anrufe entgegen. „Und es werden immer mehr“, sagt Moslawi. Der | |
kleine Piratensender, der fast ausschließlich Musik spielte, als er im März | |
2015 an den Start ging, hat sich zu einem Sender mit einem vielfältigen | |
Programm entwickelt. Inzwischen produziere das kleine Team von 18 | |
Mitarbeitern 16 Programme, sagt Moslawi. | |
Ein Professor in islamischer Theologie seziert die IS-Ideologie. In einer | |
Gesundheitssendung gibt ein Experte Auskunft, wie man aus Kräutern Medizin | |
herstellen kann. In einer anderen Sendung geht es um die spezielle Kultur | |
der Stadt am Tigris: ihre Erzählungen, Musik oder Architektur. Wie die | |
Zuhörer stammen auch die Moderatoren aus Mossul, Moslawis, wie man sie im | |
Irak nennt. „Ein Sender von Moslawis für Moslawis“, sagt der Direktor. | |
Immer wieder beschweren sich Hörer freilich auch über die Angriffe der | |
Armee. „Sie schießen Raketen und zünden Autobomben“, sagt ein Mann mit | |
Blick auf die IS-Kämpfer. „Dann bombardiert die Armee. Aber hier wohnen | |
Zivilisten. Es gibt viele Opfer.“ | |
Er ist nicht der Einzige, auch andere fordern, dass die Armee mehr | |
Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen müsse. Aber nicht nur aus dem vom | |
IS kontrollierten Westteil gibt es Kritik, sondern auch aus dem Ostteil, | |
aus dem die irakischen Truppen den IS Ende Januar nach fast vier Monaten | |
harter Kämpfe vertrieben haben. „Wir haben mehr als zwei Jahre auf die | |
Befreiung gewartet“, sagt ein Mann, der sich Safir nennt. | |
„Und jetzt das: Die Regierungsvertreter vergeuden Millionen für ihre | |
Treffen. Aber wir haben nichts, kein Essen, kein Strom, kein Wasser.“ Die | |
Offiziellen sollten sich die Klagen genau anhören, sagt Moslawi. „Es geht | |
um die Zukunft unserer Stadt. Die Menschen brauchen Hoffnung.“ | |
20 Feb 2017 | |
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## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
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