# taz.de -- Im Wasserslum von Lagos: Angriff auf das Venedig Afrikas | |
> Mitten in der Megacity Lagos leben 100.000 Menschen im „Wasserslum“ | |
> Makoko, ein gemütliches Labyrinth von Holzhütten unter der Autobahn. | |
> Jetzt beginnt der Abriss. | |
Bild: Diese Nigerianerin musste mit ihrem Kind ihre Unterkunft in Makoko verlas… | |
LAGOS taz | Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer: Makoko, das | |
Stelzendorf vor der Lagune von Lagos, soll abgerissen werden. Den gut | |
100.000 Einwohnern des berühmten Slumviertels im Herzen der größten | |
afrikanischen Metropole bleiben nur 72 Stunden, um ihr Hab und Gut zu | |
packen. | |
Auch Taiwo Shemede steckt der Schock in allen Gliedern, wenn er an das | |
Schreiben denkt, das die Stadtregierung von Lagos Ende vergangener Woche | |
nach Makoko gebracht hat. Ganz so schlimm, wie befürchtet, ist es dann doch | |
nicht geworden. 40 Häuser wurden bisher abgerissen, erzählt Taiwo Shemede, | |
der in Makoko groß geworden ist. | |
Sie hätten unterhalb einer Hochspannungsleitung gestanden – ein | |
gefährlicher Ort. Ob es bei der Abrissaktion wirklich nur um mehr | |
Sicherheit geht oder Makoko einfach nicht ins Bild der Megacity passt und | |
ganz verschwinden soll, weiß Shemede nicht. „Jetzt haben sie jedenfalls | |
wieder angefangen“, sagt er am Dienstagnachmittag. | |
Wenn Makoko verschwindet, verliert der junge Mann, der gerade sein erstes | |
Studienjahr abgeschlossen hat, seine Heimat. „Hier würde ich gerne später | |
eine Familie gründen“, sagt er und lächelt. Makoko sei ein guter, ein | |
friedlicher Ort. „Wir haben keine Überfälle, aber auch gar keine Polizei.“ | |
