# taz.de -- Flüchtlingspolitik im Tschad: Mittendrin am Rand | |
> Im Tschad finden mehr Menschen Zuflucht, als dass sie emigrieren. Trotz | |
> der zentralen Lage, stand das Land deshalb bisher oft weniger im Fokus | |
> der EU. | |
Bild: Flüchtlinge aus Nigeria im Camp Baga Sola im Tschad | |
Die Republik Tschad, seit dem 11. August 1960 unabhängig von der früheren | |
Kolonialmacht Frankreich, weist derzeit keine spezifischen bilateralen | |
Abkommen zur Migration mit Frankreich und/oder der EU auf. Dennoch ist auch | |
die Republik Tschad in jüngster Zeit intensiv in die Bemühungen der EU um | |
Migrationskontrolle in der Sahelgrenzen sowie an den staatlichen Grenzen | |
Libyens einbezogen. | |
Nach der staatlichen Unabhängigkeit des Tschad schlossen die Französische | |
Republik und die Republik Tschad am 15. Januar 1961 ein Abkommen, das den | |
Beitritt des mittelafrikanischen Landes zur multilateralen Konvention, dem | |
sogenannten Multilateralen Abkommen über die Grundrechte der Angehörigen | |
der Staaten der frankophonen Gemeinschaft beinhaltete. Aufgrund dieser | |
Konvention genossen die Staatsangehörigen der Vertragsparteien faktische | |
Niederlassungsfreiheit auf dem Boden Frankreichs. | |
Ab dem 10. März 1961 galt diese Vereinbarung für Staatsangehörige aller | |
französischen Ex-Kolonien in Afrika, mit Ausnahme der Republik Guinea, die | |
aus politischen Gründen „abgestraft“ werden sollte. Die Vereinbarung | |
garantierte ihnen die freie Einreise, sofern sie sich im Besitz einer carte | |
d’identité – einer Art Personalausweis – oder eines Reisepasses befanden, | |
selbst wenn der Reisepass seit bis zu fünf Jahren abgelaufen war. Den | |
Betreffenden wurde ferner der Zugang zu allen Arbeitsplätzen auf | |
französischem Boden, selbst im öffentlichen Dienst, garantiert. | |
Mit der Einrichtung des Zwangs, einen Aufenthaltstitel sowie eine | |
Arbeitserlaubnis in Frankreich zu besitzen, durch zwei einfache | |
Ministerialverordnungen (des Innen- und des Arbeitsministeriums) vom 30. | |
November 1974 setzte die Französische Republik dem vorherigen Rechtsstatus | |
einseitig ein Ende. Im selben Zeitraum begann die Neuverhandlung der | |
Abkommen mit den betreffenden französischsprachigen Staaten in Afrika. Aus | |
politischen Gründen hatte im Übrigen die tschadische Seite schon kurz | |
zuvor, 1973, eine Aufkündigung der multilateralen Konvention vom 22. Juni | |
1960 angekündigt. | |
Im Falle des Tschad führte diese Phase zur restlosen Beseitigung aller | |
Besonderheiten für tschadische Staatsangehörige gegenüber dem, zuvor | |
erheblich restriktiver ausfallenden, „allgemeinen“ Ausländerrecht, was | |
nicht für alle früheren französischen Kolonien in Afrika gilt. | |
## Geringer Zuzug in die EU | |
Am 6.März 1976 wurden mehrere neue Kooperationsabkommen zwischen der | |
Französischen Republik und der Republik Tschad unterzeichnet, welche im | |
Jahr 1978 in Kraft traten. Seitdem unterlagen tschadische Staatsangehörige | |
in Frankreich juristisch dem „normalen“ Ausländerrecht. Doch während einer | |
Übergangsphase wurden zunächst noch die vorherigen, die Einreise und | |
Niederlassung begünstigenden Regeln auf tschadische Staatsangehörige | |
