# taz.de -- Die Wahrheit: Im Rausch der Tiefe | |
> Biologie und Komik: Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung. | |
> Teil 24 der Serie begibt sich heute in die Untiefen der Unterwasserwelt. | |
Bild: So mancher Fisch ist bass erstaunt über die Verspieltheit der Taucher in… | |
Die Innsbrucker Verhaltensforscherin Ellen Thaler taucht regelmäßig in | |
Korallengärten. Auf den Seychellen stieß sie beim Tauchen im Vorriff auf | |
einen drei Meter großen Zackenbarsch. Beide bewegten sich nicht. Ellen | |
Thaler blätterte hastig in ihrem wasserfesten Bestimmungsbuch, der Eintrag | |
„Bisher keine Übergriffe auf Taucher bekannt“ beruhigte sie. Der Barsch | |
wurde entspannt von ein paar Putzerfischen bedient, als sie fertig waren, | |
ließ er sich sinken und entschwand ihrem Blick. | |
An der nämlichen Stelle aber traf sie ihn danach noch viele Jahre wieder. | |
2010 wurde er jedoch „zu Tode geangelt“, wie sie in ihrer Sammlung von | |
Reiseberichten „Die Stunde des Chamäleons“ schreibt. In ihrem Buch „Fisc… | |
beobachten“ heißt es dazu, sie wolle (vor allem den Aquarianern) „zeigen, | |
dass bei all dem umfassenden Wissen über Technik und Systematik allzu oft | |
etwas Wesentliches auf der Strecke bleibt: nämlich die Koralle, der Krebs | |
hier, die Muschel dort und schon gar der Fisch, das Individuum also, an dem | |
wir unsere helle Freude haben sollten!“ | |
Ein ähnliches Erlebnis wie Ellen Thaler hatte die amerikanische | |
Unterwasserfilmerin Julia Whitty, über das sie in ihrem Buch „Riff – | |
Begegnungen mit verborgenen Welten zwischen Land und Meer“ (2009) | |
berichtete: Auf der Südseeinsel Rangiroa lernte sie unter Wasser eine zwei | |
Meter lange Riesenmuräne kennen – „als freundliches und neugieriges | |
Geschöpf“. Die Einheimischen nannten sie Vaihiria. Nachts schwamm diese | |
„Königin der Lagune von Rangiroa“ zum hell erleuchteten Steg des | |
Strandhotels, wo die Urlaubsgäste ihr Brot zuwarfen. Sie bewohnte „eine | |
Ansammlung zerbrochener Acropora-Korallen“. | |
## Beunruhigend freundliche Muräne | |
Einmal fand die Autorin sie zusammengerollt in einem versunkenen Boot, wo | |
sie sich von einem Putzergarnelenpaar und einem Kaiserfisch Parasiten | |
entfernen ließ. Anschließend schwamm sie hinter Julia Whitty her: „Es ist | |
immer etwas beunruhigend, mit einer frei schwimmenden Muräne unter Wasser | |
zu sein, vor allem, wenn sie groß ist“, meint die Autorin. Vaihiria folgte | |
ihr, „auch wenn ich mich noch so bemühte, ihr die Führungsrolle | |
zuzuschieben“. Manchmal verschwand sie in einer Riffspalte und kam aus | |
einer anderen wieder heraus – sie kannte sich in der Lagune aus. Aber dann | |
verkaufte der französische Hotelbesitzer das Anwesen an Japaner, und die | |
fanden, „dass die große frei umherschwimmende Muräne eine Gefahr für die | |
tauchenden Gäste“ war. Sie beauftragten jemanden, der hinausschwamm und sie | |
mit einem Harpunengewehr erschoss. | |
Ganz anders als diese Unterwasserbeobachtungen sind dagegen die | |
männiglichen Meeresforschungsberichte: zum Beispiel John Steinbecks | |
„Geschichte einer Expedition: Logbuch des Lebens“: 1944 mietete der | |
Schriftsteller zusammen mit seinem Freund Ed Ricket eine Jacht samt | |
Mannschaft, mit der sie von der Fischverarbeitungsstadt Monterey in den | |
Golf von Kalifornien fuhren. Sein Freund hatte eine Firma, Pacific | |
Biological Laboratories, in der Cannery Row. Er ließ Kinder und Arbeitslose | |
Frösche, Schlangen und vor allem Katzen sammeln, die er dann en gros oder | |
sogar en détail an Forschungslabore verkaufte. Bei ihrer Expedition ging es | |
um Meerestiere. Während der ganzen Fahrt sammelten, fischten und erschossen | |
sie Fische, Schnecken, Muscheln, Krabben, Krebse – zentnerweise. | |
## Betrunkene Kindsköpfe | |
Es war eine Hemingway’sche Abenteuertour: zwei alte Männer und das Meer, | |
dessen Bewohner sie massenweise zur Strecke brachten. Diese „Strecke“ war | |
vollkommen sinnlos. Zwar bemerkt Steinbeck in seinem „Logbuch“ | |
gelegentlich, dass er diese oder jene gefangene Art kannte oder eine andere | |
Art ihm vollkommen unbekannt war, aber viel mehr als die Namen schien die | |
