# taz.de -- Festival „Loop“: Schallkanonen und Rauchpanzer | |
> Das englische Künstlerkollektiv Audint nähert sich beim Loop Festival der | |
> historischen Verwendung von Klang und Musik für militärische Zwecke. | |
Bild: „Delusions of the Living Dead“ inszeniert die militärische Nutzung v… | |
Der dialektische Blick lehrt: In allem Guten steckt immer auch etwas Böses. | |
Das gilt auch für die Musik. Vor allem, wenn sie nicht als Genussmittel, | |
sondern als Waffe verwendet wird. Als solche eignet sie sich ziemlich gut, | |
wie etwa die per Dauerschleife abgespielte Popmusik, mit dem das US-Militär | |
Insassen des Gefangenenlagers im kubanischen Guantánamo gefoltert hat. | |
Weniger martialisch, dafür aber mit ähnlichen Intentionen verbunden ist der | |
Ultraschallsender „The Mosquito“, der vor britischen Einkaufszentren zum | |
Einsatz kommt. Dabei werden ultrahohe Töne ausgestrahlt, um Jugendliche vor | |
dem Herumlungern abzuhalten. Dass mit dem Alter die Wahrnehmungsfähigkeit | |
hoher Frequenzen nachlässt, macht den Sender zum perfekten Instrument. Töne | |
ab einer Höhe von 18 Kilohertz sind nur noch für Menschen unter 25 Jahren | |
hörbar. | |
Den LRAD-Schallkanonen kann sich wiederum niemand entziehen. 2014 wurden | |
sie bei den antirassistischen Demonstrationen in Ferguson verwendet, um | |
Menschenmengen auseinanderzutreiben. Sie gehören zwar zu den „nicht | |
tödlichen Waffen“, sind aber durchaus gefährlich. | |
Ihr Schalldruck erreicht bis zu 180 dB – das ist mindestens so laut wie ein | |
Düsentriebwerk in wenigen Metern Entfernung. Und da der Schall direkt auf | |
den Körper trifft, macht er ihn nicht nur bewegungsunfähig, sondern | |
induziert auch Atemnot, Schwindel und Brechreiz. | |
Mit dieser Art der akustischen Kriegsführung beschäftigt sich das englische | |
Künstlerkollektiv [1][Audint], das derzeit aus dem Philosophen, DJ und | |
Gründer des Labels „Hyperdub“, Steve Goodman, dem Soundforscher Tobi Heys, | |
Souzanna Zamfe und Patrick Defaste besteht. Ihr jüngstes Werk, „Martial | |
Hauntology“, das ein 112-seitiges Buch mit Illustrationen und einer | |
Doppel-LP umfasst, nähert sich auf verschroben-spannende Weise der | |
militärischen Verwendung von Schall und Musik in den letzten 70 Jahren. | |
Es geht etwa um die „23rd Special Troops“, einen geheimen Sonderverband des | |
US-Militärs im Zweiten Weltkrieg, auch „Ghost Army“ genannt, der darauf | |
spezialisiert war, feindliche Truppen zu verwirren. Mit riesigen | |
Lautsprechern wurde der Klang von Panzern und Artilleriefeuer abgespielt, | |
um eine Geräuschkulisse von 30.000 Soldaten zu simulieren, während | |
höchstens ein Zehntel wirklich anwesend waren. | |
Auch im Vietnamkrieg setzten die US-Streitkräfte auf psychologische | |
Kriegführung. Bei der „Operation Wandering Soul“ wurden nachts von | |
Flussbooten und Hubschraubern aus Aufnahmen buddhistischer | |
Bestattungsmusik, verzerrte Geräusche und Stimmen von vermeintlichen Toten | |
ausgestrahlt, die den Vietcong demoralisieren sollten. Hintergrund war der | |
buddhistische Glaube an die „irrenden Seelen“, nach dem die Toten in ihrer | |
Heimat bestattet werden müssen, damit sie nicht für immer als Geister | |
umherwandeln. | |
Auch die Installation „Delusions of The Living Dead“, die Audint im Rahmen | |
