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# taz.de -- Musikfestival in Jerusalem: Heilig kommt von Hören
> Das Jerusalem Sacred Music Festival ist Teil einer neuen
> Tourismusoffensive. Arabische und jüdische Traditionen treffen hier
> harmonisch aufeinander.
Bild: Ron Arads „720 grad“-Installation.
Der Flug aus Deutschland bringt eine Gruppe Pilger ins Heilige Land.
Darunter eine wiedergeborene Christin, die viel über ihren Glauben zu
erzählen hat und sich nebenbei mit Jesus vergleicht. Das lässt sich aus dem
Streben nach einem Leben in der Nachfolge Christi erklären, ist vielleicht
aber auch eine milde Form des Jerusalem-Syndroms. Dabei sind wir noch nicht
einmal gelandet. Kurz bevor der Abschied naht, verspricht sie ihrem
Nachbarn, für ihn zu beten. Danke, sage ich, schaden kann es nie.
Jerusalem liegt in den Bergen des alten Judäa, dahinter die Wüste. Hier
ließ Herodes den Juden einen riesigen Tempel bauen, den er selbst nicht
betreten durfte. Später vertrieb ein jüdischer Aktivist namens Jeschua von
dort die Geldwechsler, was ein Angriff auf die herrschende Priesterkaste
war, die vom Eintrittsgeld der Pilger lebte. Nach dem dritten jüdischen
Aufstand schleiften die Römer den Tempel. Der schwule Kaiser Hadrian
benannte die Stadt zur Strafe in Aelia Capitolina um und verbot den
rebellischen Juden den Zutritt.
Es folgten lange, dunkle Jahrhunderte. Christen und Muslime stritten um die
Vorherrschaft in der Stadt. Die meiste Zeit über war Jeruschalajim, wie sie
auf Hebräisch heißt, ein gottverlassener, ärmlicher Ort in einer
unwirtlichen Gegend voller Steine. Eine Provinzstadt ist Jerusalem immer
noch, aber die wohl berühmteste Provinzstadt der Welt.
## Dreimal so viele Touristen
Das soll anders werden, wenn es nach dem Jerusalemer Bürgermeister geht.
Nir Barkat unterstützt lokale Kulturprojekte. Er hat Festivals in die Stadt
geholt und sich Events wie den Jerusalem-Marathon ausgedacht, die er als
ehemals erfolgreicher Hightech-Unternehmer als „Produkte“ bezeichnet. Sie
sollen dabei helfen, im Jahr 2020 zehn Millionen Touristen in die Stadt zu
locken – derzeit sind es jährlich dreieinhalb Millionen.
Für Barkat ist Jerusalem ein Markenname, den auch Menschen kennen, die
keine Ahnung haben, wo Israel liegt. Seine Kulturoffensive soll aber auch
den Brain Drain mindern, den konstanten Wegzug junger, gebildeter Leute
nach Tel Aviv, New York, London oder Berlin.
Viele säkulare Israelis glauben, dass die Gläubigen aller Couleur die Stadt
kaputtmachen. Sie begrüßen Barkats Eventkultur. Von wenigen wird
kritisiert, dass Barkats Kulturbegriff zu populistisch sei. Das ficht den
eloquenten Mann aber nicht an, der eine Utopie darin erblickt, wenn
ultraorthodoxe Juden mit christlichen und muslimischen Arabern zusammen auf
den Straßen tanzen.
## Alle profitieren
Barkat will die Marke Jerusalem zum Nutzen der Stadt einsetzen, sagt er im
Gespräch. Tourismus schaffe Arbeitsplätze, und davon profitierten Juden,
Muslime und Christen, Israelis und die arabische Bevölkerung im Osten der
Stadt gleichermaßen.
Um den Markenkern zu stärken, war im Rahmen der den Sommer überspannenden
Jerusalem Season of Culture die spektakuläre Videoinstallation des
Designers Ron Arad zu sehen. Nachts warfen Beamer bewegte Bilder auf
Silikonfäden, die im Garten des Israel-Museums eine große Rotunde bildeten.
Arads Spektakel wurde über Wochen hinweg in jeder Nacht von über tausend
Besuchern bestaunt.
Am vergangenen Wochenende, und auch das kann man als Botschaft lesen, fand
die Kultursaison im Sacred Music Festival ihren Abschluss. Man will die
Gegensätze zwischen Religionen und Denominationen überwinden und eine neue
Tradition „von Heiligkeit, Sensibilität, Mitgefühl und interreligiöser
Gemeinschaft“ stiften.
## Harmonisches Beisammensein
Der künstlerische Leiter des Festivals, Gil Ron Shama, ist ein
braungebrannter Mann mit akkurat getrimmtem Bart, um den Kopf hat er ein
Tuch geschlungen. Er formuliert selbstbewusst einen eigenen Begriff des
Heiligen.
Zwar seien den Organisatoren des Festivals die religiösen Traditionen
heilig, man betrachte das Heilige aber zuerst als eine Form des
harmonischen Beisammenseins. „Wer zusammen spielen will, muss lernen, dem
anderen zuzuhören“, sagt Gil Ron Shama. Das sei Grundlage und Ausdruck für
gegenseitigen Respekt.
