# taz.de -- Dokumentarfilm „Theo Who Lived“: Der Houseboy der Dschihadisten | |
> Zwei Jahre war Theo Padnos in der Gewalt von Kämpfern der Al-Nusra-Front | |
> in Syrien. Er wurde gefoltert. Davon erzählt ein Film. | |
Bild: Im Dokumentarfilm „Theo Who Lived“ simuliert Theo Padnos auch seine F… | |
In dem Raum mit den hellblau getünchten Wänden liegt eine Matratze mit | |
unschuldigem braunem Retro-Blumenmuster. Das karg eingerichtete Zimmer | |
lässt Theo Padnos noch schmächtiger, noch zarter wirken, als er es ohnehin | |
schon ist. | |
So ähnlich habe das Zimmer ausgesehen, in dem sein fast zweijähriges | |
Martyrium begann, erzählt der amerikanische Journalist [1][in dem | |
Dokumentarfilm „Theo Who Lived“]. | |
Theo Padnos ist Amerikaner. Vier Jahre ist es her, dass sich der freie | |
Journalist dazu entschied, illegal nach Syrien zu reisen. Er war | |
unzufrieden mit seinen Recherchen aus Antakya, der türkischen Stadt an der | |
syrisch-türkischen Grenze. Wollte direkt vom Ort des Geschehens berichten, | |
Geschichten aus erster Hand liefern. | |
Als Kriegsreporter sah er sich nicht. Seine Reise sollte in den Nordosten | |
des Landes gehen, in das Gebiet, das zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unter | |
der Kontrolle des syrischen Machthabers Baschar al-Assad stand. | |
Immer wieder reisten ausländische Journalisten zu dieser Zeit nach Syrien – | |
und kamen wieder zurück. Padnos hatte im Jemen und in Damaskus Arabisch | |
gelernt, er glaubte, gut vorbereitet zu sein. | |
## Er rennt durch Olivenhaine | |
Schnell baute er Kontakt zu Syrern auf, die ihn über die Grenze nach Syrien | |
schmuggeln sollten. Doch Padnos war in die Hände von Kämpfern der | |
Al-Nusra-Front gelangt, dem syrischen Ableger der Terrororganisation | |
al-Qaida. | |
Die Terroristen verdächtigten ihn, ein amerikanischer Spion der CIA zu | |
sein. Fast zwei Jahre lang hielten sie ihn in ihrer Gewalt, folterten und | |
misshandelten ihn, drohten ihm mit dem Tod. | |
In dem Dokumentarfilm stellt Padnos das Erlebte nach. So simuliert er seine | |
Flucht über die türkisch-syrische Grenze, rennt dafür durch Olivenhaine und | |
zwängt sich in enge Zellen, die Hände hinterm Rücken gefesselt. In einer | |
anderen Szene stellt er sich auf einen klapprigen Stuhl und legt sich eine | |
Schlinge um seinen schmalen Hals. Er will seine drohende Erhängung so | |
plastisch wie möglich darstellen. | |
Merhmals hatten ihn die Djihadisten für Stunden auf so einen Hocker | |
gestellt und damit gedroht, den Hocker umzutreten. Für sie war Padnos die | |
Inkarnation des imperialen Amerikas – all das wogegen sie glaubten, zu | |
kämpfen. | |
Sie warfen ihm Hiroshima vor, Afghanistan und den Irak-Krieg. Mehrmals gab | |
Padnos zu, für die CIA zu arbeiten – unter Folter sei man bereit, alles zu | |
gestehen. Doch die Terroristen suchten nicht nach Informationen, sie | |
wollten keine Antworten. | |
## Menschlichkeit und Zuneigung | |
„Sie foltern, um dich zu psychisch brechen. Um dich zu transformieren, dir | |
klarzumachen, dass du ein Ungläubiger bist. Vor dem Foltern beten sie zu | |
Allah. Sie denken, dass ihre Tat sie näher zu Gott bringt“, glaubt Padnos. | |
Viele Monate hatte Padnos in einer Gefängniszelle verbracht, die zu kurz | |
war, um sich der Länge nach auszustrecken. Im Film legt er sich in | |
Embryonalstellung in so eine Zelle und mokiert sich über die lieblose | |
Inneneinrichtung. Immerhin hat sie ein kleines Fenster, gerade groß genug, | |
um seinen Kopf herauszustrecken. | |
