# taz.de -- Theater in Kiel: Gefragter Neuankömmling | |
> Mit „The trip“ wurde der syrische Regisseur Anis Hamdoun 2015 zum | |
> gefragten Theatermacher. In Kiel erzählt jetzt sein Stück „Odyssee“ vom | |
> Leben zwischen Heimweh und Assimilationslust | |
Bild: Anis Hamdoun sei längst deutscher als die deutschen, sagen seine Freunde. | |
KIEL taz | Die Bühne: ein Eiland. Links außen am Strand kauert Hadi. Und | |
will ins Zentrum der Insel, ins Zentrum des Lebens – um das ein Vorhang aus | |
Formularen baumelt. Hadi ist Flüchtling? „Nein!“, empört er sich, er sei | |
kein kleines feiges Ding, das einfach immer abhaue. Er sei ein | |
„Neuankömmling“, voller Hoffnung, voller Tatendrang – und voller böser | |
Sätze über Unsicherheit, Zwangsmaßnahmen, Zermürbungstaktiken. | |
Er monologisiert über die Verlorenheit im Graubraun zugig hässlicher Büros, | |
beim Ausfüllen immer neuer Papiere. Und beim ständigen Warten. „Das ist wie | |
– als wenn man einem tropfenden Wasserhahn zuhört“, sagt Hadi. Warten bis | |
der eine oder die andere in den Schlössern der Bürokratie mal eine | |
Entscheidung trifft – „tropf, tropf, tropf …“ Immer und immer wieder | |
wiederholt er in gemächlichem Rhythmus dieses Wort, bis der mitfühlende | |
Zuschauer die enervierende Paralyse seiner erzwungenen Untätigkeit erahnen | |
kann. | |
Es sind Erfahrungen von Anis Hamdoun, der Ende 2013 als 28-jähriger Syrer | |
in Osnabrück strandete. Erfahrungen, die er nun in seiner Adaption der | |
Homer’schen „Odyssee“ ausbreitet – mit der formulierungstechnischen | |
Unterstützung von Dramaturgin Maria Schneider. Beide hatten 2015 bereits am | |
Theater Osnabrück „The trip“ verantwortet: Hamdouns Abrechnung mit den | |
Schergen des Assad-Regimes und Hommage an die durch Folter und im Krieg | |
ermordeten Freunde. | |
Dieser ungeschminkte Trip ins verwüstete Herz Geflüchteter war nicht nur in | |
Osnabrück ein Publikumserfolg, es folgten Einladungen an die Berliner | |
Schaubühne, nach München, Frankfurt und Karlsruhe. Hamdoun ist seither ein | |
gefragter Künstler: „Allerdings bekam ich bis heute nur Angebote, aus der | |
Perspektive von Refugees mit ihnen oder über sie zu arbeiten, andere Themen | |
leider nicht.“ | |
Gerade hat er am Museum Kurhaus Kleve Workshops geleitet. Die Gespräche, | |
Diskussionen und Interviews mit multikulturell geprägten Schulklassen, | |
Geflüchteten und Alt-Klever Kunstkennern über Malerei wurden gefilmt und zu | |
einem Dokumentarfilm verdichtet. Nach Heidelberg war Hamdoun geladen, um | |
per S-Bahn benachbarte Neckardörfchen zu besuchen und mit dem Blick des | |
Neuankömmlings seine Notizen aus der Provinz literarisch aufzuarbeiten. | |
Acht Monate hatte Hamdoun hauptberuflich auch Deutsch für Anfänger an der | |
Berufsschule gelehrt und seine unbegleiteten Jugendlichen aus Somalia, | |
Syrien und Afghanistan zudem in einer Theater-AG angeleitet. Inzwischen | |
leben auch sein Vater, die Mutter und Schwester in Osnabrück, andere | |
Verwandte im immer noch belagerten Homs und im nicht evakuierten Teil | |
Aleppos. „Sie schicken Nachrichten, wenn mal kurz Strom da ist“, sagt er. | |
In Kiel musste Hamdoun erst mal Abstriche machen. „Er wollte gerade | |
Fluchtszenen immer härter zeigen, als es uns möglich schien“, sagte | |
Theater-im-Werftpark-Leiterin Astrid Großgasteiger. Schließlich sei das | |
Stück für Menschen ab 12 Jahre gedacht. Dafür war der Autor/Regisseur von | |
den Arbeitsbedingungen begeistert. „Dank der Zuarbeit all der Gewerke | |
konnte ich mich ganz auf das Regieführen konzentrieren. In der 1967 | |
gegründete Theatergruppe meines Großvaters Farhan Bulbul, für die ich in | |
Syrien gearbeitet hatte, mussten wir alles selbst, aus nichts Gutes Theater | |
machen.“ | |
Hadi (Sebastian Kreuzer) braucht ein Buch, damit aus seiner Fantasie gutes | |
Theater wird. Mit der „Odyssee“-Lektüre träumt er sich an den | |
Mittelmeerstrand. „Es riecht so wie zu Hause.“ Per Videoprojektion sind | |
Brandungsbilder zu sehen. Und eine schnoddrig burschikose Schauspielerin | |