beiden Männer auch nicht zu interessieren. Zum Teil schmissen sie ihren | |
Fang wieder über Bord. Kurzum, sie hinterließen im Kielwasser eine Spur der | |
Verwüstung maritimen Lebens, kamen sich dabei aber vor wie Darwin auf der | |
„Beagle“. Zwei schreckliche Kindsköpfe, die nach Sonnenuntergang betrunken | |
über die individuelle „Kreativität“ räsonierten. „Rickets Credo“, sc… | |
Steinbeck, lautete: „Wir müssen mit dem, was uns zu Gebote steht, so viel | |
Freude wie möglich erringen!“ | |
An anderer Stelle heißt es: „Nach unserer Rückkehr machten wir uns sogleich | |
ans Werk, die Tausende aufgesammelten Tiere wissenschaftlich auszuwerten. | |
Unser Bestreben war weniger auf Entdeckung neuer Arten ausgerichtet als auf | |
eine Geographie der pazifischen Fauna.“ Sie hatten den Fangort der Tiere | |
jedoch ebenso wenig auf ihren Transportkisten und -gläsern vermerkt wie | |
Charles Darwin seine Sammlung auf den Galapagosinseln. Das immerhin hatten | |
sie mit ihm gemeinsam. Im Gegensatz zu ihm etikettierten sie ihre Tiere | |
jedoch gar nicht: „Etiketten aber, genauer, die Information, die sie | |
enthalten, machen ein gesammeltes Objekt erst zu dem, was es sein soll, | |
nämlich zu einem wissenschaftlichen Gegenstand“, wie der Insektenforscher | |
Michael Ohl in seinem Taxonomielehrbuch „Die Kunst der Benennung“ (2015) | |
schreibt. | |
So erbrachte zum Beispiel die einjährige deutsche Tiefsee-Expedition mit | |
dem Dampfer „Valdivia“ (1898–99) eine derartige „Ausbeute“, dass die | |
Herausgabe des wissenschaftlichen Berichts in 24 Bänden erst 1940 | |
abgeschlossen wurde. Im Berliner Naturkundemuseum ist der für Crustacea | |
zuständige Wissenschaftler sogar noch heute damit beschäftigt, die von der | |
Expedition heimgebrachten Flohkrebse zu bearbeiten. | |
## Freundschaft mit Zackenbarsch | |
Nicht viel besser als Steinbecks Berichte über Meerestiere sind die des | |
Humanethologen Irenäus Eibl-Eibesfeldt in seinem 1971 veröffentlichten | |
Bericht über seine Taucherlebnisse auf den Malediven „Im Reich der Atolle“. | |
Darin heißt es: „Bereits nach wenigen Tagen kannte ich eine Reihe von | |
Fischen persönlich. Mit einem gefleckten Zackenbarsch schloß ich bald | |
Freundschaft.“ Das ist aber wohl nur so dahingesagt, denn zum einen | |
scheinen ihn ebenso wie seinen Mittaucher, den Unterwasserfilmer Hans Hass, | |
eher Haie interessiert zu haben, an denen die beiden neue Haiabwehrmittel | |
und -waffen testeten, wobei es Eibl-Eibesfeldt um die Erforschung von | |
„Raubtierinstinkten“ bei Riffhaien ging; und zum anderen berichtete er in | |
seinem Buch viel ausführlicher über „Putzerfische“, über die jedoch so v… | |
geforscht wurde und wird, dass seine Bemerkungen über sie nicht viel | |
besagen. | |
Männer sind vielleicht sowieso besser als Frauen in der Lage, sich mit | |
toten Fischen zu unterhalten. Die Zeit nannte den Angelsport einmal eine | |
„Männerbastion“, es ist das männliche Pendant zum Yoga. Der thüringische | |
Schriftsteller Landolf Scherzer heuerte 1977 gleich auf dem „Fang- und | |
Verarbeitungsschiff Hans Fallada“ als „Produktionsarbeiter“ an. Die Fahrt | |
ging nach Labrador. Die DDR hatte von Lizenzhändlern eine kanadische | |
Fanglizenz – mit Mengenbeschränkung – gekauft. Als sie in ihrem Fanggebiet | |
ankamen, waren dort schon zwei andere DDR-Fischereischiffe sowie zwei | |
polnische, ein dänisches, ein bulgarisches und vier westdeutsche. Weil | |
Scherzer die Verarbeitung der Fischmassen auf dem Fließband nicht | |
gleichgültig ließ, führte er manchmal Gespräche mit einem toten Kabeljau. | |
Zuvor hatte er sich auch schon mit einem im sibirischen Baikalsee lebenden | |
Omul (einer Lachsart) unterhalten. Merkwürdigerweise tat das zur selben | |
Zeit auch Peter Schütt, ein der DKP nahestehender westdeutscher Dichter. | |
Beide berichteten anschließend darüber in ihren Sibirien-Reisebüchern. | |
Damals hatte der „Fischfreund“ Breschnew gerade die Rettung des Sees | |
verfügt, erklärte dazu der Dichter seinen westdeutschen Lesern. | |
30 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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