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# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Somalia: Heimkehr, freiwillig und erzwungen
> Fast die Hälfte der somalischen Bevölkerung ist in 25 Jahren Bürgerkrieg
> geflohen. Jetzt bemüht sich die Übergangsregierung um ihre Heimkehr. Die
> EU hilft mit.
Bild: Ein Junge mit Spielzeugwaffe in Mogadishu
Die Hälfte der somalischen Bevölkerung, so schätzt die Weltbank, habe in
den vergangenen 25 Jahren des Bürgerkrieges ihre Heimat verlassen; konkret:
über vier Millionen Somali. Dies macht Somalia zu einem der zentralen
Herkunftsländer von Flüchtlingen auf dem Kontinent.
Die meisten suchten in den Nachbarländern Schutz: Jenseits der Grenzen in
der nordöstlichen Wüstenregion Kenias lebten zu Hochzeiten der Flucht und
der Dürre in Somalia 2011 und 2012 fast eine halbe Million somalische
Flüchtlinge, rund eine Million sind es bis heute in Uganda, Äthiopien,
Sudan, Dschibuti und Jemen. Über eine Million Vertriebene suchen Schutz
innerhalb des Landes, meist in den sicheren Regionen Puntland und
Somaliland – beides quasi eigene Staaten, die international nicht anerkannt
sind.
In der somalischen Kultur und Sprache gibt es mittlerweile ein Wort für die
gefährliche Reise nach Europa: „wuu tahribay“, sagt man in einer Familie,
wenn man berichtet, dass der Sohn sich aufgemacht habe, sein Glück in
Europa zu suchen. Im arabischen wird der Begriff in Zusammenhang mit
Schmugglern und Schleppern gebraucht, in der somalischen Sprache vor allem
in Puntland und Somaliland verweist man damit auf die Migration nach
Europa. Ein beliebtes Zielland ist Schweden.
Die Routen sind abenteuerlich und vielfältig: Die Östliche geht über den
Golf von Aden, die arabische Halbinsel, den Irak und Syrien in die Türkei
und weiter auf den Balkan. Die Seeroute führt durch das Rote Meer, über den
Sinai und weiter durchs Mittelmeer in die Ägäis, die westliche Route via
Äthiopien durch Sudan und Libyen. Die Asylbewerberzahlen in der EU sind
seit Jahren ansteigend. 2015 waren es rund 21.000 Somali, davon wurden
5.500 Anträge positiv entschieden, über 3.000 abgelehnt. Seit August 2016
steht im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Somalia auf der
Liste der Herkunftsländer mit guter Bleibeperspektive. Zuvor umfasste die
Liste nur die Länder Eritrea, Irak, Iran und Syrien.
In großen Teilen Somalias herrscht seit 25 Jahren ein brutaler Bürgerkrieg.
Die islamistische Miliz Al-Shabaab kontrollierte zwischenzeitlich wichtige
Teile des Landes. Doch unter den Somali im Ausland sind nicht nur
Kriegsflüchtlinge, sondern auch junge Männer und Frauen aus den relativ
friedlichen Gebieten Somaliland und Puntland. Eine Studie des
Rift-Valley-Instituts besagt, die Zahl der jungen Somalier, die sich nach
dem Schulabschluss auf die Reise machen, sind in diesen Gebieten fast
genauso hoch wie in den umkämpften Zonen. Die meisten suchen nach Arbeit,
die ihrem Bildungsniveau entsprechen, da es in ihrer Heimat keine Jobs
gibt, so die Studie. „Migration ist in der somalischen Kultur ein Weg zum
Erfolg“, erklärt Bram Frouws, Migrationsspezialist des Think-Tanks RMMS,
das Migrationsbewegungen am Horn von Afrika untersucht. Viele Somali, die
heute in der Regierung und Wirtschaft im Land eine wichtige Rolle spielen,
kamen aus dem Exil in Europa oder den USA zurück.
## Maßnahmen zur Stabilisierung Somalias
Die Internationale Gemeinschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten teure
Anstrengungen unternommen, das Bürgerkriegsland zu stabilisieren. Seit 2007
unterhält die Afrikanische Union (AU) eine Stabilisierungsmission in
Somalia (AMISOM), die von der EU maßgeblich finanziert wird: Mehr als eine
Milliarde Euro hat die EU seit 2017 für den Sold der ugandische,
kenianischen und burundischen AU-Soldaten und Polizisten ausgegeben. Doch
im Zuge des Aufbaus der EU-Militärmissionen in Mali, Nigeria und der
Zentralafrikanischen Republik reduzierte die EU zu Beginn des Jahres 2016
ihren Anteil um 20 Prozent. Im ersten Halbjahr 2016 klagten Kenia und
Uganda über ausstehende Zahlungen an ihre Soldaten in Somalia. Beide Länder
drohten, aus der Mission auszusteigen. Im September 2016 sagte die EU dann
weitere 178 Millionen Dollar zu.
Bereits 2010 etablierte die Europäische Union (EU) eine Trainingsmission
für die quasi nicht existente Armee. Soldaten und vor allem Offiziere
wurden von europäischen Militärs ausgebildet, jedoch nicht in Somalia
selbst. Aufgrund der Sicherheitslage wurden die Somali nach Uganda geflogen
und dort von den Europäern monatelang gedrillt. 2015 wurde die Mission
(EUTM) nach Mogadishu verlegt, bis heute (Ende 2016) sind dort fast 200
europäische Soldaten stationiert, um somalische Offiziere anzuleiten.
