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# taz.de -- Alternativen zu Tierversuchen: Dem Schwein ins Auge schauen
> Forscher der Uni Leipzig machen Gewebe länger haltbar. Lebende
> Versuchstiere können so durch Überbleibsel von Schlachttieren ersetzt
> werden.
Bild: Im Fokus vom Forschungsprojekt „Eyeculture“ steht das Schweineauge
LEIPZIG taz | Das Plättchen ist gerade mal so groß wie ein Zwei-Euro-Stück
und federleicht. Das Titanoxid schimmert matt im grellen Licht des Büros
von Dr. Mareike Zink. Die junge Physikerin und Projektleiterin von
„Eyeculture“ hält behutsam das unbehandelte Stück Metall zwischen ihrem
rechten Daumen und Zeigefinger. Für neugierige Blicke hat sie immer eins
parat.
Noch wirkt das Ganze recht unspektakulär. Die Vorstellungskraft reicht
nicht aus, um zu verstehen, wie so ein kleines Plättchen den Tierversuchen
den garaus machen soll.Die Idee: Gewebe aus tierischen Schlachtabfällen
wird auf das Plättchen gespannt; durch eine Flüssigkeit mit Nährstoffen
werden die Zellen am Leben erhalten. Auf Versuche am lebenden Tier kann
dadurch verzichtet werden.
Eine Untersuchung der Tierhilfsorganisation Peta hat im Januar gezeigt,
dass alle elf Sekunden ein Versuchstier in deutschen Laboren stirbt. Zudem
sind die Bedingungen oft unwürdig. „Es geht darum, etwas zu entwickeln, das
Tierversuche komplett ersetzt, verbessert oder zumindest teilweise
reduziert“, erklärt Zink – „im Sinne des Tierschutzes.“
Bei vergleichbaren Verfahren mit Zellulose- oder Polymerfiltern gab es
bislang das Problem der Haltbarkeit. Das Gewebe kann hier während der
Untersuchungen nur noch begrenzt mit Nährstoffen versorgt werden. Bestimmte
Zelltypen beginnen innerhalb weniger Stunden abzusterben. Die
Versuchsmöglichkeiten sind dementsprechend eingeschränkt. Mit den
Titanoxidplättchen steigt die Haltbarkeit des Gewebes auf bis zu zwei
Wochen.
## Ohne Röhrchen keine Haftung
Voraussetzung dafür ist die durchgängige Haftung zwischen Gewebe und
Plättchen. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Stefan Mayr vom Leibniz-Institut
für Oberflächenmodifizierung e. V. hat hierzu ein Ätzverfahren entwickelt,
mit dem sich das Struktur der Plättchen anpassen lässt.
Kleine Röhrchen aus Titandioxid werden hineingeätzt. Diese sind tausendfach
kleiner als ein Haar. Die Röhrchen unterstützen das Anhaften des Gewebes an
das Titanoxidplättchen. Ohne Röhrchen keine Haftung. Wichtig dafür ist die
korrekte Röhrchengröße. Bereits kleine Abweichungen führen dazu, dass das
Gewebe abstirbt.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert das
Projekt „Eyeculture“ seit August 2015 im Rahmen der Initiative
„Alternativmethoden zum Tierversuch“. Seit 1980 wurden von Regierungsseite
mehr als 500 solcher Projekte mit insgesamt rund 170 Millionen Euro
gefördert.
Laut BMBF-Pressesprecher Markus Fels wurde „Eyeculture“ „von einem
unabhängigen Expertenkreis als besonders vielversprechend und innovativ
bewertet“ und deshalb zur Förderung empfohlen. Angelegt ist diese
finanzielle Unterstützung auf drei Jahre, also bis 2018. Ein europäisches
Patent wurde bereits angemeldet.
## Belastungstest für das Schweineauge
Momentan handelt es sich bei dem verwendeten Gewebe vornehmlich um
Schweineaugen. Die bekommen die Forscher von einem Leipziger Schlachthof.