So ist auf dem Festival 24 Stunden lang eine vielfältige Mischung von
Musiken zu hören. Alte Instrumente werden zu Gehör gebracht, traditionelle
Melodien werden intoniert, manchmal auch in moderne Arrangements gekleidet.
Musiker aus Iran, Irak, Israel, Aserbaidschan, Brasilien und Zimbabwe
spielen miteinander. Die ernsthafte Pflege der alten Kultur des Orients und
strenge rituelle Formen treffen auf buntes New-Age-Hippietum und süßen
Orientpop.
## Charismatischer Punk auf dem Turm Davids
Kurz vor Sonnenaufgang betritt der charismatische Expunk Berry Sakharov die
große Bühne in der Zitadelle, die von den Israelis „Turm Davids“ genannt
wird und deren Fundamente in der Zeit des Herodes gelegt wurden. Sakharov
spielt gemäß dem aktuellen israelischen Trend zu Regionalismus und Religion
mit seiner Band orientalistische Versionen seiner großen Hits aus den
Achtzigern und neue Stücke, die von der Kabbala inspiriert sind. Die Leute
klatschen, tanzen und singen mit, bis die Sonne erste Strahlen auf allseits
glückliche Gesichter wirft.
Dass der Imam der Al-Aksa-Moschee, Abdul Karim, morgens zwischen halb fünf
und halb sechs Uhr ein Sikr-Ritual in der sunnitischen Sufi-Tradition
abhält, ist natürlich auch ein Statement. „Gott ist der Gott von allen“,
sagt er. „Von Muslimen, Juden, Christen und der gesamten Schöpfung.“ Der
Imam lädt die Anwesenden ein, die göttliche Präsenz in sich zu fühlen.
„Sikr heißt auf Arabisch Erinnerung. Es ist das Gegenteil des Vergessens.
Sich an Gott zu erinnern, besonders an Tagen und in Zeiten wie diesen.“
Damit meint Abdul Karim wohl die viel diskutierte Möglichkeit einer
bevorstehenden Bombardierung der iranischen Atomanlagen, vor der
Bürgermeister Nir Barkat zumindest in einer Hinsicht keine Angst hat:
Niemand werde die Stadt angreifen, die so vielen heilig sei. Vielleicht hat
er recht. Der Jerusalemer Felsendom ist auf der iranischen 1.000-Rial-Note
abgebildet.
## Selber drehen im Sufi-Workshop
Der kleine Raum ist dicht gedrängt mit Leuten, die auf dem Boden sitzen. Es
herrscht konzentrierte Ruhe, als der Imam und ein weiterer Sänger zur Musik
von Trommeln und Flöten die Formel „La allah ill allah“, es gibt keinen
Gott außer Gott, anstimmen. Zwei Frauen betreten den Raum in der Mitte und
beginnen sich zu drehen, die rechte Hand zum Himmel erhoben, den Kopf nach
links zum Herzen geneigt.
Das habe ich im selben Raum eine Stunde zuvor im Sufi-Workshop selbst
ausprobiert. Jetzt wird der Gesang immer schneller, bis der Sänger
schließlich nur noch den Schlusslaut der Formel haucht. „Wenn die
Erinnerung in den Herzen der Gläubigen stärker wird, verschwindet die
Gottvergessenheit“, sagt Abdul Karim. „Die Person wird präsent und ein Teil
Gottes.“
Eine außergewöhnliche Präsenz strahlt auch die Niederländerin Karima
al-Fillali aus, Tochter eines Muslims aus Marokko und einer Christin aus
Holland. Es ist das erste Mal, dass sie mit Jamil al-Asadi, einem berühmten
irakischen Meister des Kanunspiels, auftritt. Sie singt in der
Sufi-Tradition des Sama’a, die traditionell Männern vorbehalten ist.
## Liebende fürchten keine Strafen
Wo Sama’a vom Schmerz der Gottesferne handelt, wendet Karima al-Fillali
dieses Gefühl ins Menschliche. Sie singt arabische Gedichte, die von Frauen
geschrieben worden sind. Darunter das einer unbekannten Autorin: „Eine
Liebende fürchtet keine Strafe, selbst wenn das Feuer ihre Strafe wäre.
Eine Liebende kann nicht aus ihrem Haus vertrieben werden, weil sie im
Geliebten wohnt.“
Die Sängerin widmet das Lied einer flämischen Mystikerin, die behauptete,
dass die Liebe die Regeln der Kirche nicht beachte, und dafür verbrannt
wurde. In Europa und im Nahen Osten verdanken wir die Idee der Heiligkeit
der Person den monotheistischen Religionen, gegen die sie aber auch immer
wieder erkämpft werden musste.
So fügt das Sacred Music Festival der Marke Jerusalem eine hippieske Note
von Frieden und Harmonie hinzu. Zugleich ist es eine Mahnung, dass die
individuellen Freiheitsrechte für alle gelten. Und dass Beten allein nicht
immer hilft.
11 Sep 2012
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
Ulrich Gutmair
## TAGS
Punk
Festival
Musik
ARD
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