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# taz.de -- Neuer Sport-Trend „Playfight“: Lass uns balgen, aber friedlich!
> Fremde treffen sich zum spielerischen Raufen – „Playfight“ heißt der
> Trend und erobert gerade die Yogastudios der Großstädte. Warum?
Bild: Was als Raufen beginnt, endet beim Playfight oft in langen Umarmungen
Noch wissen sie es nicht, aber in einer Stunde werden sich Wiebke und
Johann anbrüllen. Wie zwei Panther, die auf der Lauer liegen, werden sie
sich gegenüberhocken, anfunkeln, fauchen, kreischen, balgen und
schließlich: in einer langen Umarmung Frieden finden.
Noch hat der Abend aber erst begonnen, an diesem Mittwoch in Berlin, und
Wiebke tastet sich auf allen vieren in die Mitte des Personenkreises. Ihr
Blick wandert umher, bis ein hochgewachsener Mann in ihre Richtung nickt.
„Ich kann heute dein Bruder sein“, sagt er, robbt auf Wiebke zu, hebt seine
Hände und wartet, bis sie ihren schmalen Arm erst sanft, dann immer
druckvoller gegen ihn stemmt. Ein erstes Kräftemessen, dann ringen die
KontrahentInnen, verkrallen sich und halten einander, um sich im nächsten
Moment auf die Gymnastikmatte zu drücken.
Was hier passiert, ist schwer auszumachen: Sport, Verhaltenstraining, ein
soziales Experiment; der nächste Freizeittrend für distinktionsbewusste
GroßstädterInnen, die des Schwarzlichtminigolfens und der
Frühstückstechnopartys überdrüssig sind?
Wenn man so will, haben Playfights – zu übersetzen als „spielerisches
Raufen“ – ein wenig von alledem. Für den Verhaltenscoach Richard Sima
jedoch gleichen die Kämpfe einem leidenschaftlichen Tango: „Man tritt nicht
gegeneinander an, sondern miteinander“, sagt er. Seit September bietet die
Playfight-Abende wöchentlich im Meditationszentrum Osho Mauz an, einem
kleinen Kreuzberger Hinterhofstudio. Wenn hier keine Rauftreffen
stattfinden – die mit der Lehre Oshos, dem Begründer der Bhagwan-Bewegung,
nichts zu tun haben –, werden Yogamatten ausgebreitet und Atemworkshops
veranstaltet. In einer Kampfkunstschule im benachbarten Neukölln trifft man
sich seit 2011 einmal im Monat zum Raufen, in München, dem deutschen
Playfight-Epizentrum, gar seit mehr als zwölf Jahren. Auch in Städten wie
Leipzig, Bremen, Wien und Mailand finden spielerische Kampftreffen statt.
Es ist ein Trend, der einer Serie über neurotische Millennials entstammen
könnte: Fremde treffen aufeinander, um zu balgen wie zuletzt auf dem
Schulhof.
## Der Kampf ist Selbstzweck
Sima, Anfang 50, feste Stimme und fester Blick, hat den Playfight vor fünf
Jahren entdeckt. Für ihn sind spielerische Kämpfe eine gute Schule, um
Selbstvertrauen zu vermitteln. Ein Angebot, das einen Nerv zu treffen
scheint: Menschen von 20 bis 60, vom Studenten bis zur Rechtsanwältin,
seien schon zu seinen Treffen gekommen.
Neulich, erzählt er, habe ihn eine Reporterin besucht, die glaubte, das
Treffen sei eine Art „Fight Club“, eine Geheimloge für frustrierte,
prügelwütige GewaltfetischistInnen. Etwas enttäuscht sei sie schließlich
nach Hause gegangen: Nicht nach Testosteron und feuchtem Keller riecht hier
die Luft, sondern nach Räucherstäbchen. „Menschen, die sich schlagen
wollen, kommen nicht zu uns“, sagt Sima.
Schwer vorstellbar ist es offenbar, in einem Studio mit sonnengelben Wänden
und Teeküche Nasenbeine zu brechen. Zu Chuck Palahniuks Dystopie verhält
sich das Osho Mauz wie ein Schlagring zu einer Duftkerze, gilt für die
Kämpfenden schließlich ein klarer Kodex: kein Hauen, kein Treten, kein
Kratzen, Beißen, Zwicken. Gerauft wird in Bodennähe, und droht ein Kampf zu
eskalieren, interveniert Sima.
Anders als im Kampfsport kann bei einem Playfight niemand gewinnen oder
verlieren. Das Balgen ist Selbstzweck, für manche auch: eine Technik, um
die ungestüme Energie der Kindertage ins Jetzt zu retten. „Hier kann man
sich Dinge erlauben, die man als Erwachsener normalerweise nicht mehr
darf“, sagt Sima. Aber auch: Dinge, die viele Teilnehmerinnen vielleicht
noch nie erprobt haben.
