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# taz.de -- Demonstrationen in Rumänien: Demokratie im Dunkeln
> Die Proteste in Rumänien gehen weiter, obwohl die strittige Verordnung
> inzwischen zurückgenommen wurde. Es geht um mehr: den Rücktritt der
> Regierung.
Bild: 12. Januar 2017. Seit zwei Wochen ist der Platz des Sieges in Bukarest Tr…
Bukarest taz | Am Platz des Sieges herrscht am Samstag Bereitschaftsdienst.
Die Absperrgitter vor dem Regierungsgebäude sind zur Seite geräumt, eine
Gruppe Polizisten steht scherzend zwischen Schneebergen, die Männer
klatschen ihre Handschuhe aufeinander. An einem Baum wehen einige
blau-gelb-rote Fähnchen im Wind, die Farben Rumäniens. Seit zwei Wochen
finden hier allabendlich Demonstrationen statt, denen sich immer mehr Leute
anschließen. Die Fahrzeuge der Fernsehteams stehen vorsorglich am Rand des
Platzes. Obwohl erst Nachmittag, leuchtet die Lichtprojektion mit der
Inschrift #Rezist bereits an einem der umliegenden Wohnblöcke auf.
In der Mitte des Platzes trotzt eine Handvoll Radfahrerinnen, kräftig
strampelnd, der eisigen Kälte. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass
ihre Räder fest montiert sind. Vor ihnen ein Pappschild mit der Aufschrift
Nu legalizaţi hoţia – Keine Legalisierung von Diebstahl!. „Wir wollen
zeigen, dass wir auch im Alltagsleben die Augen offenhalten“, sagt eine
Radlerin. Doch es geht um mehr. „Wir wollen uns vorwärts bewegen, aber
kommen nicht vom Fleck – so wie unser Land.“
Es ist die Korruption innerhalb der politischen Elite, die Rumänien
lahmlegt. Vor knapp zwei Wochen hatte die neu gewählte Regierung ein Dekret
zur Straffreiheit bei Amtsmissbrauch angekündigt – unterhalb einer Summe
von umgerechnet knapp 45.000 Euro. Hunderte Politiker wären einer
Strafverfolgung entgangen – unter ihnen der Chef der regierenden PSD, Liviu
Dragnea. Doch so weit kam es nicht.
## 1989 ist präsent
Seit der Ankündigung ziehen Abend für Abend Menschen durch die Straßen;
auch in anderen Städten des Landes gab es Demonstrationen, letzte Woche
waren es an die 700.000 Teilnehmer. Staatspräsident Klaus Johannis
solidarisierte sich mit den Demonstranten. Dass die Regierung die
Verordnung inzwischen zurückgezogen, dass sie ein Misstrauensvotum überlebt
hat, dass der Justizminister zurückgetreten ist, ja selbst, dass es nun ein
Referendum zu der Frage geben soll – nichts konnte die Demonstranten
bislang befriedigen. Sie fordern den Rücktritt der sozialdemokratischen
Regierung unter Premierminister Sorin Grindeanu.
Inzwischen ist die Dämmerung angebrochen, immer mehr Demonstranten
versammeln sich auf dem Platz. Elena Brodeala ist extra wegen der Proteste
in ihre Heimat gekommen. Die 28-jährige Juristin promoviert derzeit in
Florenz über Verfassungsrecht. Sie drückt ihrem Vater ein selbst
beschriftetes Schild in die Hand. „Wir haben eine niedrige Rente, aber
Ehrlichkeit ist uns wichtiger als Geld“ steht darauf. Eine Anspielung auf
das Versprechen der Regierung, die Rente zu erhöhen.
Radu Brodeala ist mit 62 Jahren einer der älteren Teilnehmer. Er lebt sonst
in einem kleinen Dorf in Transsilvanien, wollte aber seine Tochter besuchen
und kam stattdessen mit ihr zu den Protesten. Ob es zwischen ihnen keinen
Streit gibt? „Natürlich haben wir politische Differenzen, aber wir stehen
auf derselben Seite“, sagt Elena Brodeala. „Ich bin schon lange gegen die
PSD“, fügt ihr Vater hinzu. Das liegt auch an der Familiengeschichte, die
von Dissidententum und dem Widerstand gegen den Kommunismus geprägt ist.
