| # taz.de -- Ratschläge in der Schwangerschaft: Hauptsache, es wird | |
| > „War es gewollt? Wird es auch klein?“ sind die Fragen, die unsere Autorin | |
| > am häufigsten hört. Weil sie schwanger ist – und kleinwüchsig. | |
| Bild: Vorfreude mit rundem Babybauch: „Ich bin klein, der Mann ist mittel, da… | |
| Der Blick wandelt sich von kurzem Erstaunen zu völliger Verwirrtheit. Ich | |
| kann sehen, wie es in den Köpfen der Leute, die mich anschauen, anfängt zu | |
| arbeiten – spätestens, wenn sie auf meinem Bauch gelandet sind. | |
| Dort bleiben sie dann. Vielleicht wandern sie noch einmal zurück zu meinen | |
| Brüsten, weil diese in meinem Gesamterscheinungsbild gerade circa ein | |
| Drittel ausmachen, aber dann geht es schnell zurück auf den Bauch. | |
| Erstaunlich. Ein Schwangerschaftsbauch. Wie kann das sein? Die Frau ist | |
| doch so klein? Und wie alt überhaupt? Über 20? Geht das mit dem Sex dann? | |
| Darf die schwanger sein? | |
| Blicke bin ich gewöhnt. Ich bin klein. Noch kleiner als andere, die eh | |
| schon klein sind. Genau genommen: 140 Zentimeter lang. (Wobei das eine | |
| kleine Lüge ist, damit im Personalausweis eine aufgerundete Zahl steht, in | |
| Wirklichkeit sind es 139 Zentimeter.) | |
| Damit gehöre ich nicht zu den kleinsten Menschen. Im Gegenteil: Bei den | |
| Treffen des Bundesverbands „Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien“ | |
| gehöre ich zu den „Großen“. Oder zumindest zu einer Masse. Leider ist nic… | |
| jeden Tag Treffen des Bundesverbands. | |
| ## Scheiß auf gute Ratschläge | |
| Jeder Tag ist Alltag – und dazu gehören Blicke, Sprüche, Barrieren, | |
| Beleidigungen, Respektlosigkeiten und positive Diskriminierungen à la „ich | |
| bewundere dich dafür, dass du das trotz deiner Größe machst“. | |
| Die Kombination mit dem sichtbaren Extrapaket, das ich gerade mit mir | |
| herumtrage, scheint manche Menschen in Orientierungslosigkeit zu stürzen. | |
| Ich wusste das ja vorher. „Sobald man schwanger wird, gehört man zum | |
| gesellschaftlichen Allgemeingut, jeder meint, über dich und dein Leben | |
| urteilen und gute Ratschläge abgeben zu müssen“, schreibt mir eine Bekannte | |
| über Twitter. Ihr „Scheiß drauf!“ im Anschluss drucke ich aus und hänge … | |
| über meinen Schreibtisch. | |
| Wie recht sie hat, merke ich in den folgenden Wochen. Alle Menschen wissen, | |
| was ich in der Schwangerschaft zu tun habe. Wie es mir gehen sollte. | |
| Worüber ich mir Sorgen machen muss. Und was ich zu spüren habe. | |
| In dem Newsletter, den ich abonniert habe, werde ich gefragt, ob ich dieses | |
| vorfreudige Kribbeln auf die Geburt spüre, wenn ich zu Musik durch das | |
| Wohnzimmer tanze. Ich klicke auf „antworten“ und tippe: „Nein.“ | |
| Auf Veranstaltungen werde ich dafür gelobt, dass ich „trotzdem da bin“. Ich | |
| bin ein bisschen überfordert, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen | |
| sollte. Zu Hause sitzen und andächtig meinen Bauch streicheln? | |
| ## Alle kriegen Panik – außer man selbst | |
| Meine Mutter wirft derweil einen Blick in das zukünftige Kinderzimmer. | |
| Aktuell dort drin: eine leere Kommode, der Staubsauger, ein Werkzeugkasten, | |
| 60 leere Umzugskartons und ein paar Dinge, von denen noch niemand weiß, wo | |
| sie hinsollen. | |
| „Ab dem siebten Monat solltet ihr aber drauf vorbereitet sein“, sagt sie. | |
| Ich sage: „Aha. Das Problem ist nur, der siebte Monat ist nächste Woche.“ | |
| Langsam glaube ich, ich sei auf das Kind schlechter vorbereitet als auf das | |
| Kaninchen, das wir damals bekommen haben. | |
| Die Frage, die ich am häufigsten gestellt bekomme, wenn ich erzähle, dass | |
| ich schwanger bin, lautet: „War es gewollt?“ Und ich kann mir kaum eine | |
| Frage vorstellen, die übergriffiger sein könnte als diese. Menschen stellen | |
| sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Als wäre es unvorstellbar, dass ich ein | |
