# taz.de -- Folter in Russland: Hilfeschrei aus der Strafkolonie | |
> Ildar Dadin, politischer Häftling in Karelien, berichtet, wie grausam er | |
> und andere behandelt werden. Die Knastleitung weiß von nichts. | |
Bild: Stand am Mittwochmorgen vor verschlossenen Türen: Der Leiter des Moskaue… | |
Moskau taz | Sollte es nur ein Zufall gewesen sein? Am Dienstag gelangte | |
der Hilferuf des Oppositionellen Ildar Dadin an die russische | |
Öffentlichkeit. Der 33jährige Häftling erzählte seiner Frau in einem | |
dramatischen Brief von systematischer Folter in der karelischen | |
Strafkolonie IK-7. Noch am selben Tag veröffentlichte das Moskauer Büro von | |
Amnesty International den Hilfeschrei. Am Mittwoch standen die | |
Amnesty-Mitarbeiter vor verschlossenen Türen. Schlösser waren ausgetauscht, | |
der Strom abgestellt, alles war versiegelt – ohne behördliche Vorwarnung. | |
Doch der Reihe nach. Ildar Dadin wurde im Dezember 2015 zu einer | |
dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Ihm wurde zur Last gelegt, wiederholt | |
gegen das Versammlungsrecht verstoßen zu haben. Nach Protesten gegen die | |
gefälschten Dumawahlen 2011 war das Demonstrationsrecht weiter verschärft | |
worden. Die Teilnahme an einer nicht angemeldeten Versammlung reicht schon | |
aus, um für Jahre hinter Gittern zu verschwinden. | |
Dadin war das erste Opfer des neuen Gesetzes. Im September wurde er in die | |
Strafkolonie verlegt, in der auch Öl-Tycoon Michail Chodorkowski kurz vor | |
der Entlassung noch einmal einsaß. | |
Die Strafkolonie IK-7 ist berüchtigt. Dadin beschreibt, wie ihm nach der | |
Verlegung zwei Rasierklingen heimlich untergeschoben worden sein müssen. | |
Bei der anschließenden Durchsuchung wurden sie entdeckt. So war ein Vorwand | |
geschaffen, um ihn in Isolationshaft zu nehmen. Dies sei gängige Praxis. | |
Neuankömmlinge sollten sofort begreifen, wo sie gelandet seien, sagt Dadin | |
in dem Brief, der von seinem Anwalt aufgeschrieben wurde. Offensichtlich | |
herrscht in der Kolonie eine Informationsblockade. | |
## Im Hungerstreik | |
Seife, Zahnbürste, Zahnpasta und Toilettenpapier wurden Dadin auch | |
weggenommen, woraufhin er in Hungerstreik trat. Einen Tag später tauchte | |
der Leiter der Kolonie Sergei Kossijew mit Kollegen in der Zelle auf. | |
„Viermal wurde ich im Laufe des Tages zusammengeschlagen und von 10 bis | |
zwölf Leuten mit Füßen getreten. Nach dem dritten Mal steckten sie meinen | |
Kopf in die Toilette“, schreibt Dadin, der seine Frau bittet, mit dem Brief | |
an die Öffentlichkeit zu gehen, um seine „Überlebenschancen zu erhöhen“. | |
Tags darauf wurde er eine halbe Stunde lang mit den Händen auf dem Rücken | |
in Handschellen aufgehängt. Das Justizpersonal zog ihm die Unterwäsche aus | |
und drohte mit Häftlingen, die ihn vergewaltigen würden, sollte er den | |
Hungerstreik fortsetzen. Jeder Versuch sich zu beschweren, könnte tödlich | |
enden, wird der Koloniechef zitiert. | |
„Ildar Dadins Anschuldigungen sind schockierend“, meinte Sergei Nikitin von | |
Amnesty International. „Leider sind sie jedoch nur die letzten in einer | |
langen Reihe von glaubwürdigen Berichten über Folter und Misshandlungen, | |
die im russischen Justizvollzug weit verbreitet sind“. Diese Praktiken | |
sollen Protest unterdrücken. Die Täter würden nie bestraft. | |
Die Zustände in der Kolonie IK-7 haben Tradition. Im Boulevardblatt | |
Moskowskij Komsomolez erinnert sich ein Ex-Justizvollzugsbeamter aus | |
Karelien an frühere Zeiten. Demnach kam es regelmäßig zu Schlägereien. Mal | |
prügelte sich das Justizpersonal untereinander, mal mit den Häftlingen. | |
Wärter verschwanden nach längerem Alkoholkonsum, ohne dass das geahndet | |
worden wäre. Ständig mussten verletzte Häftlinge in die Klinik eingeliefert | |
werden. Schädel-Hirn Traumata und Milzrisse waren angeblich an der | |
Tagesordnung. | |
## Kreml schaltet sich ein | |
Die Gefängnisleitung wies im Fall Dadins sämtliche Vorwürfe zurück. Die | |
russische Justizvollzugsbehörde will nach einer Untersuchung des Häftlings | |
auch keine Foltermerkmale festgestellt haben. Nun ist es kein Geheimnis, | |
dass sich Fachleute darauf verstehen, zu foltern ohne Spuren zu | |
hinterlassen. Selbst der Kreml schaltete sich ein und teilte mit, Präsident | |
Wladimir Putin werde informiert. | |
Auch die Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa will sich des Falls | |
annehmen. Ildar Dadin möchte unterdessen nicht wieder verlegt werden, | |
schrieb er seiner Frau. Oft hätte er gehört, wie andere Häftlinge | |
geschlagen worden seien. Sein Gewissen erlaube es ihm nicht davonzulaufen. | |
Er wolle kämpfen und den anderen helfen. | |
2 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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