# taz.de -- Christiane Rösinger auf Lesereise: Der Elan des Alleinseins | |
> Sie ist eine Berliner Institution: Christiane Rösinger, Musikerin, | |
> Sängerin, Betreiberin eines Plattenlabels. Jetzt stellt sie ihr Buch | |
> „Liebe wird oft überbewertet“ vor. | |
Bild: Christiane Rösinger freut sich in der Markthalle in der Kreuzberger Püc… | |
„Liebe wird oft überbewertet“: Irgendwie macht dieser schöne Satz gute | |
Laune. 1995 war er die Refrainzeile eines fröhlich dahinschrammelnden Songs | |
der Lassie Singers, heute ist er Titel eines nicht minder fröhlich | |
dahinplaudernden – nun ja, sagen wir vorläufig: Sachbuchs der ehemaligen | |
Frontfrau Christiane Rösinger. | |
Frau Rösinger, das weiß man sogar von Prenzlauer Berg aus, ist eine | |
Kreuzberger Institution. Sie hat viele Jahre im Indie-Pop-Geschäft | |
verbracht, erst mit den Lassie Singers, dann mit der Band Britta, zuletzt | |
als Solistin in jugendlicher Begleitung, etwa durch den Ja, | |
Panik!-Gitarristen Andreas Spechtl. | |
Sie hat ein Plattenlabel betrieben und hat mit anderen zusammen in den | |
Neunzigern die Flittchenbar am Ostbahnhof erfunden und dann vor einem Jahr | |
am Kottbusser Tor wiederbelebt. Sie hat um die Jahrtausendwende als | |
Chronistin für die Berliner Seiten der FAZ gearbeitet, Konzertkritiken und | |
Kolumnen für die taz und für den Radiosender FM4 verfasst und irgendwann | |
angefangen, Bücher zu schreiben: „Liebe wird oft überbewertet“ ist ihr | |
zweites Buch. | |
## Fünf Tage Interviews über Liebe | |
Wir treffen uns im Weltrestaurant in der Pücklerstraße, auch so eine | |
Kreuzberger Institution, in der Leander Haußmann seine 80er-Jahre-Hommage | |
und Sven-Regener-Verfilmung „Herr Lehmann“ gedreht hat. Christiane | |
Rösinger, die seit 28 Jahren im Haus nebenan wohnt, sitzt hier nun schon am | |
fünften Tag in Folge, um Interviews zur überbewerteten Liebe zu geben. | |
Ich frage gleich, ob das Buch eine Art Eigengehirnwäsche gewesen sei; | |
schließlich gehen mir von ihrem letzten Album „Songs of L. and Hate“ noch | |
Zeilen wie „Das Pech der Liebe klebt an mir wie Dreck“ oder, schlimmer | |
noch, „Bist du einmal traurig und allein / Gewöhn dich dran, es wird bald | |
immer so sein“ durch den Kopf. | |
„Ich dachte, ich erfinde für die Interviews eine Kunstfigur, und alle | |
wirklich persönlichen Fragen blocke ich ab“, lacht sie. „Klappt aber | |
nicht.“ Dann erzählt sie, wie sie als badische Bauerntocher mit Anfang | |
zwanzig schwanger wurde und, ganz verliebt in ihren Freund, entschied: „Das | |
machen wir jetzt!“ | |
Rösinger zog, da das Geld knapp war, mit Hund, Freund und Baby zurück in | |
den Bauernhof ihrer Eltern – „aber dieses bürgerliche Zusammensein mit | |
Kind, das hab ich mit 21 schon nicht ausgehalten“. Sie trennte sich (und | |
ist heute noch gut befreundet mit dem Vater ihrer Tochter), machte auf dem | |
zweiten Bildungsweg das Abitur nach, begann eine Buchhändlerlehre und ging | |
nach Berlin. | |
„Ich habe auch keinen zweiten Familienanlauf genommen“, sagt sie. „Ich | |
wollte das wirklich nie, dieses Familiending. Ich dachte auch später immer | |
wieder, ich ersticke darin. Oder ich hab mir gleich Leute ausgesucht, die | |
so schwierig und kompliziert waren, dass wir gar nicht erst in die | |
Verlegenheit größerer Nähe kamen. Häuslichkeit war mir immer ein Graus.“ | |
## Anderthalb Jahrzehnte Müdigkeit | |
Literatur studieren, ausgehen, Band gründen: Wie ging das, alleine mit | |
Kind? „Ich find’s wirklich nicht so schlimm, allein ein Kind großzuziehen�… | |
beruhigt mich Rösinger, „auch ohne Geld, wohlhabende Eltern oder Unterhalt | |
vom Kindsvater.“ Erst bezog sie Sozialhilfe, später BaföG und Wohngeld, | |
