# taz.de -- E-Mail-Roman von Ja, Panik: First World Premium | |
> Zum 10-jährigen Bestehen gönnt sich die Band Ja, Panik ein Buch. Es heißt | |
> „Futur II“ und fördert Widersprüche zwischen Kunst und Leben zutage. | |
Bild: Eine Hälfte von Ja, Panik | |
Was ist Kunst und wo beginnt Leben? Kann man Leben überhaupt zur Kunst | |
machen? Was ist wahr und was ist falsch, was Fakt und was Fiktion? Wie | |
heutzutage Künstler sein, ohne zynisch zu werden? Und wo bleibt eigentlich | |
Andreas Spechtl, Sänger der Band Ja, Panik? Alles schwierige Fragen, das. | |
Aber, die „Gruppe Ja, Panik“, ist nun auch als Autorenkollektiv tätig. Als | |
solches versuchen die Exil-Wiener_innen in Berlin, jene drängenden Fragen | |
in einem Buch zu beantworten – oder besser: in all ihren Dimensionen zu | |
problematisieren, was nun zum zehnjährigen Jubiläum der Band erscheint. | |
„Futur II“, so heißt das Werk, ist weit davon entfernt, reine | |
Bandgeschichte abzuhandeln oder zu den bis jetzt fünf Alben | |
Proberaumanekdoten nachzuliefern. Die gibt es schon auch, aber je weiter | |
man liest, desto mehr Brüche ergeben sich, desto unklarer wird, was hier | |
noch der Wahrheit entspricht und wo Fakten in die Fiktion übergehen. Das | |
ist nur konsequent, denn wenn Ja, Panik für etwas steht, dann für die | |
stilvolle Ablehnung des Authentizitätsgehabes, das viele Pop-Künstler_innen | |
als Marketingstrategie vor sich her tragen. | |
## Unordnung im Bandarchiv | |
Am Anfang von „Futur II“ ist noch alles ganz einfach: Bassist Stefan Pabst | |
geht ins Bandarchiv in Berlin, Sebastian Janata konsultiert die Filiale in | |
Wien, Keyboarderin Laura Landergott führt Interviews mit Persönlichkeiten, | |
die für die Band wichtig sind, an verschiedenen Orten in Europa. Sänger | |
Andreas Spechtl begibt sich per Flugzeug an einen unbekannten Ort, | |
möglicherweise liegt er in den Tropen. Markantes Merkmal seines | |
Aufenthaltsortes: ein Singvogel auf dem Balkon mit einer erstaunlichen | |
Vorliebe für ein Wagner-Motiv. Per E-Mail halten sich die Beteiligten | |
gegenseitig auf dem Laufenden. | |
Die Ansprüche an das Projekt sind hoch, es soll nicht nur die Band | |
erzählen, sondern auch als Selbstvergewisserung funktionieren. In einer der | |
ersten E-Mails schreibt Spechtl, der zuletzt eher solo in Erscheinung trat: | |
„Werde ich hier die Antwort auf die Frage, warum ich eigentlich für diese | |
Band keine Stücke mehr schreibe, finden? Wird es mir wieder einfallen, | |
weshalb ich all diese Lieder geschrieben habe?“ Der erste Schritt, den das | |
Buch dann Richtung Literatur macht, sind in diesem Zusammenhang Reflexionen | |
über ein ewiges Thema des modernen Romans: die Erinnerung. | |
Spechtl, der E-Mails und Archivfunde der anderen immer zusammenfassend | |
kommentiert, arbeitet nicht nur die Bandgeschichte auf, sondern nimmt auch | |
zu grundsätzlichen Fragen betreffs des Künstlerethos Stellung. | |
## Gleichgeschalteter Mist | |
Dabei wird er ganz konkret, was gelegentlich in Berlin-Bashing endet: „Was | |
soll das auch sonst sein, was hier tagein, tagaus in den Hinterhöfen und | |
Ladenateliers fabriziert wird, als absolut gleichgeschalteter Mist, wenn | |
die halbe Kunstwelt ihre Inspiration auf denselben paar Quadratkilometern | |
sucht?“ Spechtl sieht in der Kunstwelt der Hauptstadt hauptsächlich | |
„Siegerkunst“ am Werk, fabriziert von Erb_innen. Sein Vorwurf: Für wen | |
Kunst nicht existenzielle Notwendigkeit ist, der macht auch keine | |
relevante. | |
Während Spechtl über Leben, Kunst und Künstler_innen nachdenkt, begegnen | |
seinen Kollegen ganz andere Probleme. Pabst scheitert im Berliner | |
Bandarchiv an der Unordnung. Außerdem scheint es sich um einen Ort mit ganz | |
außergewöhnlich vielen Ecken zu handeln. Janata schafft es gar nicht bis in | |
die Außenstelle Wien, irgendwie kommt immer wieder ein Exzess dazwischen. | |
Dabei ist die Hauptstadt Österreichs im Gegensatz zur „First World“ Berlin | |
sogar „First World Premium“, wie es an einer Stelle süffisant heißt. Ihre | |
E-Mails erinnern in ihrem Changieren zwischen Leben und Kunst und ihrem | |
Bezug auf die literarischen Moderne stellenweise an die Reisebeschreibungen | |
eines Christian Kracht. | |
Ja, Panik machen mit ihrem E-Mail-Roman „Futur II“ da weiter, wo sie mit | |
dem letzten Album „Libertatia“ aufgehört haben. Sie suchen wie einst die | |
Frühromantiker_innen und die Avantgarden des 20. Jahrhunderts nach dem Ort, | |
an dem die Kunst im Leben aufgeht. Das tun sie nicht nur schriftlich: Auf | |
ihrer Website sind Begleitvideos zum Buch ansehbar, auf einem | |
Staatsakt-Sampler wird ein Song veröffentlicht, der ebenfalls den Titel | |
„Futur II“ trägt. Es ist die vielleicht kürzeste Formel, auf die sich das | |
Versprechen der modernen Kunst bringen lässt. Nämlich dass das, was im | |
Kunstwerk vollendet ist, die Gegenwart auf die Zukunft hin öffnet. Für die | |
Dauer der Lektüre sind Andreas Spechtl und Ja, Panik in dieser Zukunft | |
schon angekommen. „Futur II“ heißt: vollendete Zukunft. | |
4 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Elias Kreuzmair | |
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