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# taz.de -- Abschiebung von Straftätern: Konflikte auslagern
> Sanel M. hat Tuğçe Albayrak totgeprügelt. Er soll zum Ende seiner
> Haftstrafe abgeschoben werden. Dabei wurde er in Deutschland
> sozialisiert.
Bild: Sanel M. bei der Urteilsverkündung im Juni 2015 im Landgericht Darmstadt
Sanel M., jener junge Mann, der 2014 die Studentin Tuğçe Albayrak zu Tode
geprügelt hat, soll zum Ende seiner [1][dreijährigen Haftstrafe] in seine
serbische Heimat abgeschoben werden. Dies wurde nun vom Verwaltungsgericht
Wiesbaden bestätigt. So schlimm die Tat M.’s auch gewesen ist, muss man
sich folgender Frage stellen: Was soll das?
Abgesehen davon, dass M. mit der ihm auferlegten Haftstrafe bereits
bestraft wurde, liegt es auf der Hand, dass die Ursprünge des Problems
nicht in Serbien liegen. Sanel M. wuchs nämlich in Deutschland auf. Er
wurde hier sozialisiert und hatte hier seinen Lebensmittelpunkt – und er
wurde hier zum Totschläger.
Dieser Umstand betrifft nicht nur M., sondern auch andere Straftäter, die
ausländische Wurzeln haben und keinen deutschen Pass besitzen. Mit ihren
möglichen Abschiebungen werden gesellschaftliche Probleme, die es in
Deutschland zuhauf gibt, nicht angegangenen, sondern lediglich ins Ausland
verlegt. Es ist eben um einiges einfacher, die Verantwortung auf andere
abzuwälzen.
Besonders problematisch wird es, wenn man diese Verantwortung Staaten
überträgt, in denen dystopische Zustände herrschen. Das mag auf Serbien
nicht zutreffen. Allerdings fallen andere Länder in diese Liste, etwa
Syrien oder Afghanistan. Man muss sich darauf einstellen, dass einige
wenige der zahlreichen Geflüchteten, die in den letzten Jahren nach
Deutschland gekommen sind, Straftaten begehen werden.
## Es ist eine Schande
Dass diese wie bei jedem anderen Täter geahndet werden müssen, ist ganz
klar eine Sache für sich. Doch inwiefern rechtfertigt das die Abschiebung
dieser Menschen in ihre Heimatländer? Nur weil diesen Menschen ein Stück
Papier – nämlich die deutsche Staatsbürgerschaft – fehlt, sollen sie
gänzlich anders behandelt werden als andere Straftäter? Aufgrund des Fehlen
dieses einen Privilegs sollen sie in Krieg und Tod zurückgeschickt werden?
Das kann und darf nicht sein. Leider geschieht es doch. Mitte Dezember
wurden [2][34 Afghanen abgeschoben]. Mittels eines Charterfluges schickte
sie die Bundesrepublik zurück in ihre Heimat, wo der Krieg zum
gegenwärtigen Zeitpunkt einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Diese
Massenabschiebung, die nicht die letzte gewesen sein soll, war moralisch
verwerflich. Sie war eine Schande.
Seitens der Bundesregierung wurde sie dennoch gerechtfertigt, unter anderem
etwa, indem man hervorhob, dass sich unter den Abgeschobenen auch
verurteilte Straftäter befanden. Die Öffentlichkeit war damit, so scheint
es, zufrieden. „Ach so, ja dann . . .“, lautete der Tenor.
Diese Reaktion wurde schon im Vorfeld befeuert, und zwar nicht nur von
rechtskonservativen Hardlinern. [3][Bereits im Sommer dachte Tübingens
grüner Oberbürgermeister Boris Palmer laut darüber nach, gewaltbereite
Syrer in ihre Heimat abzuschieben]. „Es gibt Verhaltensweisen, die dazu
führen, dass man sein Aufenthaltsrecht und Schutzbedürfnis verwirkt“,
meinte Palmer damals. Ähnliche Töne waren auch von der
Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht zu hören, die vor einem Jahr von
„verwirktem Gastrecht“ sprach.
Für jene Afghanen, die im Dezember abgeschoben wurden, klingen derartige
Worte mehr als nur zynisch. Die selbstgerechten Töne vieler Politiker haben
nur wenig mit ihren Realitäten vor Ort zu tun. Das merkt die
Bundesregierung allerspätestens, wenn einer jener Abgeschobenen der
nächsten Bombe oder Rakete zum Opfer fällt. Allein am Dienstag wurden fast
fünfzig Menschen durch Anschläge in drei afghanischen Städten, darunter
auch Kabul, getötet. Ob darunter auch jemand war, der sein Gastrecht in
Deutschland verwirkt hat, werden wir wohl nie erfahren.
12 Jan 2017
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## AUTOREN
Emran Feroz
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