# taz.de -- Protest gegen Krieg in Syrien: „Wir laufen, um Druck aufzubauen“ | |
> Die Bloggerin Anna Alboth bricht am zweiten Weihnachtstag mit anderen auf | |
> zu einem Marsch von Berlin nach Aleppo. 3.000 Leute wollen dabei sein. | |
Bild: Zerstörtes Aleppo | |
taz: Frau Alboth, am zweiten Weihnachtstag wollen Sie aufbrechen zu einem | |
Marsch vom Tempelhofer Feld in Berlin nach Aleppo. Warum? | |
Anna Alboth: Wir wollen die Fluchtroute der Menschen aus Syrien rückwärts | |
gehen, über Österreich, die Balkanländer, Griechenland und die Türkei. Ich | |
denke, mindestens 3.000 Leute werden zu Beginn dabei sein. | |
So viele? | |
Ja, ganz sicher. Es kommen Menschen aus ganz Europa, auch Flüchtlinge | |
wollen mit. Ich erwarte nicht, dass all diese Leute für eine sehr lange | |
Zeit mitlaufen. Aber das ist auch der Grund, warum wir zu Fuß gehen: | |
Menschen können sich jederzeit anschließen und jederzeit wieder aussteigen. | |
Wir haben lokale Koordinatoren in allen Ländern, durch die wir kommen. Sie | |
informieren über unseren Marsch und machen klar, dass jeder dabei sein | |
kann. | |
Sie meinen das wirklich ernst. | |
Absolut. | |
Wie sind Sie auf die Idee gekommen? | |
Ich lebe zusammen mit meinem Mann, unseren zwei Kindern und einem | |
Mitbewohner in einer WG. Vor anderthalb Jahren haben wir drei Flüchtlinge | |
aufgenommen. Einer ist noch immer bei uns, ein 50-Jähriger Syrer aus | |
Aleppo. Er gehört inzwischen zur Familie. Wir haben auch viel mit | |
Flüchtlingen in anderen Unterkünften zu tun. Ich habe vor zweieinhalb | |
Wochen einen ganz Tag mit Syrern verbracht. Wir haben über nichts anderes | |
als den Krieg sprechen können. Wie auch, sie haben große Teile ihrer | |
Familien verloren. Ich bin nach Hause gekommen und hatte das Gefühl, mir | |
platzt der Kopf. Ich dachte: Ich muss mit dieser Trauer, mit dieser Wut | |
irgendetwas machen. | |
Was haben Sie getan? | |
In den letzten Wochen haben wir Europäer uns zu sehr an die schrecklichen | |
Bilder aus Aleppo gewöhnt. An diesem Abend wollte ich nicht mehr einfach | |
nur zuschauen, wie die Menschen dort sterben. Ich habe per Facebook | |
gefragt: Was, wenn wir alle etwas dagegen unternehmen, wenn wir einfach | |
dort hingehen? Das war ein verrückter Gedanke. Aber innerhalb von 24 | |
Stunden haben so viele Menschen mir geschrieben: Wenn du gehst, geh ich | |
auch. Also machen wir das. | |
Können Sie denn einfach aus Berlin weg? | |
Ich bin freie Journalistin und Bloggerin, grundsätzlich geht das. Während | |
des Marsches will ich mich mit meinem Mann abwechseln, um die Kinder zu | |
Hause regelmäßig zu sehen. | |
Wie wollen Sie den Marsch organisieren? | |
Wir sind jetzt insgesamt 150 Organisatoren, wir alle haben in den letzten | |
zwei Wochen wenig geschlafen und saßen sehr viel vor unseren Computern. Ein | |
Team ist verantwortlich für die Route, ein anderes für den Kontakt zur | |
Polizei, die uns begleiten soll, wir sind ja eine Demonstration. Ärzte | |
sollen mitlaufen, ein Team kümmert sich um die Medien. Wir wollen auch | |
unterwegs Fotos und Videos von unserem Marsch veröffentlichen. Außerdem | |
sind wir in Kontakt mit Hilfsorganisationen in der Türkei und in Syrien | |
selbst. | |
Was sagen die zu Ihrem Plan? | |