| Kind haben möchte. Dass der Mann ein Kind haben möchte. Dass dieses Kind | |
| gewollt sein könnte. Wie soll ich antworten? „Nö, wir waren nur wieder | |
| völlig betrunken nach dieser einen Party, aber jetzt ziehen wir es durch“? | |
| Darauf folgt dann meist, in einem leichten Flüsterton, als wäre es sehr | |
| unverfroren, dieses Thema überhaupt anzusprechen: „Wird es auch klein?“ Am | |
| liebsten antworte ich: „Ja, ich hoffe. 210 Zentimeter rauszupressen, stelle | |
| ich mir eher unangenehm vor.“ | |
| Wenn man klein ist und schwanger, kriegen plötzlich alle Menschen um eine | |
| herum Panik. Außer man selbst. Und, wenn man Glück hat, die Frauenärztin. | |
| Die sagt nur: „Ja, das werden wir dann ja sehen, ne?“ | |
| ## Unkomplizierte Schwangerschaft | |
| Meine Oma hat Angst davor, dass da etwas sehr Großes rauskommen muss. Eine | |
| Bekannte findet es schwierig, wenn das Kind auch so klein wird – vor allem, | |
| wenn es „ein Junge sein sollte“ (well, go home!). Und die Humangenetikerin | |
| versucht nach dreiunddreißig Jahren noch einmal herauszufinden, warum ich | |
| so bin, wie ich bin. Spoiler: Sie schafft es nicht. Ich habe keine | |
| vererbbare Kleinwuchsform. Zumindest keine, die man feststellen könnte. Ich | |
| bin klein, der Mann ist mittel, das Kind wird irgendwie. Hauptsache, es | |
| wird. | |
| Mir tut es leid, andere enttäuschen zu müssen, aber ich kann auf die Frage | |
| „Wie geht es dir?“ nichts anderes antworten als „Gut, wie immer!“. | |
| Vermutlich habe ich die unkomplizierteste Schwangerschaft der Welt, aber | |
| irgendwann muss man ja mal Glück haben. | |
| Ich sehe die Enttäuschung in den Augen, wenn ich erzähle, dass ich nicht | |
| fünf Monate durchkotzen musste und auch sonst keine Veränderungen spüre, | |
| außer, dass da jemand abends in meinem Bauch ordentlich Party macht. | |
| Wenn es mir schon nicht schlecht geht, scheinen die Leute zu denken, sie | |
| müssten mir wenigstens ein paar Horrorgeschichten erzählen – so als | |
| Ausgleich. „Ach, sei froh, bei meiner Freundin Rita ist im fünften Monat | |
| folgendes schreckliches Szenario passiert …“ und dann folgt ein | |
| schreckliches Szenario, das ich nicht so genau kennen wollte. | |
| ## Echte Freunde | |
| Wenn das alles zu viel wird, freue ich mich auf das Schwangerschaftsyoga. | |
| Schwangerschaftsyoga hat nichts mit eigentlichem Yoga zu tun – zumindest | |
| nicht das, das ich mache. Wir atmen einfach. Eineinhalb Stunden lang. Dabei | |
| spüren wir unseren Körper, den Bauch, den Boden. Ich spüre in der Zeit mehr | |
| als in der ganzen Woche davor. Spüren ist toll. Es lenkt ab. In dieser Zeit | |
| baue ich den Panzer wieder auf, der durch die ganzen Sprüche Schicht für | |
| Schicht bröckelt. | |
| Ich habe mich mit mir selbst darauf geeinigt, dass ich das mit dem Kind | |
| schon schaukele. Wenn mein kleiner Körper schwanger werden kann, kann er | |
| auch ein Kind kriegen. Alles andere, von dem viele Leute dachten, es wäre | |
| unmöglich für mich, hat er schon geschafft. | |
| Es gibt sie übrigens. Die guten Menschen. Die sagen, dass man nicht zögern | |
| soll, nach Hilfe zu fragen. Oder jetzt schon anbieten, das Baby zu | |
| beschäftigen, wenn man mal duschen möchte. Die Tipps geben für einen | |
| Kinderwagen, den zwei sehr unterschiedlich große Menschen ohne Probleme | |
| schieben können. Und die die Frage nach einer Wickelkommode abwinken mit: | |
| „Dann machst du das halt auf dem Boden, wenn du nicht an die Fläche | |
| heranreichst.“ | |
| Die wissen, dass Besserwisserei nicht weiterhilft, sondern dich in den Arm | |
| nehmen und dann ein großes Stück Schokoladentorte aus dem Nichts zaubern. | |
| Und das sind die einzigen Menschen, mit denen wir alle, ob schwanger oder | |
| nicht und ob groß oder klein, befreundet sein sollten. | |
| 2 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ninia La Grande | |
| Ninia LaGrande | |
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