# taz.de -- Aslı Erdoğan in türkischer Haft: Die Wahrheit kann man nicht tö… | |
> Aslı Erdoğan ist eine Ikone des Widerstands. Freunde und Kollegen führen | |
> hier ihre Kolumne aus der Zeitung „Özgür Gündem“ fort. | |
Bild: Seit August in Haft: Aslı Erdoğan | |
„Hinter Steinen, Beton und Stacheldraht rufe ich – wie aus einem | |
Brunnenschacht – zu euch: Hier in meinem Land lässt man mit einer | |
unvorstellbaren Rohheit das Gewissen verkommen. Dabei wird gewohnheitsmäßig | |
und wie blind versucht, die Wahrheit zu töten.“ | |
Diese Worte schrieb die türkische Schriftstellerin und Journalistin Aslı | |
Erdoğan in einem Brief aus dem Istanbuler Frauengefängnis Bakırköy. Er | |
wurde im Oktober zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse verlesen. | |
Zu diesem Zeitpunkt saß Aslı bereits zwei Monate in Haft. Sie war am 16. | |
August zusammen mit 23 anderen Mitarbeitern der kurdischen Tageszeitung | |
Özgür Gündem festgenommen worden. Die meisten kamen wenige Tage später | |
frei, Aslı nicht. Die Publikation der Zeitung musste eingestellt werden – | |
nicht zum ersten Mal seit ihrer Gründung in den frühen Neunzigern. Immer | |
wieder gingen die Behörden gegen die Redaktion vor, Mitarbeiter und | |
Zeitungsausträger wurden ermordet. Özgür Gündem war lange Zeit eine | |
zentrale publizistische Stimme der kurdischen Minderheit. | |
Ende Oktober kam das Verbot per Dekret von Staatspräsident Recep Tayyip | |
Erdoğan, der einen gnadenlosen Krieg gegen Presse und Meinungsfreiheit | |
führt. Heute sind über 150 Journalisten in der Türkei in Haft – mehr als in | |
jedem anderen Land der Welt. | |
## Es herrscht blanke Willkür | |
Aslı werden Volksverhetzung sowie Unterstützung und Mitgliedschaft in einer | |
terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Gemeint ist die PKK. Als | |
Beweismittel dient der Staatsanwaltschaft eine Handvoll ihrer Artikel. Wer | |
die betreffenden Texte liest, kann nichts darin finden, was die Vorwürfe | |
stützen würde. Eine Gruppe Istanbuler Aktivisten ließ die Texte kürzlich | |
von mehreren Anwälten sichten. Deren Einschätzung: Nichts daran ist | |
strafbar. Das ist die Basis, auf der Aslı Erdoğan lebenslänglich ins | |
Gefängnis soll. Es herrscht blanke Willkür. Eine unabhängige Justiz gibt es | |
nicht mehr. | |
Aslı Erdoğan hat mutige Texte geschrieben. Immer wieder hat sie den | |
Machtmissbrauch des Staatsapparats angeprangert und die Unterdrückung der | |
Kurden thematisiert, sich für die Rechte von Frauen eingesetzt, über die | |
Verhältnisse in den Gefängnissen, über Folter und Unrecht berichtet. Kurz: | |
Sie hat als Kolumnistin und Journalistin ihren Job gemacht. Dafür hat man | |
ihr die Freiheit genommen. | |
Ihre Worte aber kann man nicht wegsperren. Sie sind in der Welt, sie werden | |
in der Welt bleiben. Seit ihrer Verhaftung haben inzwischen mehr als | |
achtzig Schriftsteller, Journalisten, Publizisten ihre Kolumne fortgeführt. | |
Aus Solidarität. Um Aslı weiterhin eine Stimme zu geben, während sie selbst | |
nicht mehr schreiben kann als kurze handschriftliche Briefe, die aus dem | |
Gefängnis in Bakırköy in die Welt hinausgeschmuggelt werden. | |
## Sie machen weiter | |
Die Kolumne für Aslı erscheint in der kleinen kurdischen Tageszeitung | |
Özgürlükçü Demokrasi („Freiheitliche Demokratie“). Es ist ein | |
Nachfolgeprojekt von Özgür Gündem. Die Mitarbeiter arbeiten unter hohem | |
Druck und mit der ständigen Angst, dass auch bei ihnen bald die Polizei vor | |
der Tür steht, unter absurden Vorwürfen Journalisten und Redakteure | |
verhaftet, die Publikation verbietet. Aber solange das nicht geschieht, | |
machen sie weiter. Jeden Tag. | |
Für Aslıs Kolumne haben derweil namhafte türkische Literaten geschrieben. | |
Die renommierten Schriftsteller Murat Uyurkulak, Alper Canıgüz, Nermin | |
Yıldırım und Şebnem İşigüzel sind nur einige von ihnen. Als im Oktober | |
Razzien und Festnahmen bei Cumhuriyet, einer der größten unabhängigen | |
Tageszeitungen des Landes, stattfanden und im selben Zeitraum die | |
Parteispitze der oppositionellen HDP inhaftiert wurde, zogen einige Autoren | |
ihre Beiträge zurück. Aus Angst. | |
Spätestens jetzt war klar: Es gibt keine rote Linie mehr, es kann wirklich | |
jeden treffen: ob Redakteure eines international anerkannten Blattes, | |
dessen ehemaliger Chefredakteur Can Dündar nach Deutschland flüchten | |
musste, weil er wegen seiner Berichterstattung über Waffenlieferungen nach | |
Syrien ins Gefängnis soll, oder das Spitzenpersonal einer demokratisch | |
gewählten kurdischen Partei. | |
## Wörter dürfen nicht verstummen | |
Die Redaktion der Özgürlükçü Demokrasi suchte nun Kollegen außerhalb der | |
Türkei, die bereit wären, einzuspringen. Sie fanden sich. Den | |
Schriftsteller José F. A. Oliver zum Beispiel. Oder Imre Török, der lange | |
Zeit Vorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller war und im PEN | |
aktiv ist. Beide haben eine enge Verbindung zur Türkei und zu den Kollegen | |
dort. | |
Die Wahrheit kann man nicht töten. Die Wörter dürfen nicht verstummen. | |
Daher war es nur folgerichtig, die Kolumne zu übersetzen und auch außerhalb | |
der Türkei zugänglich zu machen. Heute machen wir den Anfang mit dem Text | |
des Istanbuler Schriftstellers Alper Canıgüz, dessen Bücher auch auf | |
Deutsch erscheinen. Er war einer der Ersten, die sich an der Fortschreibung | |
von Aslı Erdoğans Kolumne beteiligten. | |
Weitere Beiträge sowohl von türkischen als auch von deutschen Autoren | |
veröffentlichen wir an dieser Stelle fortan wöchentlich. | |
22 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Gerrit Wustmann | |
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