Wenn ich Anrufe aus Syrien bekomme, ist das am berührendsten. Ich bin keine | |
Expertin, aber die Leute vor Ort sagen mir, wie wichtig Hoffnung sei. Das | |
eigentliche Ziel des Marsches ist, dass die Zivilisten in Syrien Zugang zu | |
humanitärer Hilfe bekommen. Wir laufen, um Druck aufzubauen. | |
Gerade werden die Menschen aus Ost-Aleppo evakuiert. | |
Das stimmt, aber es geht nicht nur um Aleppo. Es gibt in Syrien noch 15 | |
andere Gegenden, die von Hilfe abgeschnitten sind. | |
Glauben Sie wirklich, dass sich an der Lage in Syrien durch einen Marsch | |
etwas ändert? | |
Viele von uns sind auf Demonstrationen gegangen, haben Petitionen | |
geschrieben. All das hat nichts gebracht. Statt vor den verschiedenen | |
Parlamenten zu demonstrieren tun wir uns mit unserer Energie zusammen. Für | |
mich ist auch ein wichtiger Teil, den syrischen Menschen zu zeigen, dass | |
wir sie nicht vergessen. | |
Ihr Ziel ist nicht, den Krieg zu stoppen, sondern vor allem den Menschen | |
dort ein Zeichen der Hoffnung zu geben? | |
Ich bin nicht so naiv zu denken, dass wir mit dem Marsch den Krieg stoppen. | |
Die Lage dort ist sehr unübersichtlich, es kämpfen sehr verschiedenen | |
Gruppen. Ich wusste letzte Woche nicht, vor welche Botschaft ich zum | |
Demonstrieren hätte gehen sollen: Wer hat am ehesten Schuld an dem, was | |
passiert? Das weiß ich nicht. Aber passiv zu bleiben in Zeiten des Krieges | |
bedeutet, mitverantwortlich zu sein für das, was passiert. Es kann nicht | |
sein, dass wir nichts tun. Wir wollen viele Augen in der Welt auf unseren | |
Marsch richten, so dass mehr und mehr sich dafür interessieren, was in | |
Syrien passiert. | |
Wie lange planen Sie für den Marsch ein? | |
Die optimistische Version ist drei Monate, aber wahrscheinlich dauert es | |
länger. Das hängt auch davon ab, wo wir schlafen. Wenn wir Zelte aufbauen, | |
müssen wir vor Einbruch der Dunkelheit anhalten. Also reden wir jetzt mit | |
vielen Bürgermeistern, ob es Gebäude gibt, in denen wir übernachten können. | |
Wir bekommen schöne Rückmeldungen. | |
Trotzdem wird so ein Marsch im Winter keine leichte Sache werden. | |
Ja. Das wird kein spaßiger Picknickausflug. Es wird kalt. Vielleicht | |
schaffen wir nicht, so lange zu laufen. Vielleicht sagen alle nach drei | |
Wochen: Wir wollen nach Hause. Aber wir probieren es. Wir geben unser | |
Bestes. | |
Durch Syrien zu laufen wäre ziemlich gefährlich. Aber Sie werden | |
wahrscheinlich eh spätestens an der syrische Grenzen stecken bleiben, oder? | |
Ich will niemand aus der Gruppe einer Gefahr aussetzen. Ehrlich gesagt | |
glaube ich, wir bleiben schon an der türkischen Grenze stecken. Der | |
türkischen Regierung wird die Vorstellung, dass da Tausende, darunter viele | |
Prominente, demonstrierend durch ihr Land laufen, wahrscheinlich wenig | |
gefallen. Aber was machen sie dann mit uns an ihrer Grenze? Wir haben eine | |
Chance, wirklich groß und sichtbar zu sein. Für mich ist jetzt erst mal das | |
Wichtigste, dass wir loslegen. Vieles wird auf dem Weg passieren. Leute | |
werden sich anschließen, wir werden Zeit haben, uns zu unterhalten. Ich | |
sehe das als einen großen Prozess. | |
25 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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