# taz.de -- Die Wahrheit: Trompet, trompet! | |
> „Die ernste Tierwelt und ihre lustige Erforschung (18)“ widmet sich den | |
> Feinheiten der Elefantenhaltung. „Hands on“ oder „protected contact“? | |
Bild: Für Tierpfleger sind Elefanten ebenso anspruchsvolle wie anhängliche Ku… | |
Die Wissenschaft ist grobschlächtig, das Leben subtil, deswegen brauchen | |
wir die Literatur, meinte Roland Barthes. Und bei der Tierforschung | |
brauchen wir die Erzählungen der Tierpfleger beziehungsweise Wildhüter, | |
wobei die mit Elefanten Beschäftigten bei ihren Kollegen als privilegiert | |
gelten und die Elefantenforscher auch schon immer mit ihnen kooperierten. | |
Der Elefantenpfleger des Ostberliner Tierparks, Patric Müller, wechselte | |
die Seite – von der Hand- zur Kopfarbeit: Er begann ein Biologiestudium – | |
sinnigerweise bei Professor Andreas Elefant an der Humboldt-Universität, | |
und forschte dann auch über Elefanten. Kollegen von ihm im Tierpark, Bodo | |
Förster und seine Frau Lia, engagierten Mahuts und machten sich in Thailand | |
mit einem „Elefantencamp“ selbständig. | |
„Einmal Elefantenmann immer Elefantenmann“, meint Patric Müller. Bei ihm | |
begann das so: „Als ich 1986 im Tierpark anfing, ließ Professor Dathe ein | |
neues Elefantenhaus bauen. Es wurde 1989 fertiggestellt, im Vorfeld kamen | |
aber schon die Elefanten: zwei aus dem Moskauer Zoo und vier Junge aus | |
Simbabwe. Dort hatte man die Herden abgeschossen, weil es zu viele geworden | |
waren, die Jungtiere aber behalten, die waren natürlich mehr oder weniger | |
traumatisiert, als man sie an die Zoos verkaufte, aber aus denen sind | |
trotzdem tolle Elefanten geworden. | |
Es ist dabei wichtig zu wissen, erstens, dass man eine vertrauensvolle | |
Beziehung aufbauen muss, um mit denen umgehen zu können, weil Elefanten | |
einem ja schon von ihrer Physis her überlegen sind, Masse mal | |
Beschleunigung. Zweitens haben Elefanten eine Sozialstruktur, die | |
hierarchisch geordnet ist, das heißt, es gibt ein Alphatier und das ist bei | |
ihnen meistens eine Kuh. Elefanten erfordern generell eine individuelle | |
Pflege. Ich will das nicht vermenschlichen, aber für das Vokabular, um | |
Charaktereigenschaften bezeichnen zu können, bleibt mir ja nur das von den | |
Menschen.“ | |
## Elefanten am Biertisch | |
Bei den Elefantenpflegern ergibt es sich auch, dass sie – anders als die | |
Pfleger in anderen „Revieren“ – nach Feierabend im Tierparklokal | |
zusammenkommen: „Da wurden dann am Biertisch auch alle Probleme | |
angesprochen, die sich um die Elefanten drehten: Was vorgefallen ist am Tag | |
oder in der letzten Zeit und was zu erwarten ist – bei diesem oder jenem | |
Tier.“ | |
Die Elefantenpfleger im Westen geben dabei gern zu, dass die mit Elefanten | |
arbeitenden Mahuts in Indien und Burma zum Beispiel über sehr viel mehr | |
Elefantenwissen als sie verfügen, weil die Tiere, mit denen sie tagtäglich | |
arbeiten, mit zur Familie gehören. Ihr Elefant begrüßt trompetend ihren | |
Nachwuchs und trauert mit ihnen um Verstorbene. Verwaiste Jungtiere werden | |
gelegentlich von den Frauen gesäugt. Für die Mahuts ist es | |
selbstverständlich, dass es „unter den Elefanten fleißige Arbeiter gibt und | |
solche, die sich drücken; manche haben freundliche Gemüter, und manche sind | |
ständig schlecht gelaunt. Einige von ihnen transportieren Baumstämme, die | |
bis zu zwei Tonnen schwer sind, ohne zu murren, und andere, die genau so | |
stark sind, stellen sich fürchterlich an wegen eines Hölzchens“, wie es in | |
einem englischen Bericht heißt. | |
Solch anthropomorphe Interpretation von Verhalten gilt als | |
unwissenschaftlich, „aber“, gibt wiederum die Philosophin Mary Midgley | |
bezüglich der Mahuts zu bedenken, „würden sie sich nicht an diesen | |
alltäglichen Gefühlen orientieren – würden sie nicht beachten, dass ihr | |
Elefant glücklich, verärgert, ängstlich, aufgeregt, müde, gereizt, | |
neugierig oder wütend ist, sie würden nicht nur ihre Arbeit verlieren, sie | |
wären sehr bald tot.“ | |
## Mit Schlüsselbund und Besen | |
Der Zürcher Elefantenpfleger Ruedi Tanner schreibt in seiner Biografie | |
„Mein Leben mit den Elefanten“ (2000) über „seine“ kinderlose Elefante… | |
Druk: „Oft will sie sogar uns behüten. Ihr höchstes Glück ist, wenn ein | |
junger Elefant oder ein Elefantenpfleger unter ihrem Bauch sitzt.“ Und | |
„trompeten“ würden Elefanten „aus Angst, Übermut oder Wut“. Als ein | |
Geräusch, auf das alle Elefanten erwartungsvoll reagieren, aber auch alle | |
