# taz.de -- Neue Choreographie von Antje Pfundtner: Raus aus der Kunstkapsel | |
> Im Frühjahr wurde die Hamburger Tänzerin Antje Pfundtner mit dem | |
> George-Tabori-Preis ausgezeichnet. Jetzt zeigt sie auf Kampnagel ihr | |
> neues Stück „Ende“. | |
Bild: Alles eine Frage der Transformation: Antje Pfundtner 2010 in dem Stück �… | |
HAMBURG taz | Als sie klein war, hätten ihre Eltern immer zu ihr gesagt: | |
„Du weißt nie, wann Schluss ist!“, erzählt Antje Pfundtner lachend. Ein | |
Satz, der bis heute immer wieder auftaucht im Leben der Hamburger Tänzerin | |
und Choreografin. „Nimmer“ nannte sie denn auch vor rund zwei Jahren eines | |
ihrer Tanzstücke, das sie gemeinsam mit Kindern entwickelt hat. Es ist ein | |
Stück über das Verschwinden: von Menschen, Dingen, Erinnerungen. Aber ein | |
wirkliches, endgültiges Verschwinden, darauf konnten sich alle Beteiligten | |
einigen, das gibt es eigentlich gar nicht. Alles Verschwundene taucht | |
früher oder später irgendwo wieder auf: Schluss ist nimmer. | |
Und nun doch: „Ende“? So jedenfalls heißt der Auftakt zu einer Trilogie, | |
den Antje Pfundtner am 15. Dezember gemeinsam mit den Tänzer*innen Matthew | |
Rogers und Anna Till erstmals auf Kampnagel in Hamburg zeigt. Weiß sie nun | |
etwa, wann Schluss ist? Natürlich nicht. An ein Ende glaubt Pfundtner bis | |
heute nicht. „Das Ende ist eine menschliche Erfindung, damit wir uns | |
strukturieren“, sagt sie. „Ich glaube eher an Transformation, an ein Danach | |
und ein Davor.“ Wie man ein Ende setzt, wie man es vermeidet oder gar | |
herauszögert, davon handelt das Stück. | |
Ein sehr großes, vielleicht zu großes Thema sei das zwar, denkt Pfundtner | |
laut, aber nun sei es eben gesetzt. Und dass manche*r Zuschauer*in eine | |
hohe Erwartungshaltung mitbringt, damit müsse man eben umgehen: | |
spielerisch, selbstironisch und fragend. Diese Lust am Spiel, der Mut zur | |
Selbstkritik, zum vielleicht nicht Perfekten und dennoch Vollendeten ist | |
typisch für Pfundtners Arbeit. Immer wieder öffnet sie in ihren Stücken | |
assoziative Räume, verknüpft die verschiedensten Ebenen miteinander: Tanz | |
mit Sprache, theatrale Gesten mit tänzerischen Abfolgen, Musik mit Leere. | |
Die Titel ihrer Stücke beweisen Sprachwitz und feinsinnigen Humor: | |
„überMutter“, „selbstinschuld“, „Vertanzt“, „Aus der Reihe tanze… | |
## Kontinuierliche Qualität | |
Weil ihre freien Tanztheaterproduktionen dabei seit 15 Jahren eine | |
„kontinuierlich hohe Qualität“ haben, wurde Antje Pfundtner im Frühjahr m… | |
dem mit 20.000 Euro dotierten George-Tabori-Preis des Fonds Darstellende | |
Künste ausgezeichnet. | |
Nicht die einzige Anerkennung in diesem Jahr: Bereits zum zweiten Mal wurde | |
ihr von der Stadt Hamburg die Konzeptionsförderung zugesprochen. Die | |
Fördersumme – 35.000 Euro pro Spielzeit über einen Zeitraum von drei | |
Spielzeiten – sei eine erste Grundlage für ihr künstlerisches Arbeiten, und | |
demütig sagt Pfundtner: „Als freischaffende und in Hamburg produzierende | |
Künstlerin geht es mir noch mit am besten.“ | |
Doch ausreichend seien die Förderungen nie. Immer wieder setzt sich die | |
Choreografin deshalb für angemessene Fördersummen ein. Ende November erst | |
gab es eine Anhörung im Kulturausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft, zu | |
der sie mit anderen Vertretern der freien darstellenden Künste geladen war. | |
Und im Juli dieses Jahres veranstaltete sie ein „Kulturpolitisches Dinner“, | |
im Rahmen des von Kolleg*innen initiierten Formats „Treffen Total“ im „K3 | |
Zentrum für Choreografie“. | |
An einer langen Tafel verbrachten Politiker und Künstler gemeinsam den | |
Abend. Die Menükarte gab den Rhythmus vor, prominente Tischredner aus der | |
freien Theaterszene waren geladen, Antje Pfundtner mimte die | |
Zeremonienmeisterin. Und am Ende wurde natürlich getanzt, paarweise, | |
gemeinsam – eine charmante Form, um persönliche Verbindungen herzustellen, | |
