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# taz.de -- Umweltprobleme in Mexiko-Stadt: Auf der Schwelle zum Kollaps
> Mexiko-Stadt war mal die giftigste Stadt der Welt. Heute hat sie ein
> ehrgeiziges Umweltprogramm. Doch die Stadt wächst rasant weiter und damit
> wachsen auch ihre Probleme.
Bild: Ein Traum der Fahrradgruppe "Biciteka": das abgewrackte Auto.
MEXIKO-STADT taz | Der Blick über die größte Müllkippe der Welt reicht bis
zum Horizont. Kilometerweit Sand und Erde, Kräuter, Traktorspuren: Bordo
Poniente sieht mehr aus wie eine vernachlässigte Wüste als wie ein Ort, an
dem 20 Millionen Menschen ihren Dreck abladen. Nur in der Nähe der beiden
schwer bewachten Eingangstore, wo die fünfzehn Meter mächtige Müllschicht
noch nicht von Sand bedeckt ist, da sieht, hört und riecht man, dass hier
täglich 38.000 Tonnen Plastikmüll, Speisereste, Schutt und Dreck landen.
Über den Müllbergen hängen Schwärme von Vögeln, unten schieben Bagger die
Masse hin und her, dazwischen suchen Menschen nach Verwertbarem. Diese Art
von Kreislaufwirtschaft ist bald vorbei. Denn Bordo Poniente ist voll und
soll in einem Jahr geschlossen werden. Ein großer Sprung für die
mexikanische Hauptstadt. Und immerhin ein kleiner Schritt für den
Klimaschutz.
Denn die riesige Deponie produziert große Mengen des Faulgases Methan, das
bisher einfach abgefackelt oder als potentes Klimagift in die Atmosphäre
entlassen wird. Jetzt soll es aufgefangen werden, in einem Kraftwerk Strom
erzeugen und der Atmosphäre jährlich 1,4 Millionen Tonnen CO2 ersparen. Der
Zeitplan steht, jetzt fehlen nur noch technische Hilfe aus dem Ausland, ein
kapitalkräftiger Investor und staatliche Subventionen.
Und das sagt schon fast alles über das ehrgeizige "Klima-Aktionsprogramm"
von Mexiko-Stadt. Die Megastadt hat in den letzten 20 Jahren einen
dramatischen Wandel hinter sich: Von der giftigsten Stadt der Welt, wo die
Vögel bei Smog tot vom Himmel fielen, zu einer Kommune, die von der
Weltbank als Vorreiter beim Kampf gegen den Klimawandel gelobt wird. Der
Erfolg dabei hängt von zwei Faktoren ab: Bekommt die Stadt ihr wahnwitziges
Wachstum in den Griff? Und bekommt sie genügend Geld aus den
Industrieländern?
Eine Vision des schönen neuen Mexiko hängt im Büro von Martha Delgado. Sie
ist die Umweltministerin von Mexiko-Stadt und blickt aus ihrem Fenster im
Rathaus nicht nur auf den zentralen Platz mit der weltberühmten Kathedrale
aus spanischer Zeit, sondern meist auch in einen schmierig-diesigen Himmel.
Auf dem Foto allerdings zeigt sich die Stadt unter tiefblauem Himmel und
mit den zwei Vulkanen. Und weil das so selten vorkommt, ist das Foto
datiert: 20. Februar 2010. "Wir planen die Revolution", sagt die energische
junge Frau, "denn so kann es nicht weitergehen."
Was sie mit "so" meint, zeigt sich jeden Tag auf den Straßen der Megastadt.
Auf der zentralen Nord-Süd-Achse Avenida Insurgentes drängen sich hupend
auf sechs Spuren Taxis, Minibusse, Baumaschinen, rostige Pick-ups und
bullige Geländewagen. Zwischendrin versuchen Polizisten mit viel Getriller,
das Chaos zu bändigen. Die Menschenmasse schiebt sich an den
Autowerkstätten, Schnellrestaurants, fliegenden Händlern und Schuhputzern
vorbei, auch an grünen Ampeln rasen die Autos noch über den Fußgängerweg.
