| # taz.de -- Tanz über Ende und Anfang: Tanz um Henne und Ei | |
| > Im Rahmen der Trilogie „Fokus Tanz“ präsentiert die Hamburger | |
| > Choreografin Antje Pfundtner den Abschluss ihrer Trilogie über | |
| > Vergänglichkeit. | |
| Bild: Ernsthaft und trotzdem heiter: Antje Pfundtner hat eine ganz eigene Tanzs… | |
| Hamburg taz | Es sind nur ein paar wenige Takte. Und immer dann, wenn man | |
| meint, in die Wiedererkennbarkeit des Songs eintauchen zu dürfen und wenn | |
| die vier Tänzer sich mit weichen Bewegungen hineinfallen lassen in die | |
| Melodien – dann erstirbt die Musik: abrupt, interrupt, stop. Nein: | |
| weitertanzen, weiterspielen. Das war doch der Anfang von … Das war doch | |
| Bowies „Heroes“. Und das Bachs „Orchestersuite“. Und das „Song 2“ v… | |
| Minutenlang werden die Zuschauer durch Fragmente musikalischer | |
| Vertrautheiten gejagt, werden Choreografien vorerst nur skizziert, werden | |
| erste berühmte Akkorde zu abgebrochenen Anfängen. | |
| Es steht „Alles auf Anfang“ – so heißt Antje Pfundtners aktuelles | |
| Tanzstück, uraufgeführt am Donnerstagabend auf Kampnagel Hamburg zu Beginn | |
| der Reihe „Fokus Tanz“, deren vierte Ausgabe noch bis zum Sonntag unter der | |
| Überschrift „Faux Pas“ ganz unterschiedliche Einblicke in den | |
| zeitgenössischen Tanz gibt. | |
| Zu sehen ist unter anderem noch die neue Produktion „Dis_Syphide“ von Saša | |
| Asentić, der seit vielen Jahren mit behinderten und nicht behinderten | |
| Performer*innen arbeitet. Oder der chilenische Choreograf José Vidal, der | |
| mit einem 50-köpfigem Ensemble – je zur Hälfte Tänzerinnen aus Chile und | |
| Hamburg – sein Frühlingsopfer „Rito de Primavera“ als Ritual für die | |
| heutige Zeit präsentiert. | |
| Und Antje Pfundtner macht mit „Alles auf Anfang“ also einen Anfang. Wer die | |
| Arbeiten der Hamburger Tänzerin und Choreografin ein wenig kennt, weiß: Der | |
| Titel ist wörtlich zu nehmen. Er ist Konzept, ist offener Denk- und | |
| Spielraum. | |
| ## Ein Abend voller Anfänge | |
| Im Dezember 2016 hatte Pfundtners Kompanie „Antje Pfundtner in | |
| Gesellschaft“ auf Kampnagel die Arbeit „Ende“ gezeigt. Das war der Auftakt | |
| ihrer Trilogie über Vergänglichkeit – ein Langzeitprojekt, in dem sie die | |
| Gesetzmäßigkeiten von Zeit und Endlichkeit untersucht. Jetzt also geht es | |
| um Anfänge. Und derer gibt es an diesem Abend viele. | |
| Pfundtner umkreist und hinterfragt das Thema, indem sie verschiedene Ebenen | |
| verknüpft: Tanz mit Sprache, theatrale Gesten mit tänzerischen Abfolgen, | |
| Musik mit Leere, professionelle Performer mit einem Laienchor. Gemeinsam | |
| mit den Tänzern Dani Brown, Frank Koenen, Matthew Rogers und Anna Till | |
| schafft sie einen weiten und bei aller Ernsthaftigkeit äußerst | |
| spielerischen Assoziationsraum. | |
| Mal diskutieren Pfundtner und Rogers auf Klappstühlen den nicht benennbaren | |
| Moment des Anfangs (denn, kaum ausgesprochen, ist dieser schon vorbei), | |
| kippen mit komischer Eleganz nach hinten weg, setzen sich erneut und fangen | |
| wieder von vorn an. Dann wieder tippelt das Tänzerensemble leichtfüßig über | |
| den weißen Bühnenboden, mal werden Verheißungen gemacht – „Ich habe da w… | |
| vorbereitet“ – mal singt der fast 20-köpfige Chor (Leitung: Uschi Krosch) | |
| aus dem Zuschauerreihen heraus eine sehnsuchtsvolle Tango-Melodie. Zum | |
| Heulen schön ist das. | |
| ## Putziges Kükenganzkörperkostüm | |
| Die Tänzer umkreisen einander, wippend, balancierend, nehmen aufeinander | |
| Bezug und bleiben doch vereinzelt. Peitscht die Musik (Nikolaus Woernle) | |
| sie auf, hüpfen und zucken sie, gehen zu Boden – und verlassen abrupt die | |
| Bühne, weil ja etwas Neues beginnt. Ganz unvermittelt: Ein Anfang hat | |
| keinen Vorlauf. Später wird Evas Apfel gegessen, schreitet eine mit | |
| Luftschlangen dekorierte, asiatisch anmutende Initiationszeremonie vorbei, | |
| blinzelt die Morgensonne durch die raumteilende Jalousie (Bühne: Irene | |
| Pätzug). | |
| Da personifiziert sich das Henne-Ei-Problem in Form eines putzigen | |
| Kükenganzkörperkostüms, das beinahe von einem Riesenwasserball überrollt | |
| wird, und wird Kate Bushs „Running Up that Hill“, ihre allererste Single | |
| und Musikvideo-Choreografie aus dem Jahr 1985, mit exaktem Pathos | |
| nachgetanzt. Natürlich nicht bis zum Schluss. Schließlich geht es immer | |
| noch um Anfänge. | |
| In einer intuitiv wirkenden Szenenfolge stellt Pfundtner existenzielle | |
| Fragen, erprobt immer wieder den Zauber des Beginnens, freut sich mit | |
| kindlicher Ernsthaftigkeit an Wortspielen: „Fang Ann! Ann, fang! Los jetzt | |
| fang doch, fang schon Ann!“, erzählt Geschichten vom Kennenlernen, vom | |
| ersten Schritt, vom ersten Tanz. Feinsinnig und humorvoll verhandelt sie | |
| Mythisches und Alltägliches, zelebriert die Wiederholung und das Ritual. | |
| Und schafft bei all dem eine hohe performative Transparenz. | |
| Dass in all dem eine leichtherzige Heiterkeit mitschwingt, ist typisch für | |
| Pfundtners ganz eigenwillige Tanzsprache. Sie generiert sich aus einer | |
| unnachgiebigen Genauigkeit, einer dringlichen Ernsthaftigkeit und vor allem | |
| aus einer entwaffnenden Offenheit, mit und in der Pfundtner und ihr | |
| Ensemble arbeiten. Und zwar von Anfang an. | |
| 18 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Ullmann | |
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