# taz.de -- Winter-Ausstellungen in Hamburg: Zweimal in die Eiszeit und zurück | |
> Passend zur Jahreszeit locken zwei Hamburger Museen mit Ausstellungen, | |
> die in die kalten Gefilde führen. Einmal geht es zurück in die Eiszeit, | |
> ein andermal rund um den Polarkreis. | |
Bild: Leben mit der Kälte: Ein Schneemobil auf dem Eis. Kanada, Nunavut, 2014. | |
HAMBURG taz | „Liebe Aussteller, bitte loben Sie Holger, er hat uns hier | |
herumgeführt.“ Das hat die Schülerin Hannah in das Gästebuch des | |
Helms-Museums in Hamburg geschrieben. „Ich will jetzt später Archäologin | |
werden.“ Die aktuelle Ausstellung „Eiszeiten – Die Kunst der Mammutjäger… | |
macht tatsächlich großen Spaß. Das beruht zunächst auf dem ästhetisch | |
gelungenen Konzept, das sich auf das klassische Ausstellungs-ABC besinnt: | |
Die Räume sind milde beleuchtet, es gibt schnörkellose Vitrinen, kleine | |
Texttafeln. Und das Beste: Man muss keine Knöpfe drücken, sich keinen | |
Kopfhörer überstülpen und nirgendwo lärmt eine Videoinstallationsstation | |
vor sich hin. | |
Die Kraft dieser Ausstellung, die bis zu 35.000 Jahre zurückblickt, beruht | |
auch nicht unwesentlich auf den Leihgaben der Kunstkammer St. Petersburg, | |
die wiederum aus Grabungen in Nordrussland bis weit ins östliche Sibirien | |
schöpfen kann. So sind archäologische Exponate nach Hamburg gekommen, die | |
hier bisher nicht zu sehen waren. | |
Spannend sind die Fragen, die sich angesichts einiger herausragender | |
Frauenstatuetten stellen: Wozu dienten die oft nur fingergroßen Abbildungen | |
immer nackter und meist schwangerer Frauen aus eiszeitlichem Holz, Knochen | |
oder Stein? Warum sind bisher keine figürlichen Darstellungen von Männern | |
entdeckt worden sind und wie ist das im Kontext der Fülle an | |
Frauendarstellungen zu interpretieren? Und welche Jenseitsvorstellungen | |
haben die Menschen in der Region von Sungir, etwa 200 Kilometer östlich vom | |
heutigen Moskau entfernt, so beschäftigt, dass sie dort vor rund 28.000 | |
Jahren einem Mann knapp 3.000 Perlen aus Elfenbein beigaben, als sie ihn | |
bestatteten? Die Ausstellung öffnet angenehm unaufdringlich Erzähl- und | |
Fantasieräume: Wie war es wohl – das Leben mit dem Eis damals? | |
## Entlang des Polarkreises | |
Wie ist das Leben in von Eis geprägten Regionen heute? Dieser Frage geht | |
die zeitgleich im Hamburger Museum für Völkerkunde laufende Ausstellung | |
„Eiszeiten – Die Menschen des Nordlichts“ nach. Die startet mit einer | |
großen Landkarte, in deren Mitte der Nordpol als mathematischer Punkt | |
prangt. Drumherum sind entlang des Polarkreises die Namen der Ethnien | |
aufgelistet, die sich angesiedelt haben: etwa die Komi, die Nenzen, die | |
Tschuktschen, die Alutiit. Was weiß man über sie? Wenig wahrscheinlich. | |
Die Ausstellung geht der Frage nach, wie ist das traditionelle Leben der | |
Ethnien entlang des Polarkreises noch vor Kurzem organisiert? Die | |
Ausstellungsmacher greifen nicht nur auf die eigene Sammlung, sondern | |
ebenfalls auf Leihgaben der St. Petersburger Kunstkammer zurück. Auf der | |
Suche nach den Dimensionen des Wandels klappert man nun nicht Region für | |
Region ab, sondern setzt übergeordnete Themen, die Jagd etwa, Mode und | |
Kleidung, Glaube und Spiritualität und auch Kindheit. | |
Ob auf Grönland, in Nordkanada oder in Nordostsibirien: Die Kinder und die | |
Zukunft der Nomaden wurden und werden mehr oder weniger sanft der Obhut und | |
dem Einfluss der Eltern und der Großfamilien entzogen, zur schulischen | |
Ausbildung auf Internate verteilt, sodass sie an das nomadische Leben heute | |
nur während der Ferienzeiten mit ihren Eltern kurzzeitig anknüpfen können. | |
Doch es wächst auch die Gegenwehr, gerade bei der jungen Generation: Immer | |
mehr Gruppen versuchen ihre Zerrissenheit zwischen Tradition und Gegenwart | |
selbst zu gestalten, auch davon erzählt die Ausstellung. Im Norden | |
