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# taz.de -- Buch über Punks in Israel: Zu Purim in der Nietenweste
> Von Dschingis Khan zu den Sex Pistols: Avi Pitchons „Johnny Rotten and
> the Queen of Shivers“ beschreibt die Rebellion gegen zionistische
> Konformität.
Bild: In Hamburg gibt es sie und in Jerusalem auch: Punks
Punk ist Rebellion, fundamentale Opposition gegen gesellschaftliche und
kulturelle Normalität. Doch wie verhält es sich mit dieser Protestkultur in
einem Land wie Israel, auf dem eine ständige Vernichtungsdrohung liegt und
das auf dem breiten gesellschaftlichen Konsens aufbaut, Heimat und
Schutzort für Juden zu sein?
Diesem existenziellen Gewissenskonflikt sah sich auch der Israeli Avi
Pitchon ausgesetzt, als er sich in den achtziger Jahren dazu entschloss,
statt auf Balladen von Arik Einstein, Zionismus und Armee auf Punksongs
von Crass, Anarchismus und Pazifismus zu setzen. Es war kein leichter Weg.
Nicht nur wegen der moralischen Schwierigkeiten. Auch gab es schlicht fast
keine Punks, keine Punkmusik und keine Punkläden in Israel. Die Geschichte
seiner Suche zeichnet er in seiner Autobiografie „Rotten Johnny and the
Queen of Shivers“ nach, die jetzt auf Deutsch vorliegt.
Pitchon ist 1968 in Ra’anana, wenige Kilometer nördlich von Tel Aviv, zur
Welt gekommen, seine Eltern waren klassisch links-zionistische Juden. Heute
lebt er als Künstler, Musiker, DJ und Journalist in London. Sein Weg zum
Punk begann etwas ungewöhnlich: Mit einem Fernsehauftritt der Discoband
Dschinghis Khan. Auch wenn musikalisch Lichtjahre zwischen Eurovision und
Sex Pistols lagen, prägten das bizarre Aussehen und das exaltierte
Auftreten der deutschen Band den kleinen Jungen nachhaltig. Als
Siebtklässler probte er dann zum jüdischen Verkleidungsfest Purim selbst
den ersten Ausbruch im Punkoutfit.
Pitchon nimmt den Leser mit auf eine spannende Entdeckungsreise, die so
oder so ähnlich auch in Hamburg oder New York hätte spielen können. Er
erzählt von den Büchern, Zeitschriften, Schallplatten und Menschen, die
ihm, dem kleinen Jungen aus dem verschlafenen Nest, eine vollständig neue
Welt eröffneten und aus ihm eine der prägenden Figuren der israelischen
Punkbewegung machten. Punk erlaubte es Pitchon, gegen die zionistische
Konformität, die zionistischen Helden und ihre Geschichten aufzubegehren.
War es in Großbritannien Margaret Thatcher, die zur Hass- und
Integrationsfigur für die Punks wurde, erfüllte in Israel der erste
Ministerpräsident der rechten Likudpartei, Menachem Begin, diese Rolle.
## Politisierung und Bruch
Die frühen achtziger Jahre waren für Israel eine schwierige Zeit: 1982
brach der Libanonkrieg aus, 1983 brach das Bankensystem zusammen, 1984
gewann die rechtsextreme Kach-Partei von Meir Kahane einen Parlamentssitz.
Das waren die Ereignisse, durch die Pitchon politisiert wurde. Er brach mit
der zionistischen Erzählung seiner Eltern und seines Landes. Er
interessiert sich für Anarchismus und schließt sich der Friedensbewegung
an. An dieser Stelle beginnt ein spannender Abschnitt in Pitchons
Beschreibungen, weil sich hier eine grundsätzliche Problematik auftut. Für
israelische Punks bedeutete ein klares Bekenntnis zu Pazifismus und
Antimilitarismus, dass sie immer mit der Frage konfrontiert waren, was sie
angesichts der Vernichtungsdrohungen der arabischen Länder machen würden.
An diesen Stellen hätte man sich gewünscht, dass Pitchon tiefer geht. Der
Lesende erhält den Eindruck, als sei Israel ein ganz normales Land in einer
ganz normalen Region. Pitchon konzentriert sich dann lieber auf seinen
individuellen Entwicklungsweg, es geht um komplizierte Beziehungen und die
Leiden als Teenager. Das ist schade, weil es an diesen Stellen etwas
belanglos wird. Auch bricht das Buch am Ende abrupt ab und endet bereits
1991 mit der Auflösung von Pitchons Punkband Noon Mem.
Trotz dieser Unzulänglichkeiten legt Pitchon aber ein spannendes und
kurzweiliges Zeugnis der israelischen Punkbewegung vor, das unser auf den
Nahostkonflikt beschränktes Bild des kleinen Landes um eine subkulturelle
Facette reicher macht.
16 Jan 2017
## AUTOREN
Kevin Zdiara
## TAGS
Punk
Israel
Anarchie
Friedensbewegung
taz.gazete
Arte
Israel
Berlin
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