des [2][„Loop“]-Festivals im Funkhaus Nalepastraße zeigt, dreht sich um | |
Geister. Auf Bildschirmen sind handgezeichnete Animationen zu sehen, die | |
mit einem mal subkutanen, mal magenerschütternden Soundtrack unterlegt | |
sind, während eine Stimme eine Episode aus dem Leben von Hypolite Morton, | |
Bill Arnett und Walter Slepian erzählt. | |
1949 reisten sie nach Paris, auf den Spuren des Neurologen Jules Cotard, | |
der Ende des 20. Jahrhunderts das Cotard-Syndrom entdeckte. Eine Art Wahn, | |
bei dem die Betroffenen glauben, tot zu sein oder ihre inneren Organe | |
verloren zu haben – und den die Klangforscher mit einer speziellen | |
Schallplatte selbst erzeugen wollten. | |
Die unheimliche, fast surreale Story basiert auf realen Fakten – und zieht | |
ihre Feedbackschleife in die Gegenwart. Zumindest, wenn man den nötigen | |
Zynismus aufbringt, einen roten Faden zwischen dem obskuren Vorhaben der | |
Forscher und heutigen Clubs wie dem Berghain zu knüpfen, deren Besucher | |
manchmal wirken wie eine Horde tanzender Zombies. | |
Dass die Installation bei allem empirischen Anspruch sehr mystisch anmutet | |
und oft an das unheimliche Hintergrundrauschen in David-Lynch-Filmen | |
erinnert, liegt wohl auch an der speziellen Ästhetik. Sie ist geschult an | |
Sonic Fiction, einem vom britischen Autor Kodwo Eshun im Buch „Heller als | |
die Sonne“ geprägten Begriff. | |
Mit diesem beschrieb er stetig wechselnden Körperzustände beim Hören von | |
Drum&Bass oder dem außerweltlichen Jazz von Sun Ra, aber auch spekulatives | |
historisches Sampling betreibt, indem er das Mississippidelta nach | |
Düsseldorf verlegt. | |
Auch Audint bedient sich eines interdisziplinären Werkzeugkastens, der | |
besonders im Zeitalter der Maximalzerstreuung angemessen erscheint, weil | |
historische Fakten mit popkulturellen Verweisen, philosophischer | |
Spekulation, Film und nicht zuletzt Sound verschaltet wird. | |
Es ist kein Zufall, dass die Installation Nebelmaschinen und ein | |
Soundsystem umfasst. Clubmusik ist für die Sonic Fiction eine Art | |
akustische Erkenntnistheorie – liegt doch zwischen den Subbässen im | |
Dubstep, die den Brustkorb vibrieren lassen, und den Schallkanonen, also | |
zwischen Genuss und Qual, oft nur ein schmaler Grat. | |
Während das Loop Festival Klang und Musik im Funkhaus auf abstrakter Ebene | |
erforscht, wird es in der [3][Volksbühne] am Wochenende konkret: Ableton | |
und das CTM Festival laden am Freitag zu einer vielfältigen elektronischen | |
[4][Konzertnacht], die das gesamte Haus bespielt und progressive Positionen | |
zeitgenössischer elektronischer Musik zusammenbringt – mit Konzerten, | |
Performances und DJ-Sets u. a. von Nonotak, Chino Amobi, Elysia Crampton, | |
DJ Earl, Fatima al Qadiri, Why Be. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
4 Nov 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://audint.net/ | |
[2] https://www.ableton.com/de/blog/follow-loop-2016/ | |
[3] https://www.volksbuehne-berlin.de/ | |
[4] https://www.volksbuehne-berlin.de/praxis/hoeren_ctm_x_ableton/?id_datum=108… | |
## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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elektronische Musik | |
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