Padnos erzählt, wie er so schaffte, Kontakt zu seinen Wärtern aufzubauen. | |
Wie es ihm eines Tages gelang, an Papier und Stift heranzukommen. Wie er | |
begann, zu schreiben, möglichst winzig, um ja kein Papier zu verschwenden. | |
Padnos schrieb über seine Kindheit in Vermont, seine Familie, seine erste | |
Freundin. Über Menschlichkeit und Zuneigung, all das, war er in seiner | |
Gefangenschaft so schmerzlich vermisste. Und er las seine Geschichten den | |
Wärtern vor. | |
„Das hat sie beruhigt. Diese jungen Männer haben meine Erzählungen | |
aufgesaugt. Kein Wunder, sie leben in einem Teufelskreis von Hass und | |
Gewalt“, meint Padnos heute. „Zu den Terroristen laufen sie über, weil die | |
ihnen Antworten anbieten – und materielle Sicherheit. Und wenn sie schon | |
keinen Frieden haben dürfen, dann sollen es wenigstens die Jungfrauen im | |
Paradies sein“. | |
## Nur selten unverhohlene Wut | |
Es sind solche Aussagen, die sich wie ein roter Faden durch die | |
Dokumentation ziehen. Padnos schaffte es unter widrigsten Bedingungen, | |
Verständnis für die Situation seiner Peiniger zu zeigen und baute so ein | |
persönliches Verhältnis zu ihnen auf. | |
Er pflichtete ihnen bei, wenn sie Amerika und den Westen kritisieren und | |
stellte sich auf ihre Seite, wenn sie die westliche Nahost-Politik der | |
letzten Jahrzehnte für das Unglück der arabischen Welt verantwortlich | |
machten. So schaffte er es sogar, in der Gunst des Islamisten-Anführers Abu | |
Maraya al-Qahtani aufzusteigen. | |
Irgendwann durfte er einfache Arbeiten für die Terroristen ausübern, | |
säuberte zum Beispiel die Läufe der Kalaschnikows. Er sei der “Houseboy“ | |
der Djihadisten gewesen, sagt Padnos und hört sich fast ein bisschen stolz | |
dabei an. | |
Nur selten kommt im Film unverhohlene Wut zum Ausdruck. Etwa als Padnos | |
eine Szene nachstellt, in der er von seinen Wärtern ausgepeitscht wird. | |
Immer wieder lässt er eine Weidenrute auf den Boden schlagen. Das zurrende | |
Geräusch ist kaum zu ertragen, obgleich es nur Brennesseln sind, die sich | |
unter den Peitschenhieben beugen. | |
## Bereitschaft zur Vergebung | |
Oder als der Regisseur Padnos mit einem CNN-Interview konfrontiert. In ihm | |
spricht der amerikanische Journalist Matthew Schrier kurz nach seiner | |
Flucht aus Syrien über ihre gemeinsame Zeit in Gefangenschaft. | |
Die beiden Journalisten hatten sich über sechs Monate eine Zelle geteilt | |
und zusammen die Flucht geplant. Doch Matthew Schrier hatte die Nerven | |
verloren und Theo in der Zelle zurückgelassen. | |
Doch genauso schnell, wie der plötzliche Wutausdruck kam, hat sich Padnos | |
auch wieder gefangen: „Was kann ich ihm denn schon vorwerfen?“, räumt er | |
ein. | |
Es scheint, als habe Theo Padnos die Bereitschaft zur Vergebung | |
verinnerlicht. Vielleicht war es dieser Pragmatismus, gepaart mit seiner | |
irgendwie immer positiv anmutenden Grundeinstellung, die ihn davor bewahrt | |
haben, von Folter und Erniedrigung gebrochen zu werden. | |
Fragt man ihn heute, was denn passieren müsse, um den Krieg in Syrien zu | |
beenden, spricht er sich für einen Stopp der Waffenlieferungen an Syrien | |
aus. Auf die Frage, was die Syrer jetzt bräuchten, setzt er eine ernste | |
Mine auf und antwortet: „Love!“ Das wirkt auf den ersten Blick naiv. Und | |
ist doch ganz ernst gemeint. | |
15 Dec 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=7i7nDFs0flg | |
## AUTOREN | |
Diana Pieper | |
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