# taz.de -- Humor in Zeiten politischer Polarisierung: Sonst ist das Lachen bal… | |
> Die Welt liegt schief auf unseren Schultern. Satire und Ironie können | |
> helfen, den Vormarsch der Autoritären zu verarbeiten – aber wie ihn | |
> aufhalten? | |
Bild: Take it easy. Oder auch nicht | |
Als die Dichterin Mascha Kaléko 1938 vor den Nazis nach New York floh, fand | |
sie sich in einem kalten Fabrikgebäude wieder. „Tehk it ih-sie“, sagen sie | |
dir / Noch dazu auf englisch. / „Nimm’s auf die leichte Schulter!“ Wo heu… | |
die Welt aus den Fugen gerät, habe ich den Eindruck die Signale viel zu | |
lange auf die leichte Schulter genommen zu haben. | |
Nach der Finanzkrise 2007 schienen alle Fenster zur globalen Neuordnung | |
sperrangelweit offen. 35 Jahre marktliberale Konsenspolitik, vermeintlich | |
ohne Alternative, brachen in sich zusammen und erwiesen sich als Chimäre. | |
Doch ein umfassender, greifbarer politischer Gegenentwurf wurde nicht | |
debattiert – zumindest nicht konsequent genug. Und jetzt, zehn Jahre | |
später, drängt sich ein altbekannter Fundamentalismus in den Vordergrund, | |
der mit faschistischen Mitteln um sich wirbt. Die weißen Nationalisten sind | |
auf dem Vormarsch. | |
Wenn alles unterzugehen droht, ist Humor eine notwendiges Refugium. Es | |
braucht Leichtigkeit in schweren Zeiten. Politischer Humor gibt oft die | |
Kraft, verhärtete Diskurse aufzulockern. Satire und Ironie schenken | |
Distanz. Distanz, mit Gedanken zu spielen und Grenzen zu überschreiten, | |
ohne dabei vulgär zu werden. Noch mehr: Mit einem so unerwarteten, wie | |
dringend nötigen Perspektivenwechsel spielt der Witz. Seine Werkzeuge | |
können moderne medientaktische sein, aber auch klassische Methoden des | |
Clowns, wie Spiegelung und Komplizenschaft mit dem Publikum. | |
Nimm's auf die leichte Schulter. Doch, du hast zwei, schrieb Mascha Kaléko | |
weiter. Er tut gut, dieser populäre, humanitäre Imperativ. Doch das kann | |
heute nicht mehr genügen: In schweren Zeiten wird nur schief, wer alles auf | |
die Leichte nimmt. Höre ich rechtsradikale Kausalitätsketten rasseln, ziehe | |
ich lieber den kategorischen Imperativ vor: Es ist Zeit, sich kompromisslos | |
neu aufzustellen, gerade weil eine Marine Le Pen sich schon als Präsidentin | |
sieht. So wie Fundamentalisten sich die Freiheit nehmen, den großen | |
Systemwandel zu erträumen, der dem neoliberalen Zeitalter ein Ende setzt, | |
so sollen alle träumen und das Undenkbare denken üben. | |
## Keine Wahl | |
Das ist keine Leichtigkeit, denn die vergangenen Jahrzehnte der behaupteten | |
Alternativlosigkeit zu liberaler Marktfreiheit haben „das Politische“ und | |
damit die Kultur der Debatte um tiefgehende Machtveränderung eingefroren. | |
Das Gefühl einer wirklichen Wahl ist erstickt. Entscheidungen fallen nur | |
noch zwischen in Nuancen verschiedenen Tendenzen. Das mag gut gehen, wenn | |
reale Konflikte kontinuierlich gelöst werden und soziale Spaltung wenn | |
schon nicht überwunden, so doch wenigstens über Generationen ökonomisch | |
verringert wird. | |
Doch wer glaubt heute noch, dass es den eigenen Kindern besser gehen werde? | |
Das politische Versprechen, der globale Kapitalismus schaffe letzten Endes | |
mehr Teilhabe für alle stellt sich als postfaktische Augenwischerei heraus. | |
Wer heute wählen geht, steht vor den Alternativlosen, den Clintons und | |
Merkels, den van der Bellens und den neuen Sarkozys, das ist quälend und | |
erstickend. Die „Alternative“ ist die der weißen Nationalisten. Ich habe es | |
zu lange auf die Leichte genommen, jetzt ist es schief. | |
Natürlich werden wir erhalten wollen was die liberale Demokratie erstritten | |
hat, wie den Identitätsliberalismus und Umweltschutz und und höfliche | |
Debatten selbst unter ärgsten Gegnern. Dazu werden wir aber auch die | |
eskalierenden sozialen Kämpfe auffangen und die zunehmende Gestaltungsmacht | |
der weißen Nationalisten zurückweisen und uns ihrer Normalisierung | |
entgegenstellen müssen. Das allein scheint nun schon schwer genug. Doch | |
wird es nicht leichter, wenn wir jetzt die Chance verpassen darüber hinaus | |
zu träumen und die Denkmodelle jenseits eines alternativlosen Kapitalismus | |
aus dem Gefrierschrank der Geschichte holen. | |
Bei allem Humor, der uns begleiten kann und der die autoritären Kräfte | |
auslacht, bei aller politischen Satire, die auf Widersprüche hinweist, bei | |
jedem Entertainmentabend, der uns mit ideologischer Munition ausstattet: Es | |
wird ein langer, ungemütlicher Kampf. Da helfen letzten Endes kein Witz und | |
keine Leichtigkeit. Da helfen nur soziales und politisches Engagement. | |
Sonst ist das Lachen bald vorbei. Man muss sich also leider doch bequemen / | |
Es manchmal auf die schwere zu nehmen. | |
Der Autor arbeitet für das post-satirische Peng Kollektiv und erforscht | |
zusammen mit dem Schauspiel Dortmund ob es progressive Formen | |
populistischer Kommunikation gibt. | |
4 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Jean Peters | |
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