Die Luft riecht scharf nach Abgasen, immer wieder tragen Menschen
Mundschutz vor dem Gesicht. Eigentlich ist permanent Rushhour.
Doch gerade hier ist auch Delgados Revolution unterwegs: In der Mitte der
Straße rauschen feuerrote Gelenkbusse auf einer eigenen Spur mit eigenen
Bahnhöfen am Stau vorbei. Gut 160 Menschen fasst so ein Metrobus offiziell,
aber niemand zählt, wer sich alles in die vier Türen drängt. Die Luft im
Bus ist an diesem warmen Dezembertag zum Schneiden dick. Die Passagiere
lesen Zeitungen, auf deren Titelseiten geköpfte Mordopfer und brutal
getötete Drogenkuriere zu sehen sind. "Wer es sich leisten kann, der nimmt
das Auto, weil er sich sicherer fühlt", sagt ein Experte.
Trotzdem gehören die "Metrobusse" zum Plan der Stadtverwaltung unter
Bürgermeister Marcelo Ebrard Casaubón, den Verkehr in den Griff zu kriegen.
Denn fast die Hälfte aller Klimagase in Mexiko-Stadt kommen aus dem Auspuff
der 4,5 Millionen Autos. Und Casaubón und Delgado haben versprochen, dass
die Hauptstadt bis 2012 ihre Emissionen um 12 Prozent senken wird.
Der Megastadt brennt der Klimawandel auf den Nägeln: Es ist heute 4 Grad
Celsius wärmer als vor hundert Jahren: 3 Grad, weil die Stadt so schnell
gewachsen ist und überall Stein statt Grün die Hitze speichert, 1 Grad
wegen des Klimawandels; der Regen kommt mehr und heftiger, die Kanalisation
ist überfordert; das Dengue-Fieber, eigentlich an den Küsten und nicht in
der Höhenlage der Hauptstadt verbreitet, hat sich bis auf 100 Kilometer der
Stadt genähert.
Die Entgiftungskur hat Mexiko-Stadt allein geschafft: Die Verwaltung
vertrieb Mitte der neunziger Jahre die Bleischmelzen und die Ölraffinerie
aus der Stadt und verbot verbleites Benzin. Seitdem sanken die
lebensgefährdenden Werte für Schwefel, Blei, Ozon und Feinstaub so weit,
dass es heute wieder einen 10-Kilometer-Lauf in der Innenstadt gibt. Die
Stadtverwaltung verweist stolz darauf, man überschreite die Grenzwerte für
Ozon und Feinstaub nur noch jeden zweiten Tag.
Aber beim Kampf gegen die Klimagase braucht Mexiko Hilfe: Im Metrobus
steckt bereits spanisches Kapital, die Müllkippe wartet noch darauf, und
auch für die Verteilung von Energiesparlampen an eine Million Haushalte
wird noch ein Sponsor gesucht. Weil es vielen Kommunen so geht, hatten
Delgado und Casaubón zwei Wochen vor dem Klimagipfel ihre Kollegen aus der
ganzen Welt eingeladen. Im "Mexico City Pact" forderten Kommunalpolitiker
aus aller Welt direkten Zugriff auf internationale Klimaschutz-Töpfe.
Das Beispiel von Mexiko-Stadt macht eher skeptisch. Denn die Gesamtstadt
wächst immer noch jedes Jahr um 300.000 Menschen und 200.000 Autos. Die
Stadt hat auf der Überholspur nachgemacht, was in den Städten der
Industrieländer in den letzten Jahrzehnten passiert ist: die Industrie aus
der Innenstadt verlagert, die Luftverschmutzung deutlich gesenkt, aber
hilflos vor dem anschwellenden Verkehr kapituliert.
Diese Art der wirtschaftlichen Entwicklung hat aus dem Entwicklungsland
Mexiko ein Schwellenland gemacht, das an der Schwelle zum Kollaps steht.
