| # taz.de -- Zur UN-Megastadtkonferenz: Der Müll, die Stadt und das Leben | |
| > Vor 20 Jahren galt Mexiko City als Moloch, der Menschen kaum Luft zum | |
| > Atmen ließ. Seit ein paar Jahren stellt sich die Stadt ihren | |
| > Umweltproblemen. | |
| Bild: Dicke Luft in Mexiko Stadt, 1997 | |
| Wenn es ein Symbol gibt für das alte Mexiko City, dann war das die Bordo | |
| Poniente, die einst größte Müllkippe der Welt, gelegen an der östliche | |
| Stadtgrenze. 700 Müllwagen luden hier jeden Tag die 13.000 Tonnen Müll ab, | |
| die die wuchernde Metropole produzierte. Über die Jahrzehnte türmten sie | |
| ihn über 20 Meter hoch, fast 80 Millionen Tonnen unsortierte Abfälle, so | |
| chaotisch wie die Stadt selbst. | |
| Der Müll verseuchte das in Mexico City besonders hoch liegende Grundwasser | |
| mit Phosphat und Schwermetallen. Die allein eine Million Einwohner zählende | |
| Vorstadt Nezahualcóyotl lag konstant in einer Wolke stinkender Dämpfe. | |
| In den 80er Jahren war Mexiko City Sinnbild einer urbanen Dystopie. Sie | |
| galt als Moloch, und das zu Recht. Zwischen 1950 und 1990 hatte sich die | |
| Bevölkerung des Landes verdoppelt. Zu Beginn dieser Zeit lebten zwei von | |
| drei Mexikanern auf dem Land, heute wohnen vier von fünf in den Städten. | |
| Das früh dekolonisierte Mexiko war lange mit Kämpfen zwischen der armen | |
| Landbevölkerung und der Bourgeoisie beschäftigt. Die schließlich aus der | |
| Revolution von 1917 hervorgegangene „Partei der Institutionalisierten | |
| Revolution“ verzeichnete ab den 1940er Jahren wachsende Öleinnahmen und | |
| finanzierte damit die Industrialisierung des Landes. Die neuen Anlagen | |
| konzentrierte sie vorzugsweise in ihrem unmittelbaren Einflussbereich – der | |
| Hauptstadt. | |
| Mexiko City wurde so vorübergehend zur größten Stadt der Welt. Wie groß | |
| genau, das wusste keiner, die Armen zählte niemand. Von denen kamen immer | |
| mehr, doch nicht alle blieben arm. Sie bauten Häuser. 1950 teilten sich 5,5 | |
| Menschen in der Stadt ein Haus oder eine Wohnung, heute sind es 3,5. Die | |
| Wege wurden dadurch länger, also kauften die Menschen Autos, wenn es ging | |
| US-Modelle, mit unmäßigem Durst. Das verbleite Benzin der staatlichen | |
| Ölgesellschaft Pemex war billig, Katalysatoren gab es bis 1991 nicht. 1950 | |
| waren in der Metropole 100.000 Autos zugelassen, 1994 waren es schon 4 | |
| Millionen. | |
| ## Die schlechteste Luft der Welt | |
| Die Stadt liegt in einem 2.300 Meter hohen Kessel voll dünner Luft, | |
| beschienen von viel Sonne, deren UV-Strahlen die Stickoxide und | |
| Kohlenwasserstoffe der Abgase zu Smog verkochen. Das Ergebnis war die in | |
| den 1980er Jahren schlechteste Luft der Welt. War man ein paar Stunden zu | |
| Fuß unterwegs, war man danach erledigt, geplagt von Kopfschmerzen und | |
| leichter Übelkeit. | |
| An Umweltgesetze dachte niemand, dafür wuchs die Zahl der Stadtautobahnen, | |
| auf denen sich täglich zur Rushhour der Verkehr zu gigantischen, | |
| stundenlangen Staus verdickte. Das ÖPNV-System war trotz des Baus einiger | |
| U-Bahn-Linien eine Katastrophe. | |
| Die Globalisierung und eine neue konservative Regierung, begünstigte ab | |
| 2000 das Wachstum weiterer industrieller Zentren im Norden des Landes. Die | |
| Landflucht war weitgehend abgeschlossen, die Bevölkerungszahl stagnierte | |
| seit Beginn des Jahrtausends bei gut 21 Millionen. Statt unterfinanziert | |
| dem millionenfachen Zuzug prekärer Landflüchtlinge zusehen zu müssen, | |
| konnte die Stadt nun nach und nach ihre Infrastruktur anpassen. | |
| Die Schwerindustrie rund um die Hauptstadt wurde mit Steuervergünstigungen | |