aus denen irgendwann vielleicht Verbindlichkeiten entstehen. | |
## In der letzten Reihe sitzen | |
Regelmäßig tourt Pfundtner mit ihren Stücken um die Welt, gibt Coachings, | |
übernimmt Lehraufträge, macht Kooperationen und Schulprojekte. Um sich | |
finanziell über Wasser zu halten, aber auch um sich vor der „Kapsel Kunst“ | |
zu retten. Sich nur im eigenen Kosmos zu bewegen – für Pfundtner undenkbar: | |
„Ich will zwischendurch auch mal woanders sein, mal in der letzten Reihe | |
sitzen, mich aus einer anderen Perspektive beteiligen“, sagt sie. „Um | |
anschließend zu sagen: Jetzt muss ich wieder nach vorn, auf die Bühne. Ich | |
suche die Kollaboration und die Kooperation.“ | |
Das spiegelt auch ihre Arbeitsweise. Seit vielen Jahren arbeitet sie mit | |
einem mehrköpfigen Teams bestehend aus Dramaturgie, Produktionsleitung, | |
Musik, Bühne und Licht. „Pfundtner in Gesellschaft“, so heißt denn auch | |
ihre Compagnie. „Egal wie abgedroschen sich das jetzt anhört“, sagt sie: | |
„In Kontakt sein, das bringt mich in Bewegung.“ | |
Kommunikation und Sprache spielen deshalb in Pfundtners Stücken immer eine | |
zentrale Rolle. Sie sei jemand, der „durchs Reden denkt“, sagt sie. Ihre | |
Worte unterstreicht sie dabei mit lebhaften Gesten: Wenn sie von sich | |
selbst erzählt, lacht sie; um eine Anekdote besser wiederzugeben, springt | |
sie vom Stuhl auf. Dabei strahlt sie trotz ihrer dunklen warmen Stimme, | |
ihres kurzen Haares und ihres jungenhaften, trainierten Körpers etwas | |
fragil Mädchenhaftes aus. | |
## Absolute Leidenschaft | |
Und ihr Traum vom Tanzen, er begann ja auch schon als kleines Mädchen. Ein | |
sehr interessiertes Kind sei sie gewesen: Klavier, Trompete, aber „auch mal | |
ein Pferd vom Acker holen“, erinnert sie sich. Als sie mit sechs Jahren | |
eine Freundin zum Kinderballett begleitete, sei sie sofort fasziniert | |
gewesen: von den Wahnsinnskostümen, von dieser ganzen Welt der Verwandlung. | |
„Ich war absolut verleidenschaftlicht“, drückt Pfundtner das aus. | |
Sie wurde gefördert, landete in der Tanzklasse des musischen Gymnasiums in | |
Essen-Werden und absolvierte eine Ausbildung an der Amsterdamse Hogeschool | |
voor de Kunsten im Bereich „Moderne Theaterdans“. Verschiedene Stipendien | |
führten sie schließlich nach New York und Wien. 2003 dann produzierte sie | |
ihr erstes abendfüllendes Solo „eigenSinn“. Im Jahr darauf wurde es zur | |
renommierten Tanzplattform nach Düsseldorf eingeladen, anschließend tourte | |
das Stück vier Jahre lang durch die Welt. | |
„Es ist ein superstringenter, fast schon kitschiger Tanz-Lebenslauf“, sagt | |
sie heute lachend. Oft sei sie einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort | |
gewesen, habe eine „gewisse Naivität“ gehabt, „aber mehr im Sinne einer | |
positiven Blauäugigkeit, die mich gerade am Anfang nicht so viel hat | |
zweifeln lassen. Das hat mich ganz stark geprägt“. | |
Wenn Pfundtner so von ihrem Werdegang erzählt, klingt es wie ein | |
harmonisches Ineinanderpurzeln der Ereignisse. Dabei sprach am Anfang ihres | |
Lebens eigentlich alles gegen ein solch bewegtes und bewegliches Leben. Als | |
sie 1976 in Dortmund geboren wurde, wurde bei ihr eine infantile | |
Zerebralparese diagnostiziert: Störungen des Nervensystems und der | |
Muskulatur im Bereich der willkürlichen Motorik. | |
„Damals konnte man nicht herausfinden, wie stark der Schaden ist“, erzählt | |
sie. „Ich müsse körperlich überreizt werden, hieß es, aber vermutlich wü… | |
ich im Rollstuhl landen.“ Fünfmal am Tag turnte ihre Mutter dann mit ihr. | |
„Ich glaube, das ist eine Geschichte, die meinen Motor erklärt. Aber ohne | |
Pathos“, sagt Pfundtner heute. Am Ende ist sie mit ihrer Beweglichkeit und | |
ihren Bewegungen, mit ihrer klugen sympathischen Hartnäckigkeit jedenfalls | |
noch lange nicht: Schluss ist nimmer. | |
3 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
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