Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit wird 25: D wie Paradies
> Im Jahr 2041: Die Wahrheit zu Gast bei Kanzlerin Angela Merkel. Fühlt es
> sich so an, das Paradies? Immerhin, es gibt Konfekt.
Ein wenig schwerhörig ist sie geworden. Und jetzt kramt sie auch noch in
ihrem Sekretär. Endlich findet die seit 36 Jahren amtierende Kanzlerin das
Ersehnte, schiebt es uns über den Resopaltisch im Kanzleramt zu. „Hier
Konfekt aus MeckPomm, sehr gut. Bitte!“ Wir zögern kurz, machen uns ein
paar Notizen, dann nehmen wir etwas vom Konfekt. Lecker!
87 Jahre ist die Grande Dame der deutschen Ost-West-Politik nun, und ein
Dienstende ist nicht in Sicht. „Da jitt et nix zo kriesche!“, lautet ihr in
den 2020er Jahren von Adenauer geklautes Motto. „Da gibt es nichts zu
weinen“ – mit leichtem Silberblick und moppelig wie stets um die
birnenartigen Hüften, blickt die Pastorentochter hinaus durch sanft
vibrierende Vinylscheiben, hinaus auf blühende Landschaften.
Liegendfahrräder, Erwachsene auf Rollern oder in SUVs sind schon 2029 zum
Wohle der Allgemeinheit durch das Verkehrsministerium verboten worden, 2030
folgten quengelnde Kleinkinder per Erlass des Familienministeriums. Und
bereits 2025 hatte die Kanzlerin die wenigen noch verbliebenen deutschen
Banken liquidieren lassen und durch eine einzige bundesweite Sparkasse, die
sogenannte Geldkasse, ersetzt.
„Gab es denn damals von niemandem Proteste dagegen?“, werfen wir ein. „Ac…
ganz im Gegenteil! Die Amerikaner hatten es ja bereits vorgemacht, das mit
der ‚Geldkasse‘. Erinnern Sie sich an die ‚Kohlespeicher von Ohio‘?“
Richtig – 2018 verbrachte Trump per Dekret dorthin sämtliche Asche der Amis
– in 24 stattliche Holzschuppen. Wer Geld braucht, tätigt seither nur einen
Klick auf „Amazon Prime Ohio“ – und ein Bote reitet per E-Pferd ein, brin…
bargeldloses Geld. „Eine Win-win-Situation für alle“, so die Kanzlerin. Sie
nimmt noch ein Stück Konfekt. „Wir siedelten dann 2025 die Geldkasse
zentral in Dresden an – die Stadt ist wieder hervorragend unter die Leute
gekommen.“
## Frauke Petry, Vorsitzende der Frauen-Union
Wirklich, das Konfekt ist spitze. Wir fassen Mut, bitten die Kanzlerin, uns
zu erörtern, wie sie die AfD durch lange 17 Jahre in ihre heutige
Bedeutungslosigkeit geführt hat. Merkel formt ihre wächsernen Hände zu
einer riesigen Raute, so groß wie die Glaspyramide vor dem Pariser Louvre.
Dann schluckt sie das Konfekt schmatzend herunter und sagt nur einen Satz:
„Ich habe immer gesagt, wir schaffen das.“
Frauke Petry etwa arbeite jetzt als Vorsitzende der Frauen-Union
„ordentlich mit“. Jörg Meuthen kümmere sich um die Kantine im Kanzleramt.
„Und das Volk? Die besorgten Bürger?“, fragen wir neugierig. „Welches
Volk?“, kommt es nüchtern von der Exphysikerin zurück. Stimmt eigentlich.
Neuer Versuch – Deutschland, die EU und die Außenpolitik: ein nebulöses
Thema, über das selbst in gut unterrichteten Zirkeln heute nicht viel mehr
bekannt ist, als dass die Kanzlerin um 2019 herum Erdoğan aus ihrem
persönlichen Adressbuch gestrichen hat.