Die Sprechchöre ringsum werden lauter. PSD, ciuma roşie! – PSD, rote Plage!
Einige Demonstranten schwenken Rumänienflaggen mit einem Loch in der Mitte.
Eine Erinnerung an die Proteste von 1989, als die Demonstranten das Wappen
der Sozialistischen Republik Rumänien heraus schnitten. Die Vergangenheit
ist auch hier präsent. Und die PSD – als indirekter Nachfolger der
Kommunistischen Partei – steht für sie wie keine andere Partei. Auch wenn
sie in Wirklichkeit eine konservative Kraft mit teils nationalistischen und
antieuropäischen Stimmen ist.
## „Wir haben geschlafen“
„Mich macht vor allem diese Selbstgerechtigkeit, mit der sie ihre
Entscheidungen treffen, wütend“, sagt Ciprian Gal, „was glauben sie denn?
Dass wir schweigend zusehen?“ Der 29-Jährige wärmt sich in einem Café in
der Innenstadt Bukarests auf. Der Kaffee wird auf kleinen runden
Holzbrettchen serviert. Das Publikum ist jung, die Universität gleich um
die Ecke. Von Unruhe oder Ausnahmezustand ist hier nichts zu spüren.
Gal hat Soziologie studiert, inzwischen arbeitet er für eine große NGO.
Seit Beginn der Proteste verbringt auch er fast jeden Abend auf dem Platz
des Sieges. Es ist nicht das erste Mal, dass er gegen Korruption und die
Arroganz der Mächtigen demonstriert. Im Oktober 2015 war es zu einem Brand
im Bukarester Klub Colektiv gekommen. Sicherheitsvorkehrungen waren
ignoriert worden, Verantwortliche bestochen. 64 Menschen starben, über
hundert wurden verletzt. „Ich kannte einige von ihnen“, Ciprian schaut im
Raum umher, als würde er nach den Überlebenden Ausschau halten. „Irgendwann
verwandelte sich unser Schmerz in Ärger.“
Die Proteste im Jahr 2015 gegen die Regierung unter Premierminister Victor
Ponta, gegen den zu dieser Zeit bereits wegen Betrug ermittelt wurde,
führten dazu, dass die Regierung nach wenigen Tagen zurücktrat. Bis zu den
nächsten Wahlen wurde eine Interimsregierung aus Technokraten gebildet. „Es
war das erste Mal, dass wir uns gehört fühlten“, versucht Ciprian Gal zu
erklären, „Wir waren so froh über die Art und Weise, wie die neue Regierung
arbeitete, dass wir ein Jahr lang geschlafen haben.“ Bei den Wahlen im
Dezember 2016 wird die PSD zur Überraschung vieler wieder stärkste Partei.
Die Wahlbeteiligung ist niedrig, viele junge Menschen gehen nicht zur Wahl.
Ciprian nimmt einen Schluck von seinem Cappuccino. Im Hintergrund läuft
Elektro. „Was wir hier erleben, ist auch ein Generationenkonflikt“, sagt
er. Ein Telefonat mit seinen Eltern vor ein paar Tagen endete im Streit.
Während Ciprian gegen die regierende PSD demonstriert, verteidigen seine
Eltern sie als Partei, die sich um die Menschen kümmere. Sie fühlen sich
abgehängt, glaubt er, verstehen die Sprache der progressiven Kräfte nicht.
Deswegen klammern sie sich an das, was ihnen vertraut ist.
## Klein aber laut: die Gegendemonstranten
Vor der Residenz des Präsidenten lässt sich das auf zugespitzte Art
beobachten. Der Cotroceni-Palast liegt im Westen der Stadt, etwas außerhalb
des Zentrums. Im Vergleich zum Haus des Volkes, Nicolae Ceaușescus
ehemaliger Machtzentrale, in der heute das Parlament untergebracht ist,
wirkt der Präsidentenpalast fast winzig. Die Bürgersteige sind mit einer
Eisschicht überzogen, aus den Gullys steigt weißer Dampf. Am Nachmittag
haben sich hier etwa vierzig Demonstranten versammelt. Der
Altersdurchschnitt liegt bei mindestens fünfzig Jahren. Mit Vuvuzelas und
Plakaten fordern sie lautstark den Rücktritt von Klaus Johannis, der – wie
schon 2015 – sich auf die Seite der Protestierenden gestellt hat.
