# taz.de -- Richtungswechsel in Brasilien: Biobauern in Gefahr | |
> Der konventionelle Anbau hat sich mit Unterstützung der Regierung rasant | |
> ausgebreitet. Ökobauern haben keine Lobby, um ihre Felder zu schützen. | |
Bild: Ein brasilianischer Biobauer hält einen Brokkoli-Setzling | |
Verȇ taz | Zufrieden geht Décio Alceu Cagnini am Rand eines seiner Felder | |
entlang. Er zeigt auf den fast reifen Blumenkohl, den Salat, dahinter | |
wachsen Bananenstauden. „Alles biologisch angebaut, seit Jahren habe ich | |
hier keinen Tropfen Gift gesprüht“, sagt Décio. Sein Hof liegt im | |
südbrasilianischen Bundesstaat Paraná, nahe der Kleinstadt Verê. „Wir haben | |
Glück, hier sind die fruchtbarsten Böden des ganzen Landes, Unwetter gibt | |
es kaum.“ Außer diesen Winter. Im Juli habe es kurz gefroren, ein Teil der | |
Bananenernte sei deswegen hinüber, erklärt der Landwirt. | |
Doch seine größte Sorge gilt nicht dem Wetter. Décios Nachbarn bauen | |
konventionell an, mit Pestiziden und oftmals auch genetisch verändertem | |
Saatgut, dass sich seit gut zehn Jahren in Brasilien rasant ausbreitet. | |
Soja, Mais und Weizen gibt es mittlerweile fast nur noch in der | |
genveränderten Version. Die ohnehin laschen Vorschriften, um natürliche | |
Pflanzungen vor dem Pollenflug von Genfeldern zu schützen, werden kaum | |
eingehalten. Bisweilen haben die Felder nicht mal zwei Meter Abstand. | |
Ökobauern haben in Brasilien keine Lobby, um sich zu wehren. Unter der | |
neuen Regierung schon gar nicht. Die Agrarlobby im Parlament, die sich für | |
Großgrundbesitzer, -bauern und Agrobusiness einsetzt, spielte bei der | |
Absetzung der Mitte-links-Präsidentin Dilma Rousseff Ende August eine | |
wichtige Rolle. Der neue Präsident Michel Temer löste als Erstes das | |
Ministerium für Landwirtschaftliche Entwicklung auf, das sich unter | |
Rousseff und ihrem Vorgänger Lula da Silva um kleinbäuerliche Betriebe | |
gekümmert hatte. | |
Décio Cagnini lässt sich davon nicht abschrecken. Biobauern gelten in | |
Brasilien ohnehin als Exoten: „Sie nennen uns Verrückte, sind überzeugt, | |
dass wir mit unseren organischen Lebensmitteln auf keinen grünen Zweig | |
kommen werden“, sagt Décio schmunzelnd. Er gehörte zu den „normalen“ | |
Bauern, bis ihm Gift und Knebelverträge der Agrarkonzerne zu viel wurden. | |
## Bio auch im Supermarkt | |
Dann nahm Décio Kontakt zu Capa auf, einer vor allem im Süden Brasiliens | |
starken Organisation, die Kleinbauern unterstützt und motiviert, biologisch | |
zu produzieren. Reicher ist Décio nicht geworden, aber zufriedener: | |
„Biologischer Anbau ist aufwändig, viele haben nach kurzer Zeit wieder | |
aufgegeben. Mir geht es nicht um mehr Einkommen – aber ich esse jetzt | |
gesünder und habe beim Verkauf meiner Produkte ein gutes Gewissen.“ | |
Ohne Capa wäre der Umstieg kaum möglich gewesen, sagt Décio. Seit den 70er | |
Jahren ist die NGO, die auf Initiative der lutherischen Kirche entstand, | |
aktiv. Ursprünglich sollten deutschstämmige Siedler, deren Familien vor | |
oder nach dem Ersten Weltkrieg dorthin auswanderten, unterstützt werden, | |
damit sie nicht in weniger dicht besiedelte Gebiete abwandern, wo die | |
Regierung subventioniertes Land anbot. „Der Ansatz von Capa war so | |
erfolgreich, dass brasilianische Kleinbauern längst die Mehrheit der | |
Klientel darstellen“, sagt Jhony Luchmann, Koordinator des Projekts in | |
Verê. | |
Auch für Capa wird es unter der neuen Regierung nicht leichter – | |
schließlich lebt sie von staatlichen Geldern. Zum Konzept von Capa gehört | |
auch die Gründung von Kooperativen: Inzwischen verkaufen die Biobauern | |
nicht mehr nur auf den wenigen Ökomärkten, sondern auch in Supermärkten. | |
Das meiste setzen die Capa-Bauern bei staatlichen Institutionen ab, so beim | |
Schulspeisungsprogramm PNAE. Die Absatzgarantie ist zur wichtigen Stütze | |
für Biolandwirte geworden. Doch Experten fürchten, dass die neuen Herren in | |
Brasilia sie kippen könnten. | |
Capa fördert inzwischen nicht mehr nur kleinbäuerliche Betriebe. „Aufgrund | |
der harten Arbeit und ihrer geringen Wertschätzung hält die Landflucht an. | |
Vor allem Jugendliche und Frauen haben angesichts der patriarchalen | |
Familienstrukturen keine Perspektive“, erklärt Ingrid Giesel, | |
Capa-Koordinatorin in der Stadt Erexim. Die NGO unterstützt inzwischen auch | |
die Schaffung von Agrarschulen. Das Ziel ist klar, sagt Giesel: „Wenn wir | |
Alterung und Vermännlichung nicht aufhalten, wird die Landflucht zunehmen. | |
Gleichzeitig gehen Migranten in städtischen Armenvierteln einem ungewissen | |
Schicksal entgegen.“ | |
3 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Behn | |
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