jobbte wochenends bei Karstadt am Hermannplatz, „aber klar, ein totales | |
Armutsrisiko ist das schon“. | |
Einmal hat ihre Mutter ihr eine Waschmaschine spendiert, damit sie nicht | |
immer Kind und Kegel aus dem vierten Stock in den Waschsalon und wieder | |
zurückschleppen musste. Na gut, anstrengend war es auch: „Nachts war ich | |
oft weg, kam um 6 Uhr heim, bin um 7 wieder aufgestanden, weil das Kind zur | |
Schule musste. Ich war zwischen 1981 und 1994 immer nur müde.“ | |
Sie wundert sich über weibliche Verhaltensweisen, die sie heute in ihrem | |
Umfeld beobachtet, etwa das ewige Abwägen vor dem Kinderkriegen: „Ist das | |
jetzt der richtige Mann, der richtige Zeitpunkt? Die Leute haben gar keinen | |
Mut mehr, so was anzupacken.“ | |
Anfang der 80er, erinnert sich Rösinger, lag der 70er-Jahre- Feminismus | |
noch in der Luft und mit ihm die Überzeugung, dass man mit niemandem | |
zusammenleben muss, den man nicht liebt – auch nicht um der Kinder willen: | |
„Wenn ich jetzt mit 36-Jährigen rede, dann staune ich, wie negativ die über | |
ihre Beziehungen sprechen, um dann zu sagen: ’Na ja, vielleicht kriegen wir | |
noch ein Kind.‘ Das ist für mich unvorstellbar!“ | |
Auch Charlotte Roches „Schoßgebete“, findet Rösinger, seien dafür | |
symptomatisch, wie Frauen ihr Leben wieder bereitwillig der | |
Familienideologie unterordnen. Und bekräftigt noch mal lachend in mein | |
schon ganz ehrfurchtsvolles Gesicht: „Ich denk halt, mein Gott, man kann | |
ein Kind auch allein großziehen. Mit dieser Überzeugung fühl ich mich | |
manchmal schon wie eine Trümmerfrau!“ | |
## Liebe als Sinnstifter | |
Für ihr Buch hat Christiane Rösinger, flankiert von tagebuchartigen | |
Beobachtungen, jede Menge Argumente zusammengetragen, die untermauern, dass | |
die RZB (Romantische Zweierbeziehung) nicht unbedingt glücklicher macht als | |
das Alleinsein, etwa dass, nur zum Beispiel, die Ehe zwar für Männer, aber | |
keinesfalls für Frauen gesünder ist als das Singleleben. | |
Vor allem aber hat sie sich durch die aktuelle Beziehungsratgeberliteratur | |
gelesen, um sie genüsslich in ihre ideologischen Bestandteile zu zerlegen. | |
Denn das Paarmarketing werde immer aggressiver, der Ratgebermarkt floriere: | |
„Die Liebe ist doch das Einzige, was noch zählt. Der Kapitalismus ist kalt, | |
die Religion kann uns nicht trösten, da wird die Partnerschaft zum | |
Sinnstifter. Die Liebe wird uns als letzte Bastion gegen den Kapitalismus | |
und unsere neoliberale Gesellschaft verkauft – ich denke aber eher, sie ist | |
ein Schmiermittel, um das alles ertragen zu können.“ | |
## Ich war sehr dafür, mich zu verlieben | |
Na gut. Alleine geht auch, und besser als unglücklich zu zweit ist es | |
allemal. Aber gibt es auch Vorteile des Alleinseins, die mehr als das | |
kleinere Übel sind? Christiane Rösinger denkt kurz nach und sagt erst mal: | |
„Ich war immer, trotz der Ablehnung des Pärchenwesens, sehr dafür, mich zu | |
verlieben. Hab auch immer viele Lieder darüber geschrieben.“ Aber: „Das | |
Schöne am Alleinleben ist, dass man so viel macht. Natürlich auch, weil es | |
ja immer ein bisschen langweilig ist, wenn man grade nicht verliebt oder | |
traurig ist. Man muss sich also selber etwas ausdenken, das das Leben | |
interessant macht: eine neue Band, ein neues Projekt, eine neue Bar … Wenn | |
ich dann mal eine Beziehung hatte, hat dieser Elan sofort nachgelassen.“ | |
Aber wieso hindert die RZB Männer nur selten daran, produktiv zu sein, | |
während es bei Frauen oft umgekehrt ist? „Beziehungsfrau sein zieht | |
unheimlich viel Energie ab. Selbst wenn die Beziehung gut ist. Man achtet | |
auf den anderen, denkt für zwei: Amüsiert er sich gerade, wie geht es ihm, | |