„Der Präsident hat unser Land verraten“, ruft ein älterer Mann mit
erhobenen Zeigefinger. „Die Proteste gegen die Regierung sind vom
Geheimdienst geplant und organisiert“, schreit ein anderer Mann. Immer mehr
wütende Zeigefinger schießen in die Höhe, dafür dass die Gruppe relativ
klein ist, macht sie relativ viel Lärm. Alle sprechen aufgeregt
durcheinander. Die Regierung sei demokratisch gewählt worden, man könne ihr
nicht ihre Wahlstimmen nehmen. Was einem hier entgegenschlägt, ist eine
Mischung aus persönlichem Frust, Verschwörungstheorien und dem Gefühl,
nicht gehört zu werden.
Die Regierungsbefürworter sind jedoch weit in der Minderheit. Am Abend sind
wieder Tausende Menschen auf dem Platz des Sieges versammelt, trotz minus
zwölf Grad, die meisten tragen dicke Pelzjacken oder Skianzüge. Sie haben
selbst gebastelte Pappschilder dabei und schwenken Fahnen. Polizisten
beginnen die Absperrgitter aufzustellen. Die Stimmung ist friedlich. Am
Rand des Platzes verteilt eine junge Frau in Pelzmütze heißen Tee. Als sie
erfährt, dass auch Reporter aus dem Ausland da sind, lächelt sie. „Die
ganze Welt schaut auf uns. Ich bin so stolz auf unser Land.“ Ihre Worte
verstummen in den Sprechchören der Demonstranten. Demisia! – Rücktritt!
## Bis zum Rücktritt bleiben
„Ich hoffe natürlich, dass diese Regierung zurücktritt“, antwortet die
Studentin Elena Brodeala auf die Frage nach ihren Erwartungen. „Trotzdem
werden wir weiterhin eine sozialdemokratische Regierung haben. Schließlich
haben sie die Wahl gewonnen.“ Die angehende Juristin respektiert die
demokratischen Spielregeln, während die Regierung sie missachtet, und so
viel erwartet sie von einer Demokratie: Transparenz und – dass sie gehört
werden. Viele sind wie sie dank des Streits über das inzwischen berühmte
Dekret OUG 13 zu Rechtsexperten geworden. Auch Brodeala teilt ihr
Fachwissen – auf Facebook. „Das hier ist auch ein Stück politische
Bildung“, sagt sie lächelnd.
Der Großteil der Demonstranten ist unter vierzig, doch es sind auch Kinder
und Rentner dabei. Eine ältere Frau hält ein Schild hoch mit der Aufschrift
„Wach auf, Rumänien“. Ihre Augen tränen vor Kälte. Warum sie hier ist? �…
möchte nicht, dass so viele Menschen für nichts gestorben sind“, sagt sie.
Unter dem Arm trägt sie ein Buch über die Revolution. Darauf zu sehen ist
ein Bild von Nicolae Ceaușescu. „Wir wollen keinen neuen Diktator“, fügt
sie hinzu und meint damit den Chef der PSD, Liviu Dragnea.
Plötzlich läuft ein junger Mann mit EU-Flagge auf Elena Brodeala und ihren
Vater zu und fragt, ob er ein Foto von ihnen machen könne. Er will seinem
Vater beweisen, dass es möglich ist, dass Eltern und Kinder gemeinsam
demonstrieren.
„Ehrlich gesagt, glaube ich, dass die Proteste bald abklingen werden“, hat
Ciprian Gal im Café gesagt. „Aber wir sind wachsam. Wenn die Regierung
wieder so etwas probiert, kommen wir zurück.“ Noch sind sie da. Am
Sonntagabend versammeln sich 70.000 Menschen auf dem Platz de Sieges, so
viele wie schon seit Tagen nicht mehr.
16 Feb 2017
## AUTOREN
Paul Toetzke
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Rumänien
Schwerpunkt Korruption
Demonstrationen
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