Selbst bei der Planung für den Klimaschutz ist Mexiko-Stadt schon ähnlich
weit wie viele Partnerstädte in den Industrieländern: ein ehrgeiziges
Programm aufgelegt, die richtigen Maßnahmen benannt - aber bei der
Umsetzung weit hinterher.
All das erklärt gern Rodolfo Lacy, wenn man sich eine Stunde lang die zehn
Kilometer zu seinem Büro am Stadtrand rausgestaut hat. Der Wissenschaftler
am renommierten "Mario Molina Zentrum" blickt aus seinem kühlen, verglasten
Büroturm auf den Smog der Hauptstadt.
Die Distanz zum Machtzentrum merkt man ihm an: "Der Klima-Aktionsplan ist
eine tolle Sache", sagt er, "aber er wird kein Treibhausgas einsparen."
Denn die Regierung fördere zwar den öffentlichen Verkehr, baut aber auch
neue Umgehungsstraßen und verpasst der Stadtautobahn ein zweites Geschoss.
"Bald sind Wahlen, der Bürgermeister macht sich Hoffnung auf die
Präsidentschaft und will die zahlungskräftige Mittelklasse nicht
verschrecken", sagt Lacy.
Ähnlich gespalten ist auch Areli Carreón. Die Präsidentin der Fahrradgruppe
"Biciteka" steht in ihrer kleinen Werkstatt in der "Central del Pueblo",
einem alten Palast aus der Kolonialzeit, wo jetzt Künstler und Aktivisten
eingezogen sind. Im Norden der historischen Altstadt liegt das Zentrum, an
der Grenze zu einem "wilden Viertel", wo eine Mischung aus Armut, Gewalt
und Drogenmafia das Leben bestimmt.
Die Straßen rund um den zerbröckelnden Palast sind so mit fliegenden
Händlern vollgestopft, dass Autos nur im Schleichtempo durch die plärrenden
CD-Verkäufer, T-Shirt-Buden und Imbissbuden kommen - auch eine Art von
Verkehrsberuhigung. "Zehn Jahre sind wir mit unseren Ideen als Idioten
verlacht worden", sagt Carreón, sie lehnt ihr Fahrrad mit dem Schild "ein
Auto weniger" an die Wand und setzt den Fahrradhelm ab.
"Jetzt ist die Förderung von Fahrrädern und Fußgängern offizielle Politik".
Gleichzeitig ändere sich aber wenig an der Perspektive, Verkehrspolitik
durch die Windschutzscheibe zu betrachten. Die Regierung habe 2007
versprochen, 300 Kilometer Radwege zu bauen, "bis jetzt sind es 4 Kilometer
geworden."
Lacy bescheinigt der Umweltpolitik in der Hauptstadt den
"Cucaracha-Effekt": Denn so wie Kakerlaken in die Ecken huschen, sobald man
Licht macht, so vertreibe die Umweltpolitik im Zentrum die schmutzigen
Firmen, die alten Taxis und die dreckigen Autos nur in die Außenbezirke.
Weil die Regierungschefs von Mexiko-Stadt und Mexiko-Land aber Konkurrenten
um das Präsidialamt sind, gibt es wenig Kooperation. Der Klimaschutz steckt
nicht nur im Stau, sondern auch in den Mühlen der Parteipolitik fest.
Flottmachen soll ihn das Geld. Vom Klimagipfel in Cancún ist in diesen
Tagen in Mexiko-Stadt kaum die Rede. Delgados Klimaspezialisten werden für
einen Tag dorthin fliegen, wenn traditionell um das Schlussdokument
gefeilscht wird. Das aber interessiert die Klimaexperten aus der Hauptstadt
nicht. Sie fahren nach Cancún, weil sie dort eine Regierungsdelegation aus
Italien treffen. Vielleicht hat die ja Geld im Gepäck.
8 Dec 2010
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Mexiko
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