was denkt er jetzt? Die vorbildliche Beziehungsfrau stellt immer das | |
gemeinsame über das eigene Wohl, selbst wenn ihr Partner das gar nicht | |
erwartet“, glaubt Rösinger, die ansonsten sehr darauf geachtet hat, das | |
Genderthema aus ihrem „Pamphlet“ heraushalten. | |
Womit frau dann doch wieder bei sich selbst und der Verantwortung für das | |
eigene Glück wäre: ob nun allein oder zu zweit. Rösinger, deren „emotionale | |
Grundversorgung durch Tochter, Enkel, Freundeskreise, Bandkollegen und | |
Familie gedeckt ist“, sieht das gelassen. | |
## Wohlstandskinder warten auf ihr Erbe | |
Wir reden noch eine ganze Weile über Generationen- und | |
Geschlechterunterschiede und, obwohl Christiane Rösinger sich eigentlich | |
geschworen hat, dazu nichts mehr zu sagen, über das prekäre Wirtschaften | |
als kreative Freiberuflerin. | |
„Die meisten, die über Prekarisierung geschrieben haben, waren Kinder | |
wohlhabender Eltern, wohnten in Eigentumswohnung, hatten ein Erbe zu | |
erwarten … in meinem künstlerischen Milieu ist es total selten, dass jemand | |
aus proletarischem oder ländlichem Umfeld kommt, die meisten stammen aus | |
dem gehobenen Bürgertum. Das war ein total verlogenes Modethema.“ | |
Auch für ihre Kritik am bürgerlichen Liebesmodell hat dieses Umfeld | |
Konsequenzen: Einerseits weiß Rösinger, was reale Existenzängste sind. | |
Andererseits sind ihr auch die hysterischen Abstiegsängste des Mittelstands | |
erspart geblieben und damit vielleicht auch einer der Zwänge zur | |
Zweisamkeit. | |
Die Pärchenkritik will Christiane Rösinger jetzt erst mal hinter sich | |
lassen, bevor ihr das noch als „Lebensthema“ angedichtet wird. Ihr nächster | |
Plan ist eine Reise nach Baku, zum Eurovision Song Contest. Mit dem VW-Bus | |
und Claudia Fierke, einer Freundin und Gitarristin der Band. Die Route wird | |
über Budapest, Belgrad, Sofia und Istanbul am Schwarzen Meer entlang nach | |
Tiflis und dann weiter nach Aserbaidschan führen. Auftrittsmöglichkeiten | |
hat sie organisiert, der Buchvertrag ist in Arbeit. Sie freut sich. In | |
einer RZB wäre sie auf „diese Schnapsidee“ vielleicht gar nicht gekommen. | |
17 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Eva Behrendt | |
## TAGS | |
Pop | |
Singer-Songwriter | |
Musik | |
Schwerpunkt Eurovision Song Contest 2019 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Andreas Spechtl über sein neues Album: „Eine Aushöhlung von innen“ | |
Der Berliner Musiker Andreas Spechtl hat „Thinking About Tomorrow, And How | |
To Build It“ in Teheran aufgenommen. Dort ist privat vieles möglich, sagt | |
er. | |
Christiane Rösingers neues Album: Mit beiläufig charmanter Ironie | |
Von Eigentumswohnungen und alternden Frauen: Das großartige Album „Lieder | |
ohne Leiden“ schmerzt nicht, sondern spendet Trost. | |
Andreas Spechtls Album „Sleep“: Schläfrig im Spätkapitalismus | |
„Sleep“ heißt das Solo-Debüt von Andreas Spechtl. Man kennt ihn als Säng… | |
der Band „Ja, Panik“ und Musikpartner von Christiane Rösinger. | |
Christiane Rösingers Buch „Berlin-Baku“: Zwei Frauen reisen durch die Welt | |
Absurde Begegnungen und Probleme beim Kaffeebestellen: Christiane Rösinger | |
fuhr mit ihrem Bus nach Aserbaidschan zum ESC. In ihrem neuen Buch | |
beschreibt sie die Reise. | |
Musikpreis für Christiane Rösinger: Hier gibt es nichts zu hören! | |
Am Donnerstag muss Christiane Rösinger den Musikpreis "Echo" bekommen! Wenn | |
sie cool ist, lehnt sie ihn ab – er wird von 40-jährigen Männern verliehen. | |
Christiane Rösingers Debüt-Roman: Weg vom Spargelacker | |
Christiane Rösinger, taz-Autorin und Frontfrau der Band Britta, hat in "Das | |
schöne Leben" ihre Geschichte als Roman aufgeschrieben. |