# taz.de -- Kommentar Diskriminierung: Dieser Abgrund namens Familie | |
> Es hat sich was verändert bei der Akzeptanz homosexueller Lebensweisen, | |
> vor allem politisch. Ein drängendes Problem aber bleibt. | |
Bild: Theoretisch hat kaum noch wer ein Problem mit Homosexualität – solange… | |
Die Donnerstag veröffentliche [1][Studie der Antidiskriminierungsstelle des | |
Bundes zur Akzeptanz homosexueller Lebensweisen] hat genau die | |
Aufmerksamkeit erzielt, die sie verdient. Selbst den Tagesthemen der ARD | |
war sie einen Aufmacher wert, einen Bericht an allererster Stelle – Trump, | |
Putin und Fragen des Islamismus zum Trotz. Denn die Expertise, | |
zusammengetragen von [2][Beate Küpper], Professorin für Soziale Arbeit an | |
der Hochschule Niederrhein, berichtet von einem gigantischen | |
Mentalitätswandel innerhalb der bundesdeutschen Bevölkerung lesbischen und | |
schwulen Lebensweisen, vor allem Paaren und Familien, gegenüber. | |
82,6 Prozent der Befragten stimmen einer „Ehe für alle“ (also auch für | |
homosexuelle Paare) zu, dem Adoptionsrecht für lesbische oder schwule Paare | |
immerhin 75,8 Prozent. Kurz gesagt: eine überwältigende Mehrheit fände es | |
angemessen, homosexuellen Paaren die gleichen Rechte zu geben, wie sie | |
heterosexuelle immer schon haben. Für einen Politiker [3][wie den CDU-Mann | |
Jens Spahn] ist es insofern kein Risiko, wenn er Carmen Miosga in den | |
Tagesthemen mitteilt, er gehe davon aus, dass die „Ehe für alle“ kommen | |
werde. | |
Das, was noch in dieser Legislaturperiode womöglich zum Gesetz gemacht wird | |
– fraktionsübergreifend, wie aus Abgeordnetenkreisen zu hören ist -, wäre | |
die Rechtsangleichung an das zivilisatorische Niveau Irlands, | |
Skandinaviens, der Niederlande, Spaniens, Kanadas und der USA. Und zugleich | |
die letzte, wenn man so will, gesetzlich begründete Aufhebung von Moral, | |
die zwischen Hetero- und Homosexualität ein hierarchisches Verhältnis | |
gesetzt sehen will: Homos müssen dann gesetzesgestützt das Gefühl haben, in | |
puncto Anerkennung weniger geschätzt zu werden als jene, die heterosexuell | |
orientiert verheiratet sind. | |
Die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlichten Zahlen | |
belegen, wie sehr in der Bundesrepublik ein moralischer Wandel | |
stattgefunden hat. Dieser wird auch angezeigt mit anderen Befunden: 27,5 | |
Prozent der Befragten gaben zu Protokoll, dass zwei sich in der | |
Öffentlichkeit küssende Frauen ihnen unangenehme Gefühle beschere, 38,4 | |
Prozent haben diese Gefühle, wenn sie zwei sich küssende Männer sehen. Das | |
sind keine schöne Zahlen – sie bedeuten andererseits aber auch, dass | |
immerhin 72,5 Prozent beziehungsweise 61,6 Prozent diesen Aussagen nicht | |
zustimmen. | |
## Familie ist kein geschützter Raum | |
Bedeutsamer ist aber eine Ziffer, in der es um Familiäres geht: Als | |
unangenehm empfinden 40,8 Prozent der Befragten die Vorstellung, der eigene | |
Sohn könnte schwul sein beziehungsweise 39,8 Prozent, wenn die Tochter | |
lesbisch ist. Das ist für sehr viele Menschen eine schlimmere Vorstellung | |
als die, dass die eigenen Kinder in einer Kita von homosexuellen | |
Erzieher*innen betreut werden. Mit anderen Worten: In einem allgemeinen | |
Sinn haben sich die Einstellungen Lesben und Schwulen gegenüber erheblich | |
verbessert. Viele Diskriminierungen, auch davon berichtet die Studie, | |
bleiben oder halten sich hartnäckig – aber die grundsätzliche Ablehnung ist | |
weitgehend verschwunden. | |
Bis auf den Bereich der Familie. Für Kinder, die mit der Pubertät merken, | |
dass sie das gleiche Geschlecht begehren, ist die eigene Familie eine Art | |
ungeschützter, nicht diskriminierungsfreier Raum, in dem sie abgelehnt | |
werden. | |
Dieses Ergebnis der Studie deckt sich mit tausendfachen Erzählungen aus den | |
vergangenen Jahrzehnten. Dass nämlich Hässlichkeiten kleinerer oder | |
größerer Art (fiese, niederträchtige Sprüche, Schläge bis hin zu | |
folterartigen Aggressionen) ausgehalten werden können – umso eher dann, | |
wenn das familiäre Umfeld hinter den schwulen und lesbischen Angehörigen | |
steht. | |
Wenn das nicht der Fall ist, wirkt sich allgemeine Schwulenfeindlichkeit | |
umso bedrohlicher und lebensentwertender aus. Die Studie verweist in diesem | |
Sinne nicht allein auf Gesetze, die verbessert gehören. Sondern auf den | |
Abgrund, der für viele Homosexuelle der schlimmste ist: der, der sich wie | |
Familie buchstabiert. Solange Eltern ihre Kinder großziehen mit dem Wunsch, | |
dass sie nur als heterosexuelle wirklich geliebt werden, bleibt Homophobie | |
ein mächtiges Thema. | |
13 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/Sexuelle_Ide… | |
[2] https://www.hs-niederrhein.de/sozialwesen/personen/kuepper/ | |
[3] http://www.tagesschau.de/inland/spahn-homosexualitaet-101.html | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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