| verlagert und Umweltauflagen unterworfen. Pemex bietet heute kein | |
| verbleites Benzin mehr an. Der Import japanischer Kleinwagen mit Kat hat | |
| den Schadstoffausstoß drastisch gesenkt. | |
| ## Gigantische schadstoffarme Metrobusse | |
| In den schicken, zentralen Altbaustadtteilen wie Roma hat die Stadt | |
| massenhaft Leihfahrradstationen aufgestellt, gigantische schadstoffarme | |
| Metrobusse fahren im Minutentakt auf eigenen Schneisen durch die Stadt, das | |
| U-Bahn-Netz wurde ergänzt mit einem Zubringersystem von Kleinbussen, die | |
| nun auch die weit außerhalb liegenden Vorstädte erreichen. Und doch musste | |
| die Stadtverwaltung Anfang des Jahres wegen hoher Smogwerte vorübergehend | |
| eine Million der rund 4,7 Millionen Autos stilllegen. | |
| Und die Bordo Poniente? Heute recycelt Mexiko City 60 Prozent seines Mülls. | |
| Statt 13.000 wie noch vor zehn Jahren fallen täglich nicht einmal mehr | |
| 6.000 Tonnen an, die auf neue dezentrale, halbwegs umweltgerechte Deponien | |
| verteilt werden. Der Umweltingenieur Ramon Gaudarrama wurde von der Stadt | |
| beauftragt, auf der stillgelegten Deponie eine Biogasanlage zu errichten. | |
| 60 Megawatt vergleichsweise sauberen Stroms sollen so gewonnen werden. | |
| Vorher muss er das kontaminierte Wasser aus der Deponie abpumpen und | |
| reinigen. Bis 2020, schätzt Gaudarrama, wird das dauern. Am Ende, sagt er | |
| der taz, „wollen wir das Ganze als Park zurücklassen“. Künstliche Seen, | |
| Vögel, Fußballfelder, so stellt er sich das vor. „Wir waren ein | |
| Entwicklungsland in Sachen Umweltschutz“, sagt Gaudarrama. Aber es gibt | |
| einen Bewusstseinswandel, und den werden wir vorantreiben.“ | |
| 17 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
| ## TAGS | |
| Luftverschmutzung | |
| Metropolen | |
| Mexiko Stadt | |
| Müll | |
| Smog | |
| Mumbai | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Müll-Katastrophe in Sri Lanka: 26 Tote und hunderte Obdachlose | |
| Beim Einsturz einer Müllkippe am Stadtrand von Colombo sind mindestens 26 | |
| Menschen gestorben. 1700 Menschen wurden in Notunterkünften untergebracht. | |
| Starke Einschränkungen für Autofahrer: Smogalarm in Madrid | |
| Das hat es in Spanien noch nicht gegeben: Wegen Smog müssen in Madrid alle | |
| Autos mit einer geraden Zahl auf dem Nummernschild stehenbleiben. | |
| Zur UN-Megastadtkonferenz: Die Unbewohnbare | |
| Smog, Zersiedelung und Autoverkehr machen Peking zu schaffen. Nun setzt die | |
| Stadtverwaltung auf Dezentralisierung. | |
| Gentrifizierung auf indisch: Letzter Mann im Dorf | |
| In Mumbai verschwindet mit dem Bauboom nicht nur die historische | |
| Architektur. Der Abriss alter Häuser beendet auch die Kultur der East | |
| Indian Catholics. | |
| Im Wasserslum von Lagos: Angriff auf das Venedig Afrikas | |
| Mitten in der Megacity Lagos leben 100.000 Menschen im „Wasserslum“ Makoko, | |
| ein gemütliches Labyrinth von Holzhütten unter der Autobahn. Jetzt beginnt | |
| der Abriss. | |
| Weltbevölkerung: Dem Ansturm nicht gewachsen | |
| 150 Millionen Menschen leben in Nigeria, so viel wie in keinem anderen Land | |
| Afrikas. In der Megacity Lagos zeigt sich bereits, wie das Wachstum das | |
| Leben verändert. | |
| Umweltprobleme in Mexiko-Stadt: Auf der Schwelle zum Kollaps | |
| Mexiko-Stadt war mal die giftigste Stadt der Welt. Heute hat sie ein | |
| ehrgeiziges Umweltprogramm. Doch die Stadt wächst rasant weiter und damit | |
| wachsen auch ihre Probleme. | |
| Industriestädte in Nordost-China: Wandel à la Ruhrpott | |
| In Dongbei wird eine Megacity für 22 Millionen Einwohner geplant – viermal | |
| so groß wie das Ruhrgebiet. |