angewandt. Ab Januar 1981 fielen sie jedoch definitiv unter das | |
„gewöhnliche“ Ausländerrecht, was bis heute der Fall ist. Abweichende | |
günstigere Regeln, wie sie beispielsweise für kamerunische Staatsangehörige | |
in Frankreich existieren, bestehen nicht. | |
Die Europäische Union (EU) hat bislang ihrerseits noch kein spezifisches | |
Abkommen mit der Republik Tschad zum Thema Migration abgeschlossen. Die | |
Thematik fließt jedoch in die allgemeine bilaterale Zusammenarbeit mit ein. | |
Ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass die Migration von tschadischen | |
Staatsangehörigen in die EU bislang zahlenmäßig gering ist. Die Statistiken | |
des europäischen Amts Eurostat von 2016 weisen pro Monat in der gesamten EU | |
50 bis 80 Asylbewerber aus dem Tschad aus. | |
In Frankreich entschied der Nationaler Asyl-Gerichtshof – die | |
Berufungsinstanz in Asylverfahren – im ganzen Jahr 2013 über 108 Fälle von | |
tschadischen Staatsangehörigen, bei insgesamt 38.540 Einzelentscheidungen. | |
Von diesen 108 Asylanträgen wurden in der Berufungsinstanz nur 17 positiv | |
beschieden, die Ablehungsquote lag bei 84 Prozent. Visumsanträge aller Art | |
wurden im Jahr 2010 insgesamt 4.568 und im darauffolgenden Jahr 2011 | |
insgesamt 4.417 an das französische Konsulat im Tschad gerichtet. Das Land | |
ist also zahlenmäßig kein „starkes“ Herkunftsland von Migrantinnen und | |
Migranten. | |
Die Zusammenarbeit der EU mit dem Tschad, die im Zeitraum 2008 bis 2013 in | |
Höhe von 328 Millionen Euro aus dem Europäischen Entwicklungsfonds EDF | |
finanziert wurde, hatte offiziell vor allem folgende Schwerpunkte: Aufbau | |
eines transparenteren Justizsystems; „gute Regierungsführung“ und | |
verbesserte Transparenz in der Finanzverwaltung; Verbesserung der | |
Lebensbedingungen vor allem der Landbevölkerung; bessere | |
Lebensmittelversorgung; verbesserte Gesundheitsversorgung. In den | |
Untersuchungsberichten für den EDF sind jedoch auch Ausführungen zum Thema | |
„Migrationsbewegungen“ zu finden, wie im Annexdokument XII des | |
Jahresberichts für 2003. | |
## Fokus auf den Nachbarländern | |
Die Republik Tschad nahm, vertreten durch ihren seit 1990 autoritär | |
regierenden Präsidenten, Idriss Déby Itno, am Gipfel der EU und | |
afrikanischer Staaten in der maltesischen Hauptstadt Valletta teil. Das | |
Land befindet sich jedoch nicht auf der Liste jener Staaten, denen im | |
Rahmen des sogenannten Valletta-Prozesses präferenzielle „Partnerschaften“ | |
oder „Pakte“ zur Migrationskontrolle angeboten werden sollen, wie Niger, | |
Nigeria – zwei unmittelbar an den Tschad angrenzende Nachbarländer – sowie | |
Senegal, Mali, Äthiopien zuzüglich Jordanien und Libyen im Hinblick auf | |
Syrienflüchtlinge. | |
Der Tschad ist Gründungsmitglied der als „G5 Sahel“ bezeichneten | |
Staatengruppe der Sahelzone. Diese wurde am 16. Februar 2014 in der | |
mauretanischen Hauptstadt Nuakchott gegründet. Ein Gipfeltreffen der | |
„G5“-Gruppe fand am 20. November 2015 in der tschadischen Hauptstadt | |
N’Djamena statt; an ihm nahm auch die Hohe Vertreterin der EU für Außen- | |
und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, teil. Aus diesem Anlass wurden | |
