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# taz.de -- Verlegerin und Autorin über VG Wort: „Das wollen wir nicht!“
> Was passiert, wenn der „Kopiergroschen“ künftig direkt an die Urheber
> ausgezahlt wird und die Verleger leer ausgehen? Ein Gespräch.
Bild: Nicht jeder Verlag kann das Geld einfach so zurückzahlen
taz: Frau Schüssler, laut einem Urteil des BGH waren die Ausschüttungen der
VG Wort von 30 Prozent an die Verlage seit 2012 unrechtmäßig. Sie müssen
zurückgezahlt werden. Angestrengt wurde das Verfahren von einem Autor. Wie
konnte das passieren?
Schüssler: Kaum jemand hat mit dem Urteil gerechnet. Nicht in der VG Wort,
nicht in der Politik, war die Verteilungspraxis doch über Jahrzehnte von
keiner Seite je infrage gestellt worden. Ich bin natürlich nach wie vor der
Meinung, dass an dem Buch, das etwa in der Bibliothek genutzt wird, der
Verlag seinen Anteil hat. Genau wie der Autor. Dass Verlage nicht beteiligt
sein sollen, ist ein Denkfehler.
Sind Sie als Autorin zufrieden mit dem Urteil, Frau George?
George: Nun, ich habe es schon kommen sehen. Aber es ist nicht mein Urteil.
Ich bin damit nicht zufrieden. Letztlich wird es einen großen
Kollateralschaden hinterlassen. Ich verstehe aber den Zorn der
Wissenschaftsautoren und Journalisten gegen ihre Verlage.
Woher kommt diese Wut?
George: Die ist nicht neu und hat weniger mit der VG Wort zu tun als mit
einer bisweilen großen Asymmetrie zwischen Autoren und Verlag, vor allem
den Presseverlagen. Ich erinnere mich an eine Abrechnung von Springer: zwei
Seiten AGBs, in denen ich meine Nutzungsrechte für eine Pauschale abgebe.
Da verstehe ich die „Freischreiber“. Ihre Wut trifft aber Leute, die damit
nichts zu tun haben . . .
Die Verlage müssen nun 100 Millionen Euro zurückzahlen. Was sind die
Folgen?
Schüssler: Viele werden unmittelbar in Schwierigkeiten geraten, einige auch
Konkurs anmelden müssen. Für die kleinen Verlage ist ein Betrag von 5.000
Euro so viel wie eine Million für die großen. Nicht jeder Verlag kann das
Geld einfach so zurückzahlen. Es ist ein fester Bestandteil der
Gesamteinnahmen.
George: Ich glaube nicht, dass so viele Verlage in Konkurs gehen. Das ist
Schwarzmalerei.
Und was bedeutet das langfristig?
Schüssler: Vielleicht wird es nicht so viele Pleiten geben. Aber die
Rückzahlung wird gravierende Folgen für die Programme haben. Es werden
bestimmte Übersetzungen nicht mehr gemacht, bestimmte Bücher und Autoren
werden nicht mehr verlegt.
George: Wenn man diesen Autoren jetzt auch noch sagt: Wir verkleinern das
Programm, es gibt weniger Übersetzungen, weniger Geld für Autoren, dann
werden sie darin bestätigt, dass die Verlage die Bösen sind. Davor möchte
ich warnen.
Schüssler: Diese Feststellung mag unbequem sein und ist keine Drohung an
die Autoren, sondern ein Hilferuf an die politisch Verantwortlichen. Wir
haben kein Polster. Bei Wagenbach sieht es so aus: Ein eventueller Gewinn
fließt wieder in den Verlag zurück. Also müssen wir einsparen. Wir haben
dieses Jahr erstmals seit 52 Jahren unseren Gesamtkatalog „Zwiebel“ nicht
herausgebracht. Das ist ein Einschnitt, der Verlag und Autoren trifft.
Also verläuft der Riss nicht zwischen Autoren und Verlagen, sondern
zwischen kleinen und Großverlagen und deren Autoren?
Schüssler: Bei den Presseverlagen mag die Situation ganz anders sein. Wir
Buchverlage haben ein anderes Verhältnis mit unseren Autoren. Wir streiten
um Konditionen und Inhalte, aber wir reden miteinander. Das Verbindende ist
größer als das Trennende.
Frau George, sehen Sie das auch so?
George: Die Befindlichkeiten sind unterschiedlich. Letztlich steckt die
Unzufriedenheit einer kleinen Gruppe die anderen an. Aber wir müssen sie
thematisieren, es gibt schwarze Schafe unter den Verlagen. Sie
kommunizieren nicht mit den Autoren, machen schlechte Cover, geben Rechte
nicht heraus. Also: Liebe Verlage, liebe Frau Schüssler, auch Sie geben den
Druck des Marktes weiter. Auch an erfolgreiche Autoren wie mich.
Schüssler: Mir wird auch manchmal schlecht, wenn ich von meinen Autoren
höre, welche Konditionen sie anderswo bekommen. Es gibt die schwarzen
Schafe. Und darunter leiden wir Verleger, so wie Sie unter den paar
Autoren, die das ganze Gefüge kaputtzumachen versuchen.