In der zivilen EU-Mission EUCAP Nestor (Regional Maritime Capacity Building
Mission in the Horn of Africa and the Western Indian Ocean) trainieren
europäische Ausbilder seit 2012 die somalische Küstenwache in ihrem Kampf
gegen Piraterie.
## Operation Heimkehr
Für Ende 2016 sind Wahlen angesetzt, in welchen die Klanchefs eine neue
Regierung wählen – ein weiterer Prüfstein in der Stabilisierung des Landes.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die Flüchtlinge. Ihre Rückkehr würde zur
Demokratisierung und Legitimierung der neuen Übergangsregierung und damit
zur Stabilisierung des Landes beitragen und evtl. könne man über eine
Wahlbeteiligung der Gesamtbevölkerung nachdenken, so der
Regierungssprecher: „Behaltet im Kopf, dass eure Rückkehr ein Zeichen für
die Wiederbelebung des Friedens in Somalia ist und dass ihr einen
Unterschied machen für euer Land ausmachen könnt, wenn ihr heimkehrt“,
wendet er sich an die über 270.000 verbliebende somalischen Flüchtlinge in
Kenias Lager Dadaab.
Bereits 2013 haben sich Kenias und Somalias Regierungen in einem
trilateralen Abkommen mit dem UNHCR auf die Schließung der Lager in Kenia
verständigt. Darin war die Frist einer freiwilligen Rückkehr auf Ende
November 2016 angesetzt gewesen. Somalia und Kenia wollten an diesem Datum
festhalten und erhöhten dementsprechend den Druck auf die Flüchtlinge. Das
UNHCR hingegen beharrt auf dem internationalen Prinzip der Freiwilligkeit
der Rückkehr und erwartet einen Abschluss der Rückführung erst für das Jahr
2032.
Hassan Sheikh Mohammud besuchte im Juni 2016 als erster somalischer
Präsident Dadaab in Kenia. Er versprach seinen Landsleuten: „Wir wollen
nicht dass ihr gezwungenermaßen zurückkehrt, ohne dass euch Unterkünfte,
Bildung und Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen“. Wer dafür bezahlen
soll, darüber schwieg er sich aus. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat im
Jahr 2016 für die somalische Flüchtlingshilfe nicht einmal ein Drittel der
für die Versorgung veranschlagten 150 Millionen Dollar erhalten. Die
Aufnahme so vieler Heimkehrer in kurzer Zeit sei eine Herkulesaufgabe für
ein Land, das nach über 20 Jahren Krieg fast vollkommen zerstört ist,
erklärte Somalias Regierungssprecher Daud Awais.
## Angewiesen auf Hilfsgelder
Die EU gilt als größter Geldgeber für die Stabilisierung Somalias.
Fluchtursachenbekämpfung war lange Zeit das Stichwort der EU-Strategie
gegenüber Somalia, mittlerweile liegt der Fokus vor allem auf der
Unterstützung der Heimkehrer. Seit der Ankündigung Kenias, die Lager zu
schließen, haben 17.000 Somali ihre Habseligkeiten gepackt und sind mit
UN-Maschinen ausgeflogen worden. Derzeit leben allein in Dadaab noch
275.000 Somali. In Somalia wurden vier „sichere Zonen“ für die Rückkehr
definiert, darunter die Hauptstadt Mogadischu und die Küstenstadt Kismayo.
150 Dollar und Lebensmittel für sechs Monate bekommen Rückkehrwillige pro
Person vom UNHCR. Dies entspräche nicht der Definition der „Freiwilligkeit“
und verletzte damit Internationales Recht, sagt Victor Nyamori von Amnesty
International in Kenia. Es gebe mehr „Push-Faktoren“, vor allem die Angst
vor gewaltsamer Abschiebung, als „Pull-Faktoren“ wie ein besseres Leben in
der Heimat.
Aus dem EU-Nothilfe-Treuhandfond für Afrika wurden Somalia ebenfalls Gelder
zugesagt: 50 Millionen Euro überweist die EU an das UNHCR und die
Internationale Organisation für Migration (IOM), um die Aufnahme und
Reintegration der rückkehrenden Flüchtlinge zu gewährleisten. Die meisten
Heimkehrer finden ihre Häuser zerstört oder besetzt, sie kommen in
Vertriebenenlagern unter, die jetzt von internationalen NGOs aufgebaut
werden. Weitere 10 Millionen investiert die EU in das von Dürre betroffene
Nord-Somalia, um Fluchtursachen zu bekämpfen.
Im Rahmen des Nationalen Indicativ Programms (NIP) profitiert Somalia von
286 Millionen Euro aus dem EU-Entwicklungs-Treuhandfond. Weitere Gelder
gehen anteilig an Somalia im Rahmen des regionalen Khartum-Prozesses sowie
der Unterstützung der Regionalorganisation IGAD und der Afrikanischen
Union.
Die Heimkehr der somalischen Flüchtlinge ist auch für Europa relevant. Denn
kehren massenweise Flüchtlinge aus Kenia zurück ins Land, werden bald auch
europäische Behörden Somalia doch als sicher einstufen können.
12 Dec 2016
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
migControl
Dürre
Somalia
Schwerpunkt Flucht
Somalia
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