Denn Raufen impliziert, was Frauen nicht tun sollten – Kontrolle erringen,
Raum einnehmen, wild sein. Frank Taherkhani, Kampfsportler und
Playfight-Pionier in Deutschland, beschreibt in seinem Essay „Warum sich
Männer vor rauflustigen Frauen fürchten“ das subversive Moment am Balgen:
Während die Gesellschaft Männern nahelegt, sich einer Frau niemals
unterzuordnen, könne man beim Raufen sein Dominanzgebaren hinterfragen –
und vielleicht überwinden. Allein: Bei allem Willen, gelerntes Verhalten
hinter sich zu lassen, ist auch die Szene – zumindest in Berlin – selbst
Abbild der Verhältnisse. Geleitet werden beide Playfight-Treffen hier von
Männern.
Bevor die Kämpfe beginnen, will Sima den TeilnehmerInnen beibringen, Nein
zu sagen. In zwei Reihen stehen sich die KontrahentInnen gegenüber, alle in
Socken, manche mit schiefem, noch unsicherem Lächeln. Wiebke weiß, was nun
folgt: Nimm’s mir nicht übel, scheint ihr Gesichtsausdruck zu sagen, aber
gleich werde ich dich anherrschen. Eine Teilnehmerin läuft frontal auf sie
zu, bis Wiebke ihr mit einem lauten „Stopp“ bedeutet, nicht näherzutreten.
Viele bremsen ihren Partner auf halber Strecke, andere brechen erst ab,
wenn sie die Nasenspitze des Gegenübers berühren. Eine gute Übung, sagt
Sima, um zu lernen, die eigenen Grenzen abzustecken. Denn seine Grenzen
sollte man kennen, wenn der Kampf beginnt. Die KontrahentInnen finden sich
per Augenkontakt. Wer sich gegenseitig anschaut und nickt, lächelt oder
anders Einverständnis vermittelt, tritt gegeneinander an.
## „Auf dich hab ich mich die ganze Zeit gefreut“
Was man dann beobachten kann, ist ein Panoptikum der sozialen Interaktion:
vorsichtige Annäherungen und kurzer Kontrollverlust, wenn sich ein Neuling
aus der Umklammerung einer Kampferprobten zu lösen versucht; ein Duell mit
imaginären Laserschwertern, beendet von einem Wadenkrampf; zwei
Kontrahentinnen, die sich mit tiefen Blicken und den Worten „Auf dich hab
ich mich schon die ganze Zeit gefreut“ begegnen; High-Fives oder tiefe
Umarmungen zum Kampfende.
Im wattigen Ambiente eines Yogastudios entstehen menschliche
Ausnahmesituationen. Einem unbekannten Menschen gegenüberstehen, ringen,
bis das Blut in den Ohren rauscht, entkommen, packen, lachen: ein kurzer
Taumel, der sich – je nach Duell – ebenso unschuldig wie lustvoll anfühlen
kann. Es gibt kein klares Richtig, zu unterschiedlich sind die
Vorstellungen von einem spielerischen Kampf. Für manche TeilnehmerInnen,
das spürt man und sieht es, bedeutet Raufen auch: Nähe zu erfahren in einer
Gesellschaft, die an jeder Plakatwand Sex verspricht, aber echte
Körperlichkeit verurteilt.
Nach einem kurzen Kampf weiß jede/r, wie der Schweiß des Gegenübers riecht,
wie der andere atmet und guckt, wenn man seine Schultern auf den Boden
drückt. Das ist oft lustig, meist spannend – und manchmal befremdlich. In
fast allen Lebensbereichen, vom Büro bis zum Sexclub, gelten
selbstverständlich Codes. Doch welche sind das genau, wenn man mit
Unbekannten über Sportmatten rollt?
Was sich das Gegenüber vom Kampf verspricht, ist nie abzusehen. Man muss
genau beobachten und nachspüren, kann dabei immer danebenliegen. Nie geht
es nur um die eigenen Grenzen – sondern immer auch um die der anderen. Und
so sind Playfights ein symptomatischer Trend in Zeiten, in denen soziale
Regelwerke vielerorts auf dem Prüfstand sind. Was okay ist und was nicht,
wird hier vermittelt, muss man immer wieder neu aushandeln.
Wiebke und Johann, die beiden letzten KontrahentInnen des Abends, wollen
sich anschreien. Wenn sie aufeinander losgehen, angriffslustig, nie aber
feindselig, scheinen sie dem Kräftemessen den heiligen Ernst auszutreiben.
Während schließlich alle zusammenpacken, sitzen Wiebke und Johann auf den
Matten und halten einander fest. Was gerade noch folgerichtig scheint, wird
sich im Rückblick, auf dem Weg durch die kalte Berliner Nacht, absurd
anfühlen: In einem Kreuzberger Sportstudio sind zwei erwachsene Menschen zu
Raubkatzen mutiert. Ein archaisches Bedürfnis ist gesellschaftsfähig
geworden. Ein bisschen zumindest.
29 Jan 2017
## AUTOREN
Julia Lorenz
## TAGS
Yoga
Fremde
Schweiß
Sex
Lesestück Recherche und Reportage
Sex
Streitfrage
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