| # taz.de -- Bühnenfassung „Auerhaus“: Man hängt herum in der Küche | |
| > Die Uraufführung von Bov Bjergs Roman „Auerhaus“ am Düsseldorfer | |
| > Schauspiel bleibt nah am Text. Sie wird dafür gefeiert – völlig zu Recht. | |
| Bild: Die Generation der Best-Ager erkennt sich mühelos in der Geschichte, die… | |
| Wilfried Schulz hat ein Näschen für gute Stoffe: 2011 sicherte sich der | |
| damalige Intendant des Dresdner Staatsschauspiels die Uraufführung von | |
| „Tschick“ nach Wolfgang Herrndorfs Bestseller. Robert Koall besorgte die | |
| Bühnenadaption, seitdem hält sich „Tschick“ auf den Spielplänen. | |
| Inzwischen ist Wilfried Schulz Intendant am Düsseldorfer Schauspielhaus, | |
| und nun hat er wieder als Erster zugeschlagen: Der Roman „Auerhaus“ von Bov | |
| Bjerg, ebenfalls Bestseller der Kategorie „Coming of Age“, und wiederum hat | |
| Robert Koall dessen Bühnenfassung besorgt, deren Uraufführung im | |
| Düsseldorfer „Central“ nun einhellig gefeiert wurde. | |
| Schon die Tatsache, dass Schulz mit Kampfgeist ein Stück an Land zog, um | |
| das viele rangelten – bis Ende Mai kommt „Auerhaus“ auch in Wiesbaden, | |
| Augsburg, Hannover, Dresden, Darmstadt und Berlin heraus –, sollte die | |
| Düsseldorfer Lokalpolitik stolz machen auf ihren tapferen Intendanten. Denn | |
| Schulz ist alles andere als auf Rosen gebettet in der reichen | |
| Landeshauptstadt, denn er muss um Existenz und Standort ringen. | |
| Schulz musste nicht nur gleich zum Amtsantritt im Herbst aus dem Stammhaus | |
| am Gustav-Gründgens-Platz aus- und in die Ersatzspielstätte in finsterster | |
| Bahnhofsgegend umziehen. Er musste auch erleben, wie der sportverliebte OB | |
| Thomas Geisel (SPD) infrage stellte, ob die Sanierung des Stammhauses nicht | |
| viel zu teuer sei und der Bau nicht besser abgerissen oder als | |
| Konferenzzentrum zu nutzen sei. Seine beiläufig geäußerten Bemerkungen in | |
| Trump’scher Twitter-Manier bemäntelt Geisel, der lieber Millionen in einen | |
| albernen Tour-de-France-Umweg über das Dorf an der Düssel steckt, genannt | |
| „Grand Départ“ mit dem Universalargument, es dürfe keine Denkverbote gebe… | |
| ## Herrlich retro | |
| In dieser populistisch vergifteten Atmosphäre muss Schulz nun Programm und | |
| Quote machen. Mit „Auerhaus“ kann er nun einen Erfolg einfahren. Ob sich | |
| das Stück allerdings so festbeißen wird wie „Tschick“, ist schwer | |
| vorstellbar. Denn „Auerhaus“ ist zwar ein atmosphärisch dichtes, lakonisch | |
| sprechendes Stück über die Jugend. Es ist aber zugleich auch herrlich | |
| retro. Die Generation der Best-Ager erkennt sich mühelos in der Geschichte, | |
| die in den 1980er Jahren in einem schwäbischen Dorf spielt. Aber wird sich | |
| auch die Generation Facebook in „Auerhaus“ wiederfinden? | |
| Bjergs Roman erzählt weitgehend chronologisch aus der Sicht des | |
| Ich-Erzählers Höppner die Geschichte einer Gruppe „randständiger | |
| Jugendlicher“ kurz vor dem Abitur. Frieder unternimmt einen Suizidversuch, | |
| in der Psychiatrie rät man ihm, zu Hause auszuziehen. Gemeinsam mit Höppner | |
| bezieht Frieder ein leer stehendes altes Haus der Familie, weitere vier | |
| Außenseiter – der drogenerfahrene Harry, die Brandstifterin Pauline, die | |
| ehrgeizige Cäcilia und die klauende Vera – gesellen sich hinzu. In einer | |
| schwäbelnden Verballhornung des Hitsongs „Our House“ von Madness, der in | |
| der Küche pausenlos läuft, nennen alle die WG „Auerhaus“. | |
| Man hängt herum in der Küche, raucht, kocht, redet über alles und nichts. | |
| Die Kasse ist knapp, die Truppe klaut sich den Kühlschrankinhalt | |
| systematisch zusammen. Harry baut gigantische Joints, die Stimmung kippt | |
| ins Anarchische, Frieder fällt den Weihnachtsbaum auf dem Dorfplatz, später | |
| brettern sie mit Harrys Auto nachts durchs Dorf und Frieder bedroht die | |
| Bullen mit einer Spielzeugwaffe. | |
| ## Melancholie und Verzweiflung | |
| Das geht fast ins Auge, wie überhaupt Witz und Party immer durchsetzt sind | |
| von Melancholie und Verzweiflung. Am Ende bricht die WG auseinander, | |
| Frieder bringt sich tatsächlich um, und der Rest der Truppe lebt vermutlich | |
| doch nach der Formel „birth – school – work – death“, zu der sie im | |
| „Auerhaus“ nach einer Alternative suchte. | |
| Roberts Koalls Bühnenfassung bleibt eng an Bjergs Vorlage. Höppner (Kilian | |
| Land) gibt als Erzähler manchen Text sogar mit einem „sagte er“ weiter an | |
| die anderen, die – bis auf Harry – ihren Rollen treu bleiben. | |
| Robert Gerloff inszeniert schnörkellos am Text entlang, gönnt sich | |
| allenfalls ein paar Ausflüge in choreografierte Musiknummern und surreale | |
| Vergrößerungen, Maximilian Lindner hat mit Laub auf dem Boden, einem alten | |
| Golf und ein bisschen Sperrmüllmobiliar einen Raum zwischen drinnen und | |
| draußen geschaffen, der das Unbehauste der Auerhäusler sinnfällig macht. | |
| Die Regie setzt nicht auf laute Effekte, sondern eher auf die leise | |
| Verzweiflung des Stoffs. | |
| Das ist wenig spektakulär, aber ganz nah dran an Bjergs melancholischer | |
| Lakonie. | |
| 10 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Regine Müller | |
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