(Annegret Taube als Polites) redet Hadi als „Odysseus“ an. Neugierig | |
schlüpft er in die Rolle. Beide treibt schließlich dieselbe Frage um: „Wann | |
komme ich jemals irgendwo an?“ | |
Durch Odysseus wird die Flucht Hadis als Umweg der Heimkehr beschrieben. An | |
jeder Abenteuerstation wartet eine neue Erfahrung in Sachen | |
Gastfreundschaft, Bleiberecht und Fremdenhass. Heimwehschmerz steht dabei | |
in stetem Widerstreit mit der Assimilationslust. Und macht verführbar. | |
Auftritt Circe (Pia Leokadia), eine exotische Märchenbuchschönheit. Wenn | |
sie bittet, „koste von meinen Früchten“, schwillt das ständig laute | |
Schmunzeln des jugendlichen Publikums dank eines Pubertätsenergieschubs zum | |
Gelächtersturm an. | |
„Das ist schön, dass auch diese Komikangebote funktionieren“, freut sich | |
Hamdoun. Aber als Circe Hadis Kumpel zum Schwein verzaubert, ist der Spaß | |
vorbei. Nein, so grunzend glücklich, alles vergessen habend, will Hadi nie | |
werden, sondern seiner Herkunft bewusst bleiben und Freiheit genießen. Aber | |
längst ist Nato-Stacheldraht statt Brandungsidylle im Bühnenhintergrund, | |
das Meer hinter Gittern zu sehen. Und das einäugige Monster kommt als Nazi | |
mit Baseballschläger daher, der Hadi einen „Verbrecher“ nennt, der „auf | |
meiner Insel“ nicht willkommen sei. | |
Da wird die Aufführung dann arg plakativ. „Ja“, entschuldigt sich Hamdoun, | |
„da war die Probezeit knapp.“ Zum Finale kehrt Hadi ins Ausländeramt | |
zurück. „Hier werden deine Schmerzen ein Ende haben“, heißt es. Gespielt | |
wird der Satz mit einem Punkt am Ende. Hamdoun hätte lieber ein | |
Fragezeichen gehört. Da er selbst nicht weiß, wie es weitergeht – seine | |
Aufenthaltsgenehmigung endet 2017. | |
„Ich hoffe, ich bekomme zwei Jahre Verlängerung“, sagt er. „Ich arbeite | |
hier, habe sogar Steuern bezahlt. Meinen Platz allerdings noch nicht | |
gefunden, probiere viel aus, sammle Erfahrungen.“ Sollte der syrische Krieg | |
jemals enden, würde er gern zurückkehren – und in Deutschland leben: eine | |
deutsch-syrische Theatercompagnie aufbauen. | |
Hamdoun fühlt sich zwittrig. Er habe seinem sonnig-feurigen syrischen | |
Naturell die preußischen Disziplintugenden hinzuaddiert, sei immer | |
pünktlich und ein Workaholic, der sich an Regeln halte, da sie Sicherheit | |
geben. „Freunde sagen, ich bin inzwischen deutscher als die Deutschen: ein | |
Dampfschiff.“ | |
Das schippert gerade Richtung Spree: Hamdoun will nach Berlin umziehen. | |
Seine Frau hat an der Universität der Künste einen Schauspiel-Studienplatz | |
bekommen und er die ersten Hauptstadt-Jobs festgezurrt: Er wird als | |
Storytelling-Coach eines Künstlerprojektes arbeiten und mit der Autorin | |
Sophie Diesselhorst ein Theaterstück für das Göttinger Boat-People-Theater | |
schreiben, das im Herbst uraufgeführt werden und komödiantisch von den | |
Problemen erzählen soll, die entstehen, wenn ein syrischer Regisseur und | |
eine deutsche Autorin zusammenarbeiten. | |
Auch akquiriert Hamdoun Gelder für eine Film-Recherche über die Gefängnisse | |
des Assad-Geheimdienstes. Bereits fertig dramatisiert ist „Die unbekannte | |
Stadt“ für die Osnabrücker Jugendtheatersparte, die am 19. April | |
uraufgeführt wird. | |
Wieder kein leichter Stoff: Mann und Frau helfen sich in der Psychiatrie | |
gegenseitig, ihr verlorenes Gedächtnis, ihre verdrängten Erinnerungen | |
bewusst zu machen und einen Umgang damit zu finden. Bei ihr sind es | |
Kriegstraumata von der Flucht aus dem Hisbollah-belagerten Madaya in Syrien | |
und einer vergeblichen Suche nach dem (bereits toten?) Bruder. Bei ihm ist | |
es das grußlose Verschwinden des Vaters nach einem Burn-out-Zusammenbruch. | |
Selbstmord? Zwei Gestrandete, die ihren Lebensweg neu erfinden. Wie Hadis. | |
Wie Anis Hamdoun. | |
27 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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Schwerpunkt Flucht | |
Irak | |
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Theater Osnabrück | |
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