Finnlands etwa hat sich ein jährlicher samischer Wettbewerb etabliert, der | |
nach dem besten Popsong in samischer Sprache sucht. | |
Die Ausstellung im Museum für Völkerkunde widmet sich auch den | |
Errungenschaften, die aus den Arktisregionen nach Europa gekommen sind, | |
etwa die Grundlagen mancher Hightecprodukte, die heute selbstverständlich | |
in den Outdoor-Bekleidungsgeschäften hängen. Wie weit das reicht, | |
demonstriert sehr schön eine kleine Fotoarbeit des Meereseisforschers Dirk | |
Notz vom Max-Plank-Institut. Notz zeigt, wie er sich vor Arbeitsbeginn | |
einkleidet: Schicht folgt auf Schicht folgt auf Schicht; über den | |
Innenschuh wird der Überschuh gestülpt, so wie es in der Arktis schon immer | |
üblich war. | |
Denn was man dort im 19. Jahrhundert vermochte, zeigt ein Parka aus | |
Südwestalaska: das Material ist Seehunddarm, die Nähte sind per Hand so | |
dicht genäht, dass sein Träger oder seine Trägerin absolut wasserdicht | |
geschützt waren. Besucht das dänische Königspaar Grönland, kleidet es sich | |
in der heute landestypischen Kleidung, die wiederum auf der | |
Festtagskleidung der westgrönländischen Inuit beruht. | |
Eine ganz eigene Geschichte erzählt ein verzierter Walrosszahn aus | |
Sibirien, denn er verweist auf eine spezifische Kulturleistung einiger | |
Arktisvölker: Nicht nur in Sibirien, sondern auch auf Grönland entstand mit | |
dem Auftauchen von Robbenjägern, Walfängern und Handeltreibenden ein | |
spezifisches Kunsthandwerk, das bis heute jede Menge Mitbringsel liefert, | |
die wenig bis nichts mit den traditionellen Kleidungsstücken und | |
Kultgegenständen vor Ort zu tun haben. Das Museum für Völkerkunde erwarb | |
den Walrosszahn 1971. Erst wurde er bei Karstadt in der Hamburger | |
Mönkebergstraße im Rahmen einer Ausstellung „Die Kunst der Sowjetunion“ | |
gezeigt und anschließend verkauft. | |
## Visionen beim Reisen | |
Das Spezifische ging mit dem Einbruch der Moderne wieder verloren. Das | |
zeigt exemplarisch eine Maske der im heutigen Alaska ansässigen Yupiit aus | |
dem Jahre 1881, die das Museum 1936 in Paris einkaufen konnte. Sie wurde | |
dort seinerzeit im Rahmen einer Kunstausstellung gezeigt, kuratiert von | |
Andre Bréton, der die Verbindung zwischen surrealistischer Kunst und der | |
Kunst indigener Völker auszuloten versuchte. Die Maske lässt sich heute | |
nicht mehr entschlüsseln, nicht mehr lesen. Gewiss ist nur, dass sie einst | |
von einem Schamanen bei einem Maskenschnitzer in Auftrag gegeben wurde, | |
damit dieser dessen erinnerte Visionen beim Reisen durch andere Welten | |
bildnerisch umsetzte. Somit ist es keine Ritualmaske, die damit auch keinem | |
ikonographischen Alphabet folgt. | |
In die Welt des Verhältnisses Mensch zu Tier und Tier zu Mensch führt ein | |
Eisbärfellanzug: Ein Kleidungsstück, das optimal wärmt und nicht nur von | |
Schutz und Tarnung erzählt, sondern ebenso davon, dass sich in der | |
Ähnlichwerdung mit dem zu jagenden Tier eine fundamentale Achtung ihm | |
gegenüber ausdrückt. Dass genau dieser Bezug in der westlich-wärmeren Welt | |
verlorengegangen ist, wo sich zugleich eine zweifelhafte | |
Tierschutzsentimentalität durchgesetzt hat. Das zeigt ein Werbeplakat aus | |
der autonomen Region Nunavut im Norden Kanadas: Abgebildet sind zwei gut | |
gelaunte junge Inuit, die ein schwarz-weiß geflecktes Kalb mit Ohrmarke eng | |
umschlungen halten: „Rettet des Babykalb – vermeidet kulturelle Vorurteile�… | |
lautet der dazugehörige Slogan. | |
Eine Kampagne aus dem Jahr 2006, mit der man nicht nur die immer wieder | |
auftauchenden Vorhaltungen gegenüber den Robbenjagden der Arktisvölker | |
entkräften wollte, sondern mit der man auch sein Unverständnis gegenüber | |
etwas ausdrücken wollte, das uns kulturell gesehen selbstverständlich | |
erscheint: unsere industrielle Massentierhaltung. | |
16 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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