u.a. „die Gebiete der Sicherheitspolitik, der Verwaltung der Grenzen, der | |
Migration, der Terrorismusbekämpfung sowie der Vorbeugung gegen (Anm.: | |
islamistische) Radikalisierung“ als Themenfelder für eine „regionale | |
Koordination“ sowie für die „Kooperation zwischen G5 Sahel und Europäisch… | |
Union“ definiert. | |
Am 19. Mai 2016 stellte die EU-Kommission 20 neue Aktionen zugunsten der | |
Stabilität und für die Bekämpfung der tieferen Ursachen illegaler | |
Migrationin der gesamten Sahelregion vor. Diese sollten durch den beim | |
Valletta-Gipfel lancierten EU-Treuhandfonds in Höhe von insgesamt 280 | |
Millionen Euro finanziert werden. Dabei wurde der Tschad nicht als | |
spezifisches Zielland genannt, allerdings betreffen acht der Aktionen das | |
„Becken des Tschadsees“, an welchen Niger, Nigeria, Kamerun sowie der | |
Tschad angrenzen, mit dem Schwerpunkt „Bekämpfung der Boko Haram-Sekte“. | |
## Polizei für die Sahel-Zone | |
Am 13. Juni 2016 stellte die EU-Kommission in Brüssel erneut „sechs | |
Aktionen“ für den Sahelraum dar, deren Gesamtkosten auf 146 Millionen Euro | |
für den Treuhandfonds beziffert werden. Als länderübergreifende Ziele | |
wurden unter anderem „die Verwaltung/Bewältigung von Migrationsbewegungen, | |
Kampf gegen Menschenhandel“ sowie die Begünstigung von „Rückkehr und | |
Reintegration“ genannt. Auch sollen, für Kosten in Höhe von 41,6 Millionen | |
Euro, länderübergreifende „robuste, flexible, mobile und interdisziplinäre… | |
Polizeieinheiten – französisch abgekürzt GAR-SI Sahel, für „Schnelle | |
Aktionsgruppen für Überwachung und Eingreifen“ – eingerichtet werden. Als | |
spezifische Ausgaben für den Tschad wurden daneben 10,3 Millionen Euro für | |
die berufliche Eingliederung junger Tschader „mit schwacher oder nicht | |
vorhandener schulischer Ausbildung“ ausgewiesen. | |
Ihnen voraus gingen, ausweislich einer Antwort der deutschen | |
Bundesregierung vom 13. Juli 2016 im Bundestag auf eine Kleine Anfrage von | |
Bündnis 90/Die Grünen-Abgeordneten mit dem Titel „Maßnahmen für den | |
Tschad“im Rahmen des Valletta-Prozesses, wie etwa für Beschäftigungspolitik | |
„am Tschadsee“ mit einer Finanzierung in Höhe von 27 Millionen Euro. | |
Aufgeführt werden dabei seitens der deutschen Bundesregierung | |
beförderungspolitische Maßnahmen einerseits (20 Millionen Euro für den | |
Sektor der Viehzucht), ein Programm für die Bewältigung von Auswirkungen | |
der Krise im Nachbarland Zentralafrikanische Republik (12 Millionen Euro) | |
sowie für „Sicherheit und Terrorismusbekämpfung“ (acht Millionen) | |
andererseits. | |
Am 17. Juni 2016 trat EU-Vertreterin Mogherini in Brüssel zusammen mit den | |
Außenministern der „G5 Sahel“-Länder vor die Presse. Zusammen mit dem | |
tschadischen Minister Moussa Faki Mahamat hielt sie in diesem Rahmen eine | |
spezifische Pressekonferenz ab. Als Ziele der multilateralen Zusammenarbeit | |
nannte Frau Mogherini dabei „Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen | |
– besonders für junge Menschen -, aber auch Terrorismusbekämpfung, den | |
Kampf gegen Menschenhandel (und) illegale Migration“.Anlässlich der | |
gemeinsamen Pressekonferenz ging Mogherini stärker auf EU-Missionen in Mali | |