Hinter dem aktuellen Streit über das Anrecht der Verlage auf die Tantiemen
steht ja die Frage, was sie zum Buch beisteuern . . .
Schüssler: Schauen Sie unsere Politikreihe an: Die haben wir hier erfunden,
wir haben die Themen gesetzt, Autoren gesucht, wir arbeiten mit den
Autoren, und manchmal wird der Text im Verlag umgeschrieben. Unsere Arbeit
ist da nicht 30, sondern eher 70 Prozent. Aber ich möchte das nicht
aufwiegen, denn es gibt auch Bücher, die praktisch fertig ankommen.
George: Deshalb habe ich mich entschieden, die mir nun zustehenden Gelder
an den Verlag abzutreten. Denn das fertige Buch in der Bibliothek oder im
Copyshop gibt es nur, weil mein Verlag etwas dazu beigetragen hat.
Schüssler: Aber wenn die Mitgliederversammlung am 26. November
dagegenstimmt, wird die Abtretung nicht anonym über die VG Wort
abgewickelt, sondern über den Verlag. Das wollen wir nicht! Ich will nicht
wissen, welcher meiner Autoren abtritt. Die Übersetzer fürchten zu Recht,
dass Verlage sagen: Wenn du nicht abtrittst, beschäftige ich dich nicht
mehr.
Täuschen sich viele Autoren über die Arbeit der Verlage?
George: In jedem Fall gibt es ein Halbwissen, etwa über die Gewinnspanne
der Verlage. Vom Verkauf eines Taschenbuchs bekomme ich letztlich mehr als
der Verlag. Da geht viel ab – Rabatte, Vertrieb, Lagerung. Mein Verlag
verdient erst richtig, wenn ich in den Top 5 bin.
Schüssler: In unseren Verträgen steht, dass sich Autoren die Kalkulationen
anschauen können. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, wann das jemand
getan hat. Sonst würden sie sehen, dass wir von 30 Büchern im Halbjahr zwei
Drittel negativ kalkulieren. Wir müssen darum kämpfen, auch verrückte
Bücher machen zu können. Um die mitzutragen, braucht es erfolgreiche
Bücher. Aber Teil dieser Querfinanzierung ist auch das Geld der VG Wort.
Ist der Verlag also Urheber?
Schüssler: Es gibt ja die Frage nach dem gesetzlich verankerten
Leistungsschutzrecht. Die Verlage haben bisher eigentlich nie dafür
gekämpft, sondern über das Urheberrecht ihre Berechtigung gezogen. So hatte
es der Gesetzgeber vorgesehen. Und das wird jetzt infrage gestellt.
Was hätte das Leistungsschutzrecht für Folgen? Eine VG Wort ohne Verlage?
Schüssler: Ja, möglicherweise. Sollte es in Zukunft getrennte
Verwertungsgesellschaften geben, wäre das für beide Seiten von Nachteil,
auch für die Autoren. Gemeinsam konnten wir für die Vergütung
urheberrechtlich geschützter Werke mehr erreichen als jeder für sich. Das
System hat gut funktioniert und schien mir gerecht zu sein.
George: Ein Albtraum. Der Kuchen wird ja nicht größer. Ein Kollege hat mir
vorgerechnet, dass die Gerätehersteller dann eben 130 Prozent zahlen
sollen: 100 an die Autoren, 30 an die Verlage. Ich habe sehr gelacht. Denn
seit Jahren hören wir von dem Branchenverband Bitkom schon, die
Geräteabgabe sei überholt.
Die Verhandlungsposition der Autoren wäre geschwächt?
George: Absolut. Verlage und Autoren müssen an einem Tisch verhandeln. Ohne
die Verlage müsste die VG Wort alle Verträge mit der Bitkom, den
Bibliotheken, den Universitäten neu verhandeln. Die würden uns dann aber
fragen: Was ist Ihr Anteil an diesem Produkt? 70 Prozent? Weniger? Wenn die
Verlage ihr Leistungsschutzrecht holen, wäre es noch schwieriger zu
verhandeln . . .
Schüssler: Wir wollen ja das bisherige Konstrukt behalten. Aber wenn wir
nicht mehr beteiligt werden, bleibt uns nur ein Leistungsschutzrecht.
Und nun?
George: Die Politik hat es verpasst, uns rechtzeitig beizuspringen. Die
nationalen Institutionen haben es auf die europäischen geschoben. Eine
Regelung dort wird zwei bis vier Jahre dauern. Und so lange bleibt uns
nichts, als zurück an die Arbeit zu gehen.
Schüssler: Wir hoffen auf eine nationale Übergangslösung, bis auf
europäischer Ebene anerkannt wird, dass die Leistungen der Verlage
vergütetet werden müssen. Wir können nur hoffen, dass bis dahin die VG Wort
nicht auseinanderfällt. Und das ist die Gefahr, wenn es bis Ende des Jahres
keine Lösung gibt.
23 Nov 2016
## AUTOREN
Sonja Vogel
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