| # taz.de -- Forschung über Flüchtlingsfrauen: „Alle beklagen Mangel an Auto… | |
| > Studierende der FU haben den Alltag von Frauen in Berliner | |
| > Flüchtlingsheimen erforscht. Zentrale Erkenntnis: Sammelunterkünfte | |
| > gehören abgeschafft. | |
| Bild: Flüchtlingsfrauen waschen ihre Wäsche in einer Berliner Flüchtlingsunt… | |
| taz: Herr Dilger, Sie haben mit Studierenden der FU das Leben in Berliner | |
| Flüchtlingsheimen erforscht. Was interessiert Sie als Ethnologe daran? | |
| Hansjörg Dilger: Uns interessiert: Wie ist das Leben, der Alltag in solchen | |
| Unterkünften gestaltet? Zudem hatten wir den Fokus auf die Frauen | |
| gerichtet: Wie ist ihre besondere Situation in diesen Lagern, inwiefern ist | |
| sie anders als bei Männern? Erfahren sie bestimmte Benachteiligungen, | |
| welche Unterstützungsnetzwerke können sie sich aufbauen? Solche Fragen | |
| stehen für Sozial- und Kulturanthropologen bzw. Ethnologen im Vordergrund. | |
| Der Laie denkt ja, Ethnologen beschäftigen sich mit Ethnien, also | |
| „Völkern“. Sind Flüchtlinge oder Flüchtlingsfrauen jetzt eine eigene | |
| Ethnie? | |
| Ethnologen arbeiten schon lange nicht mehr nur über ethnische Gruppen, | |
| sondern vielmehr über soziale Gruppen bzw. soziale Netzwerke. Der | |
| Ethnizitätsbegriff ist nicht mehr zentral für das Fach – kann aber | |
| natürlich in den Unterkünften selbst eine Rolle spielen: Weil der Staat | |
| oder der Heimbetreiber die Frauen nach Nationalität einteilt und sich | |
| Frauen selbst oft über Sprache, Nationalität oder Ethnizität | |
| zusammenfinden. | |
| Aber für Sie geht es eher um Flüchtlinge als soziale Gruppe? | |
| Uns geht es darum, wie geflüchtete Frauen, die in Sammelunterkünften | |
| untergebracht sind, diese gemeinsame Situation erleben, was ihre geteilten | |
| Erfahrungen sind. | |
| Und? | |
| Die Studierenden haben die Frauen zu unterschiedlichen Themen befragt: zu | |
| Sicherheit, Privatsphäre, Gesundheit, sozialer Unterstützung in den | |
| Unterkünften, die rechtlichen-politischen Bedingungen, mit denen sie | |
| konfrontiert sind. Die Frauen sind unglaublich divers: Sie kommen aus | |
| Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea, es gibt viele Sprachen, auch sehr | |
| unterschiedliche Bildungshintergründe und Berufe. Aber alle teilen die | |
| Erfahrung, dass ihr Alltag enorm reguliert ist. Sie haben kaum Autonomie in | |
| zentralen Fragen, das geht bis zur Nahrungsaufnahme und Selbsthygiene. Alle | |
| beklagten den Mangel an Selbstbestimmung in den Unterkünften. | |
| Ist das wirklich eine neue Erkenntnis? | |
| Ich denke ja, denn die öffentliche Diskussion ist vor allem auf Männer | |
| fokussiert. Wie Frauen in den Unterkünften präsent sind und wie sie die | |
| Bedingungen dort erfahren, wird kaum wahrgenommen. Dabei leben in den fünf | |
| Unterkünften, in denen unsere Studierenden geforscht haben, 25 bis 40 | |
| Prozent Frauen. Aber oft hat man den Eindruck, Frauen als Geflüchtete sind | |
| eine vernachlässigenswert kleine Gruppe. Und wir wissen nichts über ihre | |
| speziellen Lebensbedingungen. Zwar sind auch Männer von diesem Warten, der | |
| Ungewissheit, der Abhängigkeit in den Sammelunterkünften betroffen, aber | |
| sie haben oft andere Ressourcen damit umzugehen. Zumal Frauen, gerade wenn | |
| sie als Begleiterin von Männern hierher fliehen, oft auch von der | |