und im Niger ein; in Bezug auf den Tschad nannte sie jedoch als | |
vordringliche Aufgabe „die Kontrolle und Verwaltung der Grenzen im Süden | |
Libyens“, auch im Hinblick auf die Bewältigung von „durch Libyen | |
verlaufenden Migrationsströmen“. | |
## Mehr Engagement | |
Das tschadische Regime seinerseits fordert eine Zusammenarbeit von | |
europäischer Seite ein „um den Aufbruch von Migranten in Richtung Europa zu | |
bremsen“, wie es der autoritär regierende Präsident Idriss Déby Itno am 12. | |
Oktober 2016 in Berlin – wo er sich auf Einladung von Bundeskanzlerin | |
Angela Merkel aufhielt – formulierte. Aus diesem Anlass forderte Déby, die | |
EU solle „breitere Lösungen mit allen Sahel-Staaten suchen“, statt | |
„bilaterale Abkommen mit Mali oder Niger“ zu favorisieren. | |
Dies konnte und sollte als Aufforderung verstanden werden, sein Land | |
stärker als bislang in multilaterale Bemühungen um Migrationskontrolle | |
einzubeziehen. Bislang jedenfalls spielt der Tschad bei diesen eine | |
geringere Rolle als etwa Niger, Mali oder Senegal. Ein Grund dafür dürfte | |
darin liegen, dass die Zahl der in Europa lebenden oder ankommenden | |
tschadischen Staatsangehörigen vergleichsweise gering ist, während das Land | |
zugleich eher ein Zufluchts- und Aufnahmeort denn Ausreiseland für | |
Geflüchtete darstellt. | |
Aufgrund der Konflikte in benachbarten Ländern und Regionen wie Sudan | |
(Darfur) und insbesondere der Zentralafrikanischen Republik beherbergt der | |
Tschad derzeit rund 700.000 Geflüchtete; Bundeskanzlerin Merkel sagte den | |
Behörden in N’Djamena in diesem Zusammenhang im Oktober 2016 eine Hilfe von | |
8,9 Millionen Euro zu. Aus Sicht der EU-Mächte geht es vor allem darum, | |
dass die Flüchtlinge aus dem Sudan sowie der Zentralafrikanischen Republik | |
im Nachbarland Tschad Aufnahme und Versorgung finden, aber nicht auf die | |
Idee kommen, in Richtung Europa weiterzuziehen. | |
12 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernard Schmid | |
## TAGS | |
migControl | |
Niger | |
Tschad | |
Tschad | |
Nigeria | |
Nigeria | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Vertriebene in Afrika: Wenn die Ärmsten Flüchtlingen helfen | |
Hunderttausende sind im Grenzgebiet von Nigeria, Tschad und Niger auf der | |
Flucht. Obwohl sie selbst arm sind, nehmen Bauern die Geflüchteten auf. | |
Ex-Diktator des Tschad vor Gericht: Hissène Habré bleibt hinter Gittern | |
Das Sondertribunal der Afrikanischen Union fällt ein Berufungsurteil über | |
Tschads Exdiktator: Es bestätigt die lebenslange Haft. | |
Rebellen aus Tschad in Libyen: Kämpfer auf Wanderschaft | |
Im Süden Libyens setzen sich Rebellen aus Tschad fest. Sie nutzen die | |
Sahara-Migrationsrouten. Tschads Regierung schließt die Grenzen. | |
Konferenz zur Krise in Nordost-Nigeria: Gabriel sagt 120 Millonen Euro zu | |
Die Tschadsee-Region ist heimgesucht von Armut, Hunger, islamistischem | |
Terror und Folgen des Klimawandels. Jetzt sagt Deutschland Hilfen zu. | |
Dutzende Tote in Nigeria: Kampfjet greift Flüchtlingscamp an | |
Bei einem versehentlichen Angriff eines Kampfflugzeugs auf ein | |
Flüchtlingslager sind in Nigeria Dutzende Menschen getötet worden. |