## Donald, bleib bei deinem Leisten
Merkel klingelt noch mal nach Konfekt. In Windeseile kommt ihre persönliche
Adjutantin, die alterslose Margot Käßmann, mit dem Gewünschten plus Piccolo
zur Hintertür herein und sagt kein Wort. „Nun, Sie wissen, dass ich auch
einen US-Pass habe, zumindest behaupten das führende deutsche
Verschwörungstheoretiker. Das hat Trump sofort schwer beeindruckt. Er hat
ja auch einen pfälzischen Pass.“
Darob sei man beim total verwüsteten G-20-Gipfel in Hamburg 2017, bei dem
die gerade erst eröffnete Elbphilharmonie wie ein Kartenhaus ins Wasser
fiel, auch gleich völlig auf einer Wellenlinie gewesen. „Ich hab gesagt:
Donald, bleib bei deinem Leisten, ich bei dem meinen. Er hat sofort
genickt, danach hab ich nur noch ganz selten von ihm gehört. Meistens über
Dritte.“ Heute lebe der 95-Jährige topsecret als politischer Flüchtling im
Exkanzlerbungalow in Oggersheim. Der wurde kürzlich als interkulturelle
Seniorenresidenz wiedereröffnet.
Wir kommen zum Schluss, Merkel nippt am Piccolo. Bevor sie heute Abend den
Bundesältestenrat trifft, den 2029 das Bundesverfassungsgericht anstatt des
teuren Bundestags und ob der vielen Alten eingesetzt hat, will sie zum Grab
ihrer Mutter im Tiergarten. Erst vorletztes Jahr starb Herlind Kasner,
111-jährig. Bis zuletzt hatte sie Englisch an der VHS unterrichtet.
## Verkleinerte Bundesregierung
Der Bundesältestenrat besteht paritätisch aus Thomas Gottschalk, 91, und
der Witwe von Hubert Burda, Maria Furtwängler, 75. Im wöchentlichen Wechsel
stößt eine Person mit migrantischem Hintergrund dazu, aktuell Wladimir
Kaminer, 74. Auch die Bundesregierung ist stark verkleinert worden: Sie
besteht seit der Bundesältestenratswahl 2033 nur noch aus Frank-Walter
Steinmeier, der Bundesminister ist sowie externer Bundespräsident, und ihr,
Angela Merkel. „Nennen Sie mich Angie.“
Für den Heimweg haben wir ein Stück Konfekt eingesteckt. Angie bringt uns
zum Aufzug. Fühlt es sich so an, das Paradies? Als wir draußen ankommen,
blühen die Landschaften vor dem Kanzleramt weiter vor sich hin. Wir setzen
uns auf eine Parkbank aus Softholz, holen einen schmalen Echtpapierband aus
unserem historischen Jutebeutel. Wir wollen nachlesen, was der Poet E. M.
Cioran zum Thema Paradies beisteuert. „Von Sehnsucht nach dem Paradies
verzehrt, ohne je einen echten Glaubensanfall erlebt zu haben“, steht da.
In diesem Sinne: Hoch die Tassen, Deutschland 2041!
Seit 25 Jahren erscheint die Wahrheit als einzige Satireseite einer
deutschen Zeitung – [1][das wollen wir feiern!]
25 Nov 2016
## LINKS
[1] /Geburtstagssause-2511/!163027/
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Wahrheit Greatest Hits
Die Wahrheit
Schwerpunkt Angela Merkel
Bus
Schwerpunkt AfD
Krankenkassen
Christoph Butterwegge
Bürgerliche Mitte
Martin Luther
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Zoff am ZOB
Wer auf den letzten Drücker vor Abfahrt am Berliner Zentralen
Ommnibusbahnhof eintrifft, dem entgeht ein geharnischtes Sittenschauspiel.
Manipulationsvorwürfe bei AfD in NRW: Tricky Landesliste
Die AfD zeigt sich bei ihrer Landeswahlversammlung tief gespalten. Trotz
Vorwürfen wählt die rechtspopulistische Partei ihre Liste weiter.
Die Wahrheit wird 25: Gesetzlich versicherte Dämonen
Dämonenbefall kommt immer wieder vor. Doch wer hilft in Zeiten der Not? Die
Kirche? Oder die Krankenkasse? Exorzisten sind schwer zu finden.
Die Wahrheit: Der Brötchengeber vom Bellevue
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute ein kleines Poem über
eine Sahneschnecke fürs Schloss Bellevue.
Die Wahrheit: Arme Arschlöcher
Meine Existenz als Arschloch prägt mein Leben. Nun bin ich in der
bürgerlichen Mitte angekommen und treffe auf andere Arschlöcher.
Die Wahrheit: Der Wutluther
Martin sieht rot und haut ein paar Dogmen raus. Aber was steht tatsächlich
in den Thesen des Reformators? Die Wahrheit deckt es schonungslos auf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.