| Bürokratie nicht als eigenständige Personen wahrgenommen werden, sondern | |
| als Ehefrau, Schwester. Sie werden daher oft in Asylverfahren nicht mit | |
| ihren eigenen Anliegen gehört. | |
| Gerade wird viel über die Lebensbedingungen in den Turnhallen gesprochen. | |
| Was ist Ihre Erfahrung: Macht das für die Frauen einen Unterschied, in | |
| welcher Unterkunft sie leben? | |
| Das macht einen erheblichen Unterschied. Es gibt Unterkünfte, die sind von | |
| der ganzen Infrastruktur her besser organisiert als andere. Das Wohnen in | |
| großen Räumen, in Hallen ohne Privatsphäre und ohne Möglichkeiten sich | |
| zurückzuziehen vor den Blicken der Männer, macht viele Probleme. Wo zieht | |
| man sich um, wo stillt man die Kinder? Auch die Interaktion mit dem | |
| Sicherheitspersonal wird als ambivalent empfunden. Einerseits gibt es von | |
| ihnen Unterstützung, wie die Frauen sagten, aber sie fühlten sich auch hier | |
| wieder abhängig. Gerade Frauen, die nicht arabisch oder farsi sprechen, | |
| werden oft ausgeschlossen vom Informationsfluss, sind auf Übersetzer | |
| angewiesen, die nicht zur Verfügung stehen oder selektiv übersetzen. | |
| Schließlich spielten Sicherheits- und Gesundheitsrisiken in den größeren | |
| Unterkünften eine verschärfte Rolle. | |
| Sie plädieren im Vorwort für eine „engagierte Ethnologie“. Warum? Hat die | |
| Flüchtlingskrise Sie politisiert? | |
| Die Initiative für die Forschung ging von Studierenden aus und vom | |
| International Women Space, einer aktivistischen Gruppe von Frauen mit | |
| Flucht- und Migrationshintergründen, die in der ehemals besetzten | |
| Gerhard-Hauptmann-Schule für die Schaffung eines Raums für Frauen kämpften. | |
| Sie wollten mehr wissen über die Situation der geflüchteten Frauen, um | |
| diese zu verbessern. Meine Kollegin Kristina Dohrn und ich haben die | |
| Studierenden am Institut unterstützt, den Forschungsprozess mitgestaltet | |
| und das Buch herausgegeben. Die Notwendigkeit für eine „engagierte | |
| Ethnologie“ sehen wir darin, dass Flucht unsere Gesellschaft sehr stark | |
| herausgefordert hat und Probleme verstärkt sichtbar macht, die wir an | |
| Orten, wo wir sonst forschen – außerhalb von Europa – auch finden: das | |
| Leiden, die strukturelle Gewalt, die schlechten Bedingungen, unter denen | |
| Menschen, die migrieren müssen, leben. Damit muss sich unser Fach befassen | |
| – und es hat bereits eine lange Tradition, sich zu engagieren. | |
| Welche Schlussfolgerung kann man aus Ihrer Forschung ziehen? | |
| Für die Frauen, die die Studierenden interviewt haben, ist das Wichtigste, | |
| aus diesen Lagern herauszukommen. Es geht um eine selbstbestimmte | |
| Wohnsituation, Bildung für ihre Kinder und Arbeit oder Weiterbildung für | |
| sich selbst. Es gibt sogar einige Frauen, die sagen, wenn sich ihre | |
| ungewisse Situation nicht klärt, gehen sie lieber zurück, weil sie den | |
| Zustand der Ungewissheit als so schlimm empfinden. Unser Buch gibt zwar | |
| auch Erkenntnisse dafür, wie man die Unterkünfte konkret verbessern kann. | |
| Aber das wichtigste wäre, sie zugunsten neuer Perspektiven ganz aufzulösen. | |
| 15 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
| ## TAGS | |
| Geflüchtete Frauen | |
| Unterbringung von Geflüchteten | |
| Mord | |
| Unterbringung von Geflüchteten | |
| Elke Breitenbach | |
| Die Linke Berlin | |
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