Für die Verwertung des Tiers als Nahrungsmittel sind die Augen
uninteressant. Der Schlachter entfernt sie innerhalb weniger Sekunden, und
die Wissenschaftler lassen sie so schnell wie möglich abholen. Da jeden Tag
geschlachtet wird, könnte das Team um Dr. Mareike Zink theoretisch jeden
Tag Nachschub holen.
Zink nutzt Schweineaugen, weil diese dem menschlichen Auge viel ähnlicher
sind, als die von Ratten oder Mäusen. Zudem wären Mäuseaugen viel zu klein
für Zinks Versuche, die sich vor allem auf physikalischen Eigenschaften des
Gewebes fokussieren. Unter anderem untersucht sie die Belastbarkeit der
Retina – auch Netzhaut genannt.
Veränderungen an diesem Gewebe rufen die meisten Erblindungen hervor, zum
Beispiel bei der Netzhautablösung. Die Retina ist ein mehrschichtiges
spezialisiertes Nervengewebe. In der Netzhaut wird das einfallende Licht,
nachdem es die Hornhaut, die Linse und den Glaskörper durchquert hat, in
einen Nervenimpuls für das Gehirn umgewandelt. Das heißt: Ohne die Retina
können wir nicht sehen.
Die Retina umspannt das Auge und ist an dessen hinterem Teil befestigt.
Aufgrund ihrer gebogenen Form allerdings rollt sie sich bei
netzhautchirurgischen Eingriffen leicht zusammen. Das kann bei den
Titanoxidplättchen von Dr. Mareike Zink und ihren Kollegen nicht passieren
– ein weiterer Vorteil zu den bislang verwendeten Methoden.
Wie ein dünner Film schmiegt sich das Gewebe an die Nanoröhrchenplatte und
dennoch ist es möglich, die Elastizität des Auges zu untersuchen. Mareike
Zink erklärt: „Bei lebendigen Tieren wäre das gar nicht machbar und auch
nicht wünschenswert, da es den Schweinen große Schmerzen zufügen würde.“
## Vom Gehirn bis zur Krebsforschung
Verschiedene kleinere Firmen sind bereits auf die Titanoxidplättchen
aufmerksam geworden. Auch, weil die Methode extrem kostengünstig ist. Die
Herstellung der Titanoxidplatten kostet gerade mal ein bis zwei Euro.
Außerdem lassen sich die Platten einfach reinigen und wiederverwenden. Das
ist bei anderen Methoden nicht gegeben. Die Membranfilter, die
üblicherweise bei anderen Methoden verwendet werden, sind also längst nicht
so ressourcensparend wie die Plättchen.
Doch bei den großen Herstellerfirmen für Zellulose- oder Polymerfilter
stoßen die Forscher meistens auf taube Ohren: „Neue Methoden fordern häufig
auch einen Paradigmenwechsel.“ Deshalb sei es schwierig, einen Fuß in die
Tür zu bekommen, sagt Zink. „Aber wir sind da dran.“
Doch nicht nur Teile vom Augen lassen sich auf den Titanoxidplättchen im
Labor erhalten. Auch andere Gewebe, zum Beispiel vom Gehirn, lassen sich
mit dieser Methode außerhalb des Körpers kultivieren. Allerdings besitzt
jedes Gewebe seine eigene interne Struktur, die andere Anforderungen an die
Größe der röhrenförmigen Löcher in den Titanoxidplatten stellt. So müssen
die Wissenschaftler die Methode immer wieder neu anpassen.
Aber noch ein anderes Forschungsfeld könnte für die Physiker interessant
werden. Mareike Zink und ihr Team werden in der Zukunft mit der
Universitätsklinik zusammenarbeiten. Dort wäre es möglich, Tumorgewebe zu
kultivieren und auch hier die physikalischen Eigenschaften des Krebsgewebes
zu untersuchen.
Möglicherweise könnte das Aufschluss darüber geben, warum Zellen Metastasen
bilden. Ein besseres Verständnis der Tumorausbreitung könnte ein
entscheidender Schritt in der Krebsforschung sein – und das alles ganz ohne
Tierversuche.
12 Feb 2017
## AUTOREN
Carina Fron
## TAGS
Schwerpunkt taz Leipzig
Schweine
Universität Leipzig
Tierversuche
Biologie
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Tierschutz
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