# taz.de -- Fußball-WM 2022 in Katar: Der Druck zeigt langsam Wirkung | |
> Die Unterbringung von Arbeitern, die Sicherheit auf Baustellen und die | |
> Freizügigkeit werden besser. Doch die Mängelliste in Katar bleibt lang. | |
Bild: Arbeiter auf einer Baustelle in Doha | |
DOHA taz | Katar reagiert sehr wohl auf [1][Kritik an der Planung für die | |
Fußball-WM 2022]: mit Charmeoffensiven, mit Gesetzesänderungen und – | |
tatsächlich! – mit Verbesserungen. „Acht Stadien und 40 bis 42 | |
Trainingsplätze für die Teams sollten reichen für eine WM mit 32 | |
Teilnehmern“, nimmt Nasser al-Khater, Nummer zwei des | |
Organisationskomitees, ein wenig vom ursprünglich geplanten Gigantismus | |
weg. „Ich denke, wir werden uns mit der Fifa darauf einigen können.“ Der | |
Weltfußballverband wollte ursprünglich 16 Stadien, mittlerweile noch neun. | |
64 Trainingsplätze für die WM-Teams waren ebenfalls gefordert. | |
Doch der Golfstaat leidet unter dem gesunkenen Ölpreis. Manager von | |
Privatfirmen und Regierungsangestellte sprechen anonym von Etatkürzungen | |
bis zu 50, 60 Prozent. Symbolprojekte wie Sharq Crossing, eine gigantische | |
Tunnel- und Brückenkonstruktion von Santiago Calatrava, die die West Bay | |
durchschneiden sollte, sind auf Eis gelegt. Auch deutsche Firmen wie | |
Hochtief mussten die Einstellung bereits vergebener Projekte hinnehmen. | |
An den Schlüsselbauten der WM wird es aber keine Einschränkungen geben, | |
verspricht al-Khater. „Wir haben uns für attraktive, aufwendige Arenen | |
entschieden. Es wird weder am Design noch an der Ausführung Abstriche | |
geben.“ Die Kosten pro Stadion bewegten sich im Bereich zwischen 150 und | |
700 Millionen Euro. Die WM-Bauten haben Priorität im Land. | |
Wenn aber die Fifa auf ein neuntes Stadion verzichtete, käme das dem | |
Organisationskomitee entgegen, denn es hat mit steigenden Kosten zu | |
kämpfen. „Wenn wir drei statt sechs Männer in einem Raum unterbringen, | |
brauchen wir die doppelte Kapazität an Unterkünften“, sagt al-Khater. „Das | |
müssen wir erst einmal bauen.“ | |
## Reduzierte Privatsphäre | |
Bei der Baustelle des Al-Bayt-Stadions in al-Chaur sind die Arbeiter in | |
Vier-Mann-Zimmern untergebracht. Das liegt über der ursprünglichen | |
Selbstverpflichtung von sechs Mann pro Raum und weit unter dem | |
landesüblichen Standard von acht bis zehn Personen. Privatsphäre ist auch | |
hier nur in ihrer äußersten Reduktion zu erreichen: Tücher hängen von der | |
Decke herab und teilen das Zimmer in vier Kabinen von der Grundfläche des | |
Bettes. Immerhin hat jeder Arbeiter seinen eigenen Schrank mit | |
verschließbarem Safe. | |
Auch auf anderen Problemfeldern hat sich etwas getan. Die Männer, die an | |
der Gebäudekante von Block G, dem ersten Sektor des wachsenden Stadions, in | |
mehr als zehn Meter Höhe arbeiten, sind angeseilt. Solche Arbeitssicherheit | |
sieht man auf den zahlreichen Hotelbaustellen in der Innenstadt von Doha | |
nicht. | |
Auf der Stadionbaustelle wimmelt auch von Sicherheitshinweisen. Selbst in | |
der Kantine geht die Agitation weiter: für gesunde Ernährung und adäquate | |
Kleidung beim Essen. Zuweilen fühlt man sich wie in einem Internat. Nur der | |
Computerraum wirkt arg low cost – immerhin, es gibt ihn. | |
All diese Infrastruktur kostet natürlich. Auf den Musterbaustellen leistet | |
sich das Organisationskomitee diese Ausgaben. In der nahen Stadt al-Chaur | |
selbst, etwa eine halbe Stunde nördlich der Hauptstadt Doha, sieht die | |
Situation anders aus. Ein Zimmer auf dem freien Markt kostet hier etwa den | |
Monatslohn eines Arbeiters. Und Firmen, die den Arbeitern Unterkünfte | |
stellen, ziehen dafür oft ein Viertel bis ein Fünftel des Lohns ab. | |
Daher trifft man in al-Chaur oft Männer, die zu acht oder zehnt in einem | |
Raum schlafen und ein Bed-Sharing-Prinzip eingeführt haben: Die Tagschicht | |
schläft nachts, die Nachtschicht tagsüber. So können die Arbeitsmigranten | |
aus Indien, Nepal, Pakistan, Sri Lanka oder den Philippinen mehr Geld nach | |
Hause schicken. | |
## Kaum Freizügigkeit | |
Eher verschämt nur beklagen sie sich deshalb über die Bedingungen. Ein | |
großes Ärgernis stellt die geringe Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt dar. | |
„Wir können uns zwar um andere Jobs bemühen. Doch selbst wenn uns ein neuer | |
Arbeitgeber einstellen will, brauchen wir noch die Genehmigung vom alten | |
Arbeitgeber“, erzählt ein philippinischer Arbeiter. Mehr als zehn Jahre ist | |
er schon in Doha tätig. „Nur etwa ein Viertel dieser Anträge werden von den | |
alten Arbeitgebern positiv entschieden“, hat er beobachtet. | |
Besserung verspricht eine Änderung des Arbeitsgesetzes. Ab Dezember soll | |
nicht mehr der alte Arbeitgeber, sondern das Innenministerium die Freigabe | |
erteilen. Nasser al-Khater wirbt um Verständnis, wenn auch dann nicht alles | |
sofort besser würde: „Ein Gesetz zu machen, dauert so lange, wie ein Haus | |
zu bauen. Die Mentalität ändert sich noch langsamer als ein Gesetz.“ | |
Und ohne Druck von außen ändern sich in Katar weder Gesetze noch | |
Mentalitäten. | |
26 Oct 2016 | |
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[1] /Bericht-von-Amnesty-International/!5291322 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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