# taz.de -- Andreas Spechtl über sein neues Album: „Eine Aushöhlung von inn… | |
> Der Berliner Musiker Andreas Spechtl hat „Thinking About Tomorrow, And | |
> How To Build It“ in Teheran aufgenommen. Dort ist privat vieles möglich, | |
> sagt er. | |
Bild: „Wer im Iran ein öffentliches Konzert spielt, braucht eine Genehmigung… | |
taz: Herr Spechtl, Ihr Soloalbum heißt „Thinking About Tomorrow, And How To | |
Build It“. Beinflusst Musik die Zukunft? | |
Andreas Spechtl: Meine ersten Clash-Platten im tiefsten Burgenland haben | |
mich schon auf neue Gedanken gebracht. Aber ich glaube immer weniger dran, | |
dass fertige Kunstprodukte etwas bei den Menschen ändern. Ich lege im Titel | |
die Emphase auf das Wort „thinking“. Das wäre vielleicht das Ja-Panik-Ding, | |
ein Album mit Visionen vollzutexten. Ich wollte 40 Minuten schaffen, die | |
nicht voller Vorhersagen für die Zukunft sind. Darum ist das auch relativ | |
instrumental geblieben. Es gibt genug Alben von jungen weißen Künstlern, | |
die eine Zukunft entwerfen – habe ich selber auch schon gemacht, muss nicht | |
noch mal sein. | |
Bei Ja, Panik sind Sie Gitarrist und Texter, jetzt bedienen Sie viele | |
Instrumente. | |
Momentan habe ich mich von der Gitarre befreit. Mehr interessieren mich | |
Rhythmus und Schlagzeug. Wenn man den Ausgangspunkt im Rhythmischen sieht, | |
komponiert man ganz andere Musik. Das hört man daran, was ich solo mache: | |
Es werden eher Tracks daraus. Mein Selbstbewusstsein als Schlagzeuger habe | |
ich an der Seite von Christiane Rösinger gelernt. Wenn ich mir das erste | |
Rösinger-Album anhöre, denke ich: Was ein Gerumpel! Aber beim Trommeln habe | |
ich das erste Mal künstlerisches Selbstbewusstsein entwickelt. Weil ich | |
plötzlich nicht mehr Songwriter war, wie bei Ja, Panik, wo mir immer die | |
Texte am wichtigsten waren – auf einmal war ich Musiker. | |
Und als solcher sind Sie für Ihr zweites Soloalbum nach Teheran gereist und | |
setzen sich auch mit persischen Musikinstrumenten auseinander. Wie kam es | |
dazu? | |
Ich habe bei Saba Alīzādeh gewohnt. Sein Vater, Hossein Alīzādeh, ist einer | |
der bekanntesten lebenden klassischen persischen Musiker. Ich war in einem | |
Haushalt voller Instrumente. Mich hat gar nicht so interessiert, mir | |
wirklich so ein Instrument anzueignen – die sind wahnsinnig komplex. | |
Überall, wo ein persisches Instrument zu erkennen ist, kam Saba ins Spiel. | |
Ich habe die Instrumente eher wie Samples bearbeitet. Das heißt, ich habe | |
das mit einem Rekorder aufgenommen und das dann in meinen Computer | |
eingespeist. Viele Dinge erkennt man gar nicht mehr. Aber es gibt Sounds, | |
bei denen wüsste ich gar nicht, wie ich die so hingebaut hätte, gerade im | |
mikrotonalen Bereich. | |
Sie reisten zwei Mal nach Teheran, im Winter 2016/2017 und nochmal im Mai. | |
Hat sich dazwischen etwas verändert? | |
Bei meiner zweiten Reise hat sich mir ein anderes Bild gezeigt. Da wurde | |
gerade der relativ moderate Präsident Rohani zum zweiten Mal gewählt. Die | |
Einreise war einfacher. Vor allem unter den jüngeren Leuten gab es da eine | |
regelrechte Hochstimmung. Alle haben gesagt: Da tut sich jetzt was. | |
Dennoch gibt es im Iran weltpolitisch nach wie vor viele | |
Unsicherheitsfaktoren und viele Restriktionen gegen Kunst. | |
Ja, es ist ein Land in einer unsicheren Gegend, aber dennoch ist es | |
innerhalb der Krisenregion ein stabiles Land. Um zwei in der früh in | |
Neukölln fühl ich mich unsicherer als in Teheran. Der Iran ist eins der | |
Länder, aus dem sich die ganze europäische Angst speist. Ich habe vor allem | |
mitbekommen, wie viel mittlerweile in einer Stadt wie Teheran möglich ist. | |
Gleichzeitig haben sich gar keine Gesetze gelockert. Das ist in einem Land, | |
wo die Basis der Gesetze Religion ist, unheimlich schwierig. Du kannst | |
nicht von einem Tag auf den anderen sagen, dieses oder jenes gilt nicht | |
mehr, wenn alles darauf zurückgeführt ist, dass das mal irgendein Herrgott | |
gesagt hat. Im Moment ist so viel möglich, weil Gesetze gerade nicht mehr | |
so exekutiert werden. Es herrscht eine Aushöhlung von innen. | |
Wie sieht die genau aus? | |
Eine große Rolle spielen private Räume, sie verarbeite ich in „Hidden | |
Homes“. Da herrschen andere Gesetze. Das Erste, was eine Frau macht, wenn | |
sie nach Hause kommt, ist, den Schleier abzulegen, und da gibt es auch | |
Alkohol – aber das geht halt nicht im öffentlichen Raum. Genau wie im Taxi: | |
Die Stadt ist durchzogen von kleinen Enklaven, wo sich Leute treffen und | |
Dinge passieren. In einer Stadt, die nach außen hin sehr verschlossen | |
wirkt. | |
Finden Konzerte und Musikaufführungen ebenfalls im privaten Rahmen statt? | |
Wer im Iran ein öffentliches Konzert spielt, braucht eine Genehmigung für | |
alles: Texte, Musik – wenn man die Überprüfung nicht will, ist man schnell | |
in privaten Räumen, an so einer halb-legalen Sphäre. Ich habe in Teheran | |
insgesamt zehn Konzerte gegeben. Das war meist relativ unproblematisch, | |
wenn ich solo gespielt habe und es relativ instrumental war. Problematisch | |
war es, als ich zwei Konzerte mit Ghazaleh gespielt habe, einer Künstlerin | |
aus Teheran, die auch auf meinem Album singt. Und wenn ich als Mann mit | |
einer Frau spiele, die noch dazu singt und nicht verschleiert ist, ist das | |
höchst illegal. | |
Ist die Zusammenarbeit mit Ihnen für die KünstlerInnen ein Problem? | |
Für Saba nicht, Ghazaleh steht nicht mit vollem Namen auf dem Album. | |
Blendet man die Illegalität irgendwann aus? | |
Wenn du Teheraner Künstlerin bist, denkst du nicht ständig drüber nach. | |
Gleichzeitig sehen es Ghazaleh und Saba durchaus kritisch, wenn jemand | |
rausgeht und sich als verfolgter Künstler verkauft. Ihnen liegt etwas an | |
der Stadt. Wenn alle gehen, dann ändert sich nie etwas. | |
15 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Diviam Hoffmann | |
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