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# taz.de -- Journalisten-Preis Raif Badawi Award: Eine Stimme für Flüchtlinge
> Im nordirakischen Flüchtlingssender „Radio Dange Nwe“ führen junge Frau…
> die Regie. Jetzt werden sie für ihre Arbeit ausgezeichnet.
Bild: Der saudische Blogger Raif Badawi wurde wegen islamkritischer Texte zu 10…
Es war eine kleine Revolution: Der Einfluss von radikalen Islamisten, die
jahrelang die Region unsicher gemacht hatten und zwei Jahre zuvor
vertrieben wurden, war noch allgegenwärtig. Frauen verschwanden spätestens
bei Einbruch der Dämmerung aus dem Straßenbild, und auch für Jugendliche
gab es so gut wie kein Angebot, als eine Gruppe von jungen Frauen und
Männern 2005 beschloss, im irakischen Halabdscha einen Radiosender aus der
Taufe zu heben, der sich an Hörerinnen und Hörer wendet wie sie selbst. Und
unabhängig wollten sie sein, kein Parteisender, wie es sonst in der
kurdischen Region im Nordirak üblich ist.
„Die Frauen wünschten sich damals ein eigenes Medium, am liebsten eine
Zeitung“, sagt Thomas von der Osten-Sacken von der deutschen
Hilfsorganisation Wadi. Die Organisation unterstützt in Halabdscha ein
Frauenzentrum, aus dessen Kreis auch das Radio entstand. „Aber eine Zeitung
ist teuer.“ Das Radio habe zudem den Vorteil, dass es interaktiv sei und
auch Analphabeten erreicht.
Zehn Jahre später gibt es „Radio Dange Nwe“, die „Neue Stimme“, immer …
Der Sender ist inzwischen ein fester Bestandteil der irakisch-kurdischen
Medienlandschaft. Anfang dieses Jahres betraten die Radiomacherinnen ein
weiteres Mal Neuland im Irak, indem sie das erste Flüchtlingsradio
gründeten. Tausende von Syrern und Irakern sind vor dem Krieg in ihrem Land
oder den Angriffen der Extremisten des sogenannten Islamischen Staats (IS)
in die Region um Halabdscha am Fuße der Berge geflohen, die sich hier steil
in Richtung der irakisch-iranischen Grenze erheben. Viele, die sich die
Miete für eine einfache Wohnung nicht leisten können, leben in einem der
Flüchtlingslager auf dem Land. Wie das Zielpublikum sind auch die
Moderatorinnen Flüchtlinge: drei junge Frauen aus Syrien und der
westirakischen Provinz Anbar.
„Wenn du selbst ein Flüchtling bist, weißt du, was deine Hörer durchgemacht
haben“, sagt Hevi Izzet Ahmed. Die 27-jährige Kurdin, die einen Abschluss
in Philosophie in der Tasche hat, stammt ursprünglich aus dem syrischen
Kobani (arabisch: Ain al-Arab). Bis zum Ausbruch des Kriegs lebte sie mit
ihrer Familie in Aleppo. Dass sie einmal Radiomoderatorin werden würde,
hätte sie nie gedacht. Gelernt hat sie das Handwerk wie ihre Kolleginnen in
einem Crashkurs. „Ein anderer versteht vermutlich nicht, was es bedeutet,
ein Flüchtling zu sein“, sagt Hevi Izzet Ahmed – und so sieht es auch Hanin
Hassan aus dem westirakischen Falludscha, mit 19 Jahren die Jüngste im
Team. Wenn Hörerinnen sich bei ihr bedankten, dann sei das eine enorme
Bestätigung.
Jeden Vormittag von 9 bis 12 Uhr präsentiert der Sender sein Programm auf
Kurmandschi-Kurdisch und auf Arabisch. Das kommt bei der Stammhörerschaft
nicht unbedingt an. Beide Sprachen verstehen viele nicht – und in den
Arabern sehen viele Kurden Vertreter ihrer ehemaligen Unterdrücker. Im Jahr
1988 fielen Tausende dem Giftgasangriff des Saddam-Regimes zum Opfer, bis
heute leiden viele an den Spätfolgen des Verbrechens. Für die Aktivistinnen
im Frauenzentrum ist es dagegen ihre eigene Erfahrung, die sie motiviert,
sich für die heute Notleidenden einzusetzen. „Wir waren selbst Flüchtlinge
und wären froh gewesen, wenn uns damals jemand unterstützt hätte“, sagt
Hero Ahmed, Leiterin des Frauenzentrums und Überlebende des
Giftgasangriffs. Mit dem Radio, aber auch mit Näh-, Computer-, Sprach- und
Gesundheitskursen, die das Zentrum anbietet, wollen die Aktivistinnen zu
größerem Verständnis und gegenseitiger Akzeptanz zwischen Kurden und
Arabern beitragen.
## Kernproblem ist der Mangel an Freiheit
Außer Nachrichten und Musik bietet der Radiosender Berichte über die ganz
alltäglichen Probleme in den Flüchtlingscamps: Wasser- und Strommangel,
schlechte Straßen oder fehlende Spielplätze. Die Redakteurinnen greifen
aber auch heikle Themen wie häusliche Gewalt und Genitalverstümmelung auf.
Dazu geben sie Frauen Tipps, an wen sie sich wenden können. In einer
Region, die für ihren hohen Anteil an IS-Kämpfern berüchtigt ist, erfordert
das Mut. Dafür wurden die Frauen des Flüchtlingsradios jetzt mit dem „Raif
Badawi Award für mutige Journalisten“ ausgezeichnet.
Der von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung am kommenden Mittwoch in
Frankfurt verliehene Preis erinnert an das Schicksal des saudischen
Bloggers Raif Badawi, der wegen seiner islamkritischen Texte zu zehn Jahren
Haft und tausend Peitschenhieben verurteilt wurde. Bis vor Kurzem wussten
selbst die Journalistinnen von „Dange Nwe“ nur wenig vom Schicksal des
saudischen Bloggers.
Das hat sich mit der Preisverleihung radikal geändert. Stolz stellten sie
sich nach der Bekanntgabe der Auszeichnung mit Schildern vor die
Radiostation, auf denen sie Badawis Freilassung forderten.
Statt dem eigenen Logo prangt auf der Facebook-Seite des Radios jetzt ein
Porträt des Bloggers. Den ganzen Oktober über wollen die Redakteurinnen dem
prominenten Häftling Sondersendungen widmen. Ob in Saudi-Arabien, in Syrien
oder im Irak, das Kernproblem sei überall der Mangel an Freiheit, sagen
sie.
Wie schnell ihre eigene Freiheit endet, müssen Hevi Izzet Ahmed und Hanin
Hassan in diesen Tagen erfahren. Beide können nicht zur Preisverleihung am
19. Oktober auf der Buchmesse in Frankfurt reisen. Die Syrerin Ahmed nicht,
weil sie keinen Pass hat, und Hassan aus Falludscha hat der Vater die Reise
verboten.
Entmutigen lassen wollen sie sich nicht. Sie sei so viel selbstbewusster
als früher, sagt Hassan. Wenn sie nach Falludscha zurückkehre, wolle sie
auch dort ein Bürgerradio aufbauen.
18 Oct 2016
## AUTOREN
Inga Rogg
## TAGS
„Islamischer Staat“ (IS)
Irak
Journalismus
Radiosender
Medien
Hannover
Elbphilharmonie
häusliche Gewalt
Journalismus
Schwerpunkt Neonazis
Newroz
Recep Tayyip Erdoğan
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