# taz.de -- Die Wahrheit: Hier spricht die Fußmatte | |
> Mit dem Gewöhnen an diversen Unbill des Lebens ist es so eine Sache, die | |
> auch nicht besser wird, versetzt man sich hinein in eine Fußmatte. | |
Es gibt diese Kalendersprüche, die einen durch die Kurve tragen, wenn das | |
Umgebungspersonal – genannt „Mitmenschen“ – wieder rumquälgeistert, als | |
würde es dafür bezahlt. Braucht man dann ein Eigensedativum, kann man sich | |
bei Kalenderwart Konfuzius bedienen: „Wenn du einen Würdigen siehst, dann | |
trachte ihm nachzueifern. Wenn du einen Unwürdigen siehst, dann prüfe dich | |
in deinem Innern.“ | |
Na ja – kann man schon nehmen, ist aber, wenn’s pressiert, vielleicht ein | |
bisschen lang. Statt der chinesischen, empfehle ich die westfälische | |
Version meines Oppas: „Man kann se sich nicht aussuchen.“ Der Spruch | |
schafft „se“ zwar nicht aus der Welt, hemmt aber vorübergehend die eigene | |
Adrenalin-Produktion. | |
Noch so ’n Satz: „Man gewöhnt sich an alles.“ Den sollte man sich besser | |
nicht angewöhnen. Kommt im ersten Moment zwar recht griffig daher, ist aber | |
ein Blender. Man gewöhnt sich nicht an alles, nur weil man alles schon mal | |
erlebt hat. Mein Oppa hat zum Beispiel zwei Weltkriege erlebt, sogar | |
überlebt. Hat er sich deswegen dran gewöhnt? Na also. | |
Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass mein Fußballverein auch mal ein | |
Spiel verliert. Und ganz bestimmt werde ich mich keinesfalls daran | |
gewöhnen, dass gewisse Hundeeigentümer ihre, ihnen auch um die Nase herum | |
immer ähnlicher werdenden, Möpse genau dahin kacken lassen, wo ich gleich | |
mit meinen Profil-Gummisohlen hintrete – und zwar kurz bevor ich in mein | |
Auto steige. | |
Ich bin sogar sehr sicher, dass sich selbst die Fußmatte meines Autos | |
niemals daran gewöhnen wird, dass ich sie mit frisch kotaminierten | |
Profilsohlen besteige. Meine Matte sagt in solchen Momenten übrigens gern | |
etwas von Paulo Coelho: „Wenn man auf ein Ziel zugeht, ist es äußerst | |
wichtig, auf den Weg zu achten.“ Oder: „Herzlich willkommen in der | |
Erlebniswelt Fahrgastzelle. Wunderbäume in vielen Duftvarianten an der | |
nächsten Tankstelle.“ | |
Kleiner Tipp: Falls Sie die Zitate in Ihrer Coelho-Gesamtausgabe nachprüfen | |
wollen, der hilfreichere der beiden Gebrauchshinweise ist nicht vom großen | |
Meister. | |
Mir ist übrigens durchaus bekannt, dass meine Fußmatte nicht sprechen kann. | |
Pardon, ich war kurz mal draußen im Fantasiebereich. Hier drinnen in der | |
Wirklichkeit ist es aber noch dubioser. Da spreche ich selbst manchmal, als | |
sei ich Bodenbelag. Vielleicht sage ich deswegen auch viel zu oft: „Man | |
gewöhnt sich an alles.“ | |
Ja, ich sage das. Wider besseres Wissen. Weil ich ja weiß, dass ich mich | |
nicht gewöhnen werde. Nicht an Niederlagen meines Fußballvereins. Nicht an | |
Menschen, die mit dem Rücken zum Denkmal stehen, damit beim Knipsen die | |
eigene Pfanne mit auf dem Bild ist. Und schon mal gar nicht an diese als | |
Wutbürger verkleideten unzivilisierten Schreihälse, deren Sorgen und Nöte | |
ich dauernd ernst nehmen soll. | |
Da muss man obenrum schon ziemlich heruntergekommen sein, wenn man sich an | |
die gewöhnt hat. | |
11 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Fritz Eckenga | |
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