anderen Zootiere, erwähnt er das Klingeln mit seinem Schlüsselbund. Respekt | |
verschaffen die Pfleger sich hingegen mit einem „simplen Besen“. | |
Ihre Pfleger suchen sich die Elefanten selber aus, wie der Hamburger | |
Elefantenpfleger Karl Kock meinte. So hatten sie im Zoo Hannover | |
beispielsweise eine besonders vertrauensvolle Beziehung zu ihrem | |
Elefantenpfleger Ramin entwickelt. Als dieser schwer verletzt im | |
Krankenhaus lag, musste man ihn täglich in den Zoo bringen, „damit die | |
Elefanten angekettet werden konnten.“ | |
1968 schickte der Zoodirektor Ruedi Tanner auf einen größeren | |
Elefantentransport: Er sollte zwei kleine Elefanten aus Kalkutta im | |
Flugzeug nach Zürich begleiten. Eines der Tiere regte sich unterwegs derart | |
auf, dass auch kein Valium mehr half. Tanner steckte ihm daraufhin zwei | |
Finger in den Mund, „damit es nuckeln konnte“. Das beruhigte den kleinen | |
Elefanten zwar, aber Tanner musste deswegen stundenlang auf einem | |
Blecheimer sitzend ausharren. Eine Zürcher Künstlerin machte aus dieser | |
Szene später ein Wandteppichmotiv. Der kleine Elefant, wenig später Chhukha | |
genannt, wich seit dem Flug nicht mehr von Tanners Seite: „Die ersten | |
Wochen war es besonders schlimm.“ Dafür konnte er bald auch nachts in das | |
Elefantenhaus gehen, ohne das die Tiere hochschreckten, was dem | |
Zoodirektor, der Schlafforschung bei Tieren betrieb, nie gelang. | |
## Heimliche Aktivitäten | |
Patric Müller erzählte mir, wie sie versuchten, den Elefanten Abwechslung | |
zu bieten, damit sie nicht in ihrem Gehege verblöden: „Beispielsweise | |
wollten wir mit den Elefanten rausgehen, außerhalb der Elefantenanlage. | |
Nichts Besonderes, einfach auf diese Kippe, wo viel Wald war, da sind wir | |
mit dem Elefantenbullen, als er noch jung war, hin. Das wurde eine Zeit | |
lang auch mehr oder weniger inoffiziell geduldet. Wenn etwa der Direktor | |
Dathe Geburtstag hatte, wurde er von einem Elefanten abgeholt. Wir wollten | |
einfach die Erfahrungsmöglichkeiten der Elefanten erweitern, ihr | |
Verhaltensrepertoire vergrößern und ihre Langeweile reduzieren. Wenn der | |
Tierpark zu ist, keine Besucher mehr drin sind, dann ist das ja auch | |
eigentlich kein Problem, kein Sicherheitsrisiko. Wir haben viele Dinge | |
gemacht, die nicht mit der Leitung unbedingt direkt abgesprochen waren, die | |
aber für uns durchaus einschätzbar waren. Wir wollten damit vor allem | |
erreichen, dass sie weniger schreckhaft reagierten – auf neue Sachen und | |
Situationen.“ | |
Der Zürcher Elefantenpfleger Ruedi Tanner berichtet ebenfalls von solchen | |
quasi heimlichen Aktivitäten mit den Elefanten – „wenn unsere Vorgesetzten | |
eine Sitzung hatten“. In dieser „unbeaufsichtigten“ Zeit führte er „se… | |
jungen Elefanten, Thaia, durch den Zoo, an einem Vorderfuß mit dem Seil | |
gesichert. Dabei fiel ihm auf, dass sie vor Flugzeuglärm große Angst hatte. | |
Weil sie auch noch Narben am Hals hatte, war er davon überzeugt, dass sie | |
zwar in Thailand gefangen worden war, aber eigentlich aus Vietnam stammte. | |
„Die Herde wurde mehrmals bombardiert. Deshalb hatte Thaia Angst vor | |
Düsenflugzeugen. Durch Feuer und Entlaubung des Waldes wurde die Herde | |
derart verängstigt, dass sie floh. Gegen Westen nach Thailand. Mit Futter | |
und guten Worten nahm ich dem Tier die Angst vor den Flugzeugen.“ | |
## Antiödipale Dickhäuterhege | |
Die Romanistin und Elefantenliebhaberin Christiane Rath erwähnt in ihrem | |
Buch „Die Elefanten zu Köln“ (2008) zwei verschiedene Arten der | |
Elefantenhaltung. Die im Ostberliner Tierpark und auch in Zürich | |
praktizierte nennt sich „hands on-Haltung“ und die neue in Köln „protect… | |
contact“ (pc), dabei bleiben die Pfleger „immer durch Schutzgitter vom Tier | |
getrennt“. Viele Zoomanager hoffen laut Ruedi Tanner, „dass mit dem | |
,geschützten Kontakt' die selbstbewussten Elefantenpfleger durch | |
,Einheitstierpfleger‘ zu ersetzen seien“ – für die die Arbeit mit Elefan… | |
nur ein „Job“ ist – „mit Ferien und Feierabend“. | |
Tanner schreibt: „Zoobullen müssen fast immer wegen ,Bösartigkeit' kurz | |
nach Eintritt der Geschlechtsreife getötet werden.“ In Indien ist es genau | |
umgekehrt – antiödipal: Wenn ein Mahut von einem Elefanten getötet wird, | |
übernimmt sein Sohn ihn, und sowohl ihm als auch dem Elefanten bringt man | |
großen Respekt entgegen. | |
21 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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