| # taz.de -- Flüchtlingspolitik in Mali: Korruption und Kontrolle | |
| > Die Durchlässigkeit der malischen Grenzen ist stark verringert. Das von | |
| > der EU geforderte Grenzregime kommt lokalen Polizeikräften gelegen. | |
| > „Gebühren“ werden regelmäßig von Reisenden gefordert. | |
| Bild: Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita (re.) zu Besuch beim französisch… | |
| Wien/Ouagadougou taz | Schon länger gibt es Bestrebungen europäischer | |
| Staaten, mit Mali Rückübernahmeabkommen durchzusetzen. Bislang jedoch war | |
| das Interesse des malischen Staates gering, an der Abschiebung eigener | |
| Bürger aktiv mitzuwirken. Zwischen 2007 und 2009 versuchte Frankreich ein | |
| Rückübernahmeabkommen mit Mali durchzusetzen und gleichzeitig das Prinzip | |
| der „ausgewählten Migration“ als Richtlinie zu verankern. Sarkozys Vorstö… | |
| wurden von vielen Maliern als Provokation aufgenommen. | |
| Abgeschobenenverbände und der Gewerkschaftsdachverband CSTM mobilisierten | |
| zu Protesten vor der französischen Botschaft und gegen einen Staatsbesuch | |
| Sarkozys. Das Rückübernahmeabkommen wurde letztlich nicht unterzeichnet. | |
| Mali beteiligte sich zwar am 2006 gestarteten Rabat-Prozess sowie am Dialog | |
| zwischen EU und dem losen karibisch-afrikanischen Staatenbündnis AKP zu | |
| „Migration und Entwicklung“, schloss jedoch bislang lediglich im Jahr 2009 | |
| ein Migrationsabkommen mit Spanien ab – verbunden mit der Zusage Spaniens, | |
| als Gegenleistung zur Kooperationsbereitschaft bei Abschiebungen legale | |
| Zugangsmöglichkeiten für Malier zum spanischen Arbeitsmarkt zu schaffen. | |
| Dieses Versprechen war jedoch mit der beginnenden Wirtschaftskrise in | |
| Spanien recht bald vom Tisch. Die Attraktivität der Unterzeichnung von | |
| Rückübernahmeabkommen hat sich damit aus Sicht Malis nicht gerade erhöht. | |
| Am 11. Dezember 2016 wurde ein gemeinsames Kommuniqué des malischen Staates | |
| mit der EU verabschiedet, in dem die Absicht zu Maßnahmen zur Bekämpfung | |
| sog. „irregulärer“ Migration sowie zur aktiven Mitwirkung bei der | |
| Abschiebung malischer Staatsangehöriger bekräftigt wird. | |
| Ausgehend vom Valletta-Gipfel wird jedoch das Ziel, Rückübernahmeabkommen | |
| mit Mali durchzusetzen, auf EU-Ebene mit neuem Elan forciert. Die | |
| EU-Kommission spricht im Februar 2016 von einem „Anreizpaketes“ für Mali | |
| mit folgenden Unterpunkten: | |
| - (Sicherheits-)politische Unterstützung | |
| - Unterstützung für den malischen Friedensprozess sowie bei | |
| Terrorbekämpfung und Kampf gegen Radikalisierung und gewalttätigen | |
| Extremismus. | |
| - Unterstützung im Bereich „Grenzmanagement“ und Grenzkontrolle sowie bei | |
| der Modernisierung des Personenstandswesens (civil registry). | |
| - Bereitstellung von EU-Treuhandfonds-Geldern sowohl für Projekte, die | |
| Flucht- und Migrationsursachen entgegenwirken sollen, als auch | |
| „verbessertes Migrationsmanagement“ und Bekämpfung „krimineller Netzwerk… | |
| - Nutzung der Entwicklungshilfe seitens der EU und ihrer Mitgliedstaaten | |
| als Anreiz, die Dialogbereitschaft seitens des malischen Staates zu heben. | |
| Das EU-Dokument betont an verschiedenen Stellen unverhohlen die | |
| Abhängigkeit des malischen Staates von europäischen Entwicklungsgeldern und | |
| dem militärischem Engagement der EU-Staaten, durch europäische | |
| Truppenverbände im Rahmen der „Operation Barkhane“ und der MINUSMA-Mission. | |
| Das Papier läuft darauf hinaus, dass die EU die militärische, politische | |
| und ökonomische Abhängigkeit Malis nutzen würde, um Rückübernahmeabkommen | |
| zu erzwingen. | |
| ## Wachsender Druck aus Brüssel | |
| Laut Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs vom 21. Oktober 2016 soll | |
| mit Mali möglichst schnell eine „Mobilitätspartnerschaft“ abgeschlossen | |
| werden. Angela Merkels Besuch am 9. Oktober 2016 hatte diesen Zweck, einen | |
| Monat später kamen dazu auch der EU-Kommissar für Migrationsfragen und der | |
| italienische Außenminister nach Bamako. | |
| Die malische Regierung befindet sich in der Zwickmühle: Der Druck der EU | |
| wächst, gleichzeitig weiß sie um die Bedeutung der Zahlungen von Migranten, | |
| hinzu kommt entsprechender Druck aus der malischen Zivilgesellschaft. | |
| Symptomatisch dafür ist die zunehmend widersprüchliche Rolle des | |
| Ministeriums für Auslandsmalier, das als Interessensvertretung der | |
| malischen Diaspora gegründet wurde, aber mittlerweile aktiv an | |
| Identifizierungsverfahren zur Vorbereitung von Abschiebungen mitwirkt, | |
| gemeinsam mit den Botschaften. | |
| Am 22. November 2016 etwa wurden in Deutschland lebende malische | |
| Migrant_innen und Geflüchtete teils in Handschellen zu einer | |
| Identifizierungs-Sammelanhörung bei Botschaftsmitarbeitern in Halle/Saale | |
| vorgeführt. Einige kamen direkt danach in das Abschiebegefängnis Büren. Die | |
| malischen Beamten, die die Anhörung durchführten, hatten nicht nur vom | |
| malischen Außen- und Innenministerium, sondern auch vom Ministerium für | |
| Auslandsmalier Anweisungen bekommen. | |
| Ähnlich ist der Umgang mit den neuen EU-„Heimreisedokumenten“ (Laisser | |
| Passer), von den EU-Staaten selbst ausgestellten Passersatzdokumenten, die | |
| Abschiebungen unabhängig von der Kooperationsbereitschaft der jeweiligen | |
| Botschaften ermöglichen. Broulaye Keita, ein Vertreter des Ministeriums für | |
| Auslandsmalier behauptete am 6. November 2016 bei einer Konferenz der | |
| Malischen Vereinigung der Abgeschobenen, dass ein EU-Passersatzdokument | |
| nicht als Reisedokument anerkannt werde. Tatsächlich wurden bereits seit | |
| August Personen aus Frankreich und Schweden mit eben diesem EU-Laisser | |
| Passer nach Mali abgeschoben. | |
| ## Aushöhlung der Bewegungsfreiheit | |
| Malis Nachbarstaaten Algerien, Mauretanien und Niger stehen im Fokus | |
| europäischer Bemühungen um ein repressives Migrationsregime – und zeigen | |
| sich kooperativ. Schon vor 2012 war der algerische Staat dafür berüchtigt, | |
| Migranten und Geflüchtete aus dem subsaharischen Afrika gnadenlos in die | |
| Wüste abzuschieben und im Zuge dessen auch regelmäßige Pushbacks über die | |
| malische Grenze durchzuführen. Seit 2012 im Norden Malis der Krieg begann, | |
| schloss Algerien vorläufig seine Südgrenze, es reisten auch nicht mehr | |
| viele Migranten durch das extrem gefährliche Kriegsgebiet. | |
| Algerien setzte seinerseits die direkten Pushbacks nach Mali aus und schob | |
| nunmehr in den Niger ab. Mauretanien trat 2001 aus der westafrikanischen | |
| Staatengemeinschaft ECOWAS aus und hat sich damit auch von der vertraglich | |
| vereinbarten Bewegungsfreiheit verabschiedet. Das Land hat insbesondere mit | |
| der Einführung einer verpflichtenden neuen Aufenthaltskarte („Carte de | |
| Séjour“) seine Migrationsgesetze massiv verschärft und schiebt mit großer | |
| Härte Menschen in das subsaharische Afrika ab. Schon seit Jahren gibt es | |
| etwa am Grenzübergang Gogui Pushbacks nach Mali. Auch die Reise durch den | |
| Niger wird schwieriger, je mehr dieser Staat durch die EU-Staaten in die | |
| Pflicht genommen wird, „irreguläre“ Migration zu unterbinden. All dies hat | |
| wiederum unmittelbar Auswirkungen auf Mali, von wo aus zahlreiche Reisende | |
| in Richtung Norden die Grenzen in die Nachbarländer überqueren. | |
| ## Grenzschließung in der Transitzone | |
| Besonders sichtbar und spürbar sind die Folgen restriktiver Grenzpolitiken | |
| in der Region Gao, die im Nordosten Malis an den Niger grenzt – das Land, | |
| durch das die derzeit meistfrequentierten Transsahara-Migrationsrouten | |
| verlaufen. | |
| „Neben Agadez im Niger ist Gao eines der zentralen Drehkreuze für Menschen, | |
| die sich aus den verschiedenen Ländern Westafrikas auf den Weg Richtung | |
| Norden machen“, sagt Éric Alain Kamden, seit 2009 für die Caritas vor Ort. | |
| Das war es bereits vor dem Beginn des Krieges 2012, heute durchqueren laut | |
| Statistik der IOM um die 150 durchreisende Migranten pro Tag Gao. Viele | |
| setzen von dort aus ihre Reise in den Niger fort. | |
| Eigentlich besteht zwischen Mali und Niger ECOWAS-Bewegungsfreiheit. Diese | |
| wird jedoch zunehmend durch ein Kontrollsystem untergraben. Am | |
| Grenzübergang Yassan mehren sich die Berichte, dass Reisende durch den | |
| Service de Migration, eine Abteilung der nigrischen Polizei, abgewiesen und | |
| auf die malische Seite zurückgeschickt werden. Dies betrifft zum einen | |
| malische Staatsbürger und in noch deutlich schärferem Ausmaß Personen aus | |
| anderen Ländern Westafrikas. Malische Reisende, deren Ausweise noch | |
| mindestens 3 Monate gültig sind, müssen, um in den Niger einzureisen, eine | |
| Kontaktperson, vorzugsweise in der Hauptstadt Niamey, angeben. Diese muss | |
| umgehend angerufen werden und anschließend von einer Polizeistation aus den | |
| Grenzposten kontaktieren, um zu bestätigen, dass die Person, die an der | |
| Grenze wartet, tatsächlich zu ihr unterwegs ist. | |
| ## Zurückweisung trotz Pässen | |
| Reisende aus dem Süden Malis, die nur einen Ausweis haben, dürfen | |
| unabhängig von der Gültigkeitsdauer des Ausweises nur durchreisen, wenn sie | |
| über eine Kontaktperson auf nigrischer Seite verfügen. Für Personen aus | |
| anderen Staaten Westafrikas, beispielsweise aus Ghana, Sierra Leone, | |
| Elfenbeinküste, Gambia, Senegal und Guinea, von denen angenommen wird, sie | |
| seien auf dem Weg in die Migration besteht laut Aussage eines Kommissars | |
| des Grenzpostens in Yassan die Dienstanweisung, sie gar nicht mehr über die | |
| Grenze zu lassen. | |
| Aus dem Jahr 2016 sind u.a. mehrere Fälle von senegalesischen Reisenden | |
| dokumentiert, die zurückgewiesen wurden, obwohl sie einen CEDEAO-Pass, | |
| einen Personalausweis und einen Impfpass mitführten, also mit allen nötigen | |
| Dokumenten ausgestattet waren. Im Juli 2016 etwa wurden vier junge Leute | |
| aus Mali, Togo, Senegal und Burkina Faso, die die Grenze überqueren | |
| wollten, um für einen nigrischen Arbeitgeber Orange-Mobilfunkmasten | |
| aufzustellen, gestoppt. Obwohl sie ihre Arbeitsgeräte mitführten und es | |
| offensichtlich war, dass sie beruflich im Einsatz waren, wurden sie an der | |
| Grenze zunächst abgewiesen und konnten erst weiterreisen, als der | |
| Caritas-Mitarbeiter Kamden sich für sie verbürgte. Diesem wurde gar noch | |
| gedroht, er selbst werde seine nigrische Aufenthaltserlaubnis verlieren, | |
| falls die vier in Agadez auf der Weiterreise nach Norden aufgegriffen | |
| würden. | |
| Kamden kennt solche Fälle aus seiner täglichen Arbeit mit Reisenden, die in | |
| Gao stranden, nachdem sie an der Grenze abgewiesen wurden oder aus der | |
| Wüste zurückgekehrt sind. Er ist sich sicher, dass die repressiven | |
| Abweisungspraktiken an der malisch-nigrischen Grenze eine direkte Folge des | |
| Valletta-Prozesses sind, zumal das Vorgehen der nigrischen Grenzschützer | |
| erst seit kurzem in diesem Ausmaß verschärft wurde. | |
| ## Die IOM als Grenzposten | |
| Bis vor kurzem war es laut Kamden durchaus normal, auch ohne gültige | |
| Papiere die Grenze zwischen Mali und Niger zu überschreiten. Personen, die | |
| bei einer Kontrolle keinen Ausweis vorweisen konnten und angaben, dass sie | |
| in den Niger einreisen wollen, mussten lediglich eine Strafe von 1500,- | |
| FCFA bezahlen und bekamen dann einen Passierschein ausgehändigt, mit dem | |
| sie innerhalb der nächsten 24 Stunden in den Niger einreisen konnte. Heute | |
| ist das unmöglich. Die Bewegungsfreiheit, die es in Westafrika schon früher | |
| als im Schengen-Raum gab, wird unter dem Vorzeichen der Durchsetzung eines | |
| Migrationsregimes nach EU-Zuschnitt zu einem Privileg. | |
| Ein Akteur dabei: Die Internationale Organisation für Migration, (IOM). | |
| Aktuell wird zwei Kilometer vom aktuellen Grenzposten in Yassan ein neuer | |
| Posten installiert, der mit Beteiligung der IOM eingerichtet und betrieben | |
| werden soll. Auch an der Einfahrt in die Stadt Gao, sowie in Kidal im | |
| Norden Malis, betreibt die IOM Posten, die alle ankommenden Reisenden, die | |
| für Migranten gehalten werden, erfasst. | |
| Auch in Gao selbst ist die neue Politik spürbar. Hier stranden viele | |
| mittellose Menschen, nachdem sie ihre Reise Richtung Norden abbrechen | |
| mussten, weil sie in Schwierigkeiten geraten sind, etwa ausgeraubt wurden. | |
| Sie kommen aus Richtung Norden mit den Lastwägen arabischer | |
| Lebensmittelhändler in die Stadt. Wenn sie sich irgendwohin zum Schlafen | |
| legen, werden sie oft von Soldaten aufgegriffen und zur Polizeistation | |
| gebracht. Besonders Englisch sprechende Personen werden schnell | |
| verdächtigt, Kundschafter der Terrororganisationen Boko Haram oder Mujao zu | |
| sein. Lässt sich dieser Verdacht nicht erhärten, wird ihnen „nächtliche | |
| Herumtreiberei“ zum Vorwurf gemacht. Laut Kamden gab es früher in Gao keine | |
| vergleichbaren Anklagen und Inhaftierungen wegen „nächtlicher | |
| Herumtreiberei“. Diese Praktiken seien direkte Folge des verschärften | |
| Drucks von europäischer Seite. | |
| ## „Kleine Polizeikorruption“ vs. Bewegungsfreiheit | |
| Auch von Seiten malischer Polizisten hat sich im Vergleich zu früheren | |
| Jahren der Umgang mit Reisenden verschärft, mit fließendem Übergang | |
| zwischen Kontrollauftrag und „kleiner Polizeikorruption“. Häufig werden nun | |
| Reisebusse in Richtung Norden gestoppt und die Papiere der Passagieren | |
| geprüft. Schon immer wurden von Reisenden sogenannte Gebühren zu verlangt. | |
| In der Region Gao aber haben es laut Kamden die Sicherheitskräfte besonders | |
| auf diejenigen abgesehen, die für „Kandidaten der Migration“ gehalten | |
| werden. Eine Person aus dem Süden Malis, die verdächtigt wird, sie wolle | |
| die Landesgrenzen in Richtung Norden überschreiten, muss demnach mindestens | |
| 5000,- FCFA zahlen. Ein ähnliches Vorgehen kann an der Reiseroute zwischen | |
| Bamako und Ouagadougou in Burkina Faso bezeugt werden. Ortsansässige aus | |
| Heremakono berichteten, dass dort regelmäßig auch größere Gruppen von | |
| Reisenden von der Weiterreise ausgeschlossen würden und an der Grenze | |
| hängen blieben, wenn ihre Papiere nicht als gültig anerkannt werden oder | |
| sie nicht die gewünschte Geldsumme zahlen. | |
| Es ist nicht nachweisbar, inwieweit Polizeischikanen auf Kosten von | |
| Reisenden in direktem Zusammenhang mit migrationspolitischen Vorgaben | |
| stehen. Doch anders als noch vor wenigen Jahren ist es deutlich schwieriger | |
| geworden, ohne (gültige) Ausweisdokumente zu reisen, und das in einem Teil | |
| der Welt, wo der Besitz eines Passes längst nicht für alle Menschen eine | |
| Selbstverständlichkeit ist. Restriktive Kontrollpraktiken sind seit dem | |
| Valletta-Gipfel gewachsen. Es gibt eine faktische Interessensallianz | |
| zwischen Polizisten, die sich durch „Gebühren“ ein Zusatzeinkommen | |
| verschaffen, und dem Migrationsregime, das den Weg nach Norden erschweren | |
| will. | |
| Im April 2016 wurden in Mali neue biometrische und mit als fälschungssicher | |
| geltendem Chip versehene Pässe eingeführt, nachdem bereits die | |
| Vorläuferversion des malischen Passes mit biometrischen Informationen | |
| ausgestattet war. Zusätzlich hat Mali vor kurzem eine neue, ebenfalls | |
| biometrische, CEDEAO-Personalausweiskarte eingeführt. | |
| Das Land gehört damit unter den Staaten Westafrikas zu den Vorreitern bei | |
| der Biometrisierung des Passwesens. Von Behörden und Regierung wird dies im | |
| In- und Ausland als eine Maßnahme sowohl zur Bekämpfung sog. „irregulärer | |
| Migration“ als auch zur Verbesserung der Sicherheitslage angepriesen. Lange | |
| Zeit waren viele malische Pässe und Personalausweise entlang der | |
| Reiserouten zwischen Sahel- und Maghreb Staaten unter der Hand im Umlauf. | |
| Ein Grund dafür war, dass malische Staatsbürger offiziell in Algerien | |
| visafrei einreisen und sich dort frei bewegen dürfen – für diejenigen, die | |
| im Zuge ihrer Migration in Algerien ihr Auskommen suchen, bzw. dieses Land | |
| auf dem Weg in andere Maghreb Staaten oder nach Europa durchqueren wollten, | |
| ein nicht zu unterschätzender Vorteil an Reisesicherheit. | |
| Dieser Praxis möchte die malische Regierung im Einklang mit | |
| migrationspolitischen Vorgaben aus Europa durch Biometrisierung des | |
| Passwesens einen Riegel vorschieben. Auch innerhalb der malischen | |
| Öffentlichkeit wird von verschiedenen Seiten ein nationalistischer Diskurs | |
| bedient, nach dem mit malischen Pässen reisende Personen anderer | |
| Nationalität vermeintlich eine Bedrohung der „nationalen Sicherheit“ | |
| darstellen würden. Die Passfrage wird dabei diskursiv stark vermischt mit | |
| der in Mali unabhängig von Migration durchaus realen Bedrohung der | |
| Bevölkerung durch bewaffnete und kriminelle Gruppierungen. Darüber hinaus | |
| werden die neuen Pässe und Ausweise als Erleichterung des Reiseverkehrs und | |
| als Aushängeschild eines modernen Staatswesens beworben. | |
| Tatsächlich beklagen jedoch viele Malier große Komplikationen und | |
| Erschwernisse im Zusammenhang mit den neuen Dokumenten. So muss die Gebühr | |
| für den neuen angeblich top gesicherten Passes bei der privaten „Ecobanc“ | |
| einbezahlt werden, dies wiederum ist nur unter Vorlage einer sog. „Carte | |
| NINA“ möglich, die ursprünglich als Wählerregistrierungskarte konzipiert | |
| war. | |
| Dieses komplizierte Verfahren hat es in der Praxis für viele Malier, u.a. | |
| für Personen, die im Ausland leben, bislang verunmöglicht, in den Besitz | |
| eines neuen Passes zu kommen. Die Zunahme von strengen Pass- und | |
| Ausweiskontrollen an den Grenzen wie auf Inlandsreisewegen im Verhältnis zu | |
| früheren Zeiten, wo nicht so genau geschaut wurde, bedeutet für alle, die | |
| aus unterschiedlichen Gründen nicht über die aktuellen Reisedokumente | |
| verfügen, einen realen Verlust an Bewegungsfreiheit. Diese Hürde trifft | |
| nicht nur Menschen auf dem Weg in die Migration, sondern kann generell für | |
| Angehörige von Bevölkerungsgruppen, deren Lebens- und Arbeitsalltag stark | |
| vom Reisen zwischen unterschiedlichen Orten und über Grenzen hinweg geprägt | |
| ist, existenzbedrohende Folgen haben. | |
| Das betrifft u.a. reisende Kleinhändler und Wanderarbeiter, aber auch | |
| nomadisch oder halbnomadisch lebende Viehzüchter, wie die | |
| Tuareg-Bevölkerung in den Grenzgebieten Nordmalis, für die es lange Zeit | |
| selbstverständlich war, ohne Vorlage von Reisepässen zwischen verschiedenen | |
| Staatsterritorien hin- und herzuwechseln. Und nicht zuletzt erhält die | |
| Biometrisierung des malischen Passwesens eine besondere Brisanz durch den | |
| seitens der EU angestrebten Zugriff auf biometrische Datenbanken der | |
| malischen Behörden, um diese Daten zur Identifizierung und Abschiebung | |
| malischer Staatsangehöriger zu nutzen (siehe oben). | |
| ## Flughafen als Grenzraum | |
| Am Flughafen Bamako ist es mittlerweile Standard, dass von allen Reisenden | |
| bei Ankunft und Abflug Finger- und Handabdrücke gescannt werden. In | |
| Verbindung mit der Biometrisierung des Passwesens wird es somit erschwert, | |
| mit geliehenen Pässen zu reisen. Das war bislang für Ausreisewillige, die | |
| keine Chance auf eines der nur äußerst restriktiv vergebenen Visa hatten, | |
| eines der möglichen Schlupflöcher nach Europa, ohne das eigene Leben in der | |
| Wüste und auf dem Meer zu riskieren. | |
| Abgesehen davon findet heutzutage am Flughafen von Bamako, zusätzlich zur | |
| regulären polizeilichen Passkontrolle, ein erster Check durch das private | |
| Sicherheitsunternehmen „Securicom“ statt. Dieses Unternehmen besitzt gemäß | |
| Darstellung von Ousmane Diarra von der Malischen Vereinigung der | |
| Abgeschobenen (AME) die Möglichkeit, Passagiere, selbst, wenn sie ein | |
| gültiges Visum haben, aufgrund intransparenter Kriterien vom Boarding | |
| auszuschließen. Laut Diarra agiert Securicom an afrikanischen Flughäfen als | |
| verlängerter Arm der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX. | |
| 12 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Hans-Georg Eberl | |
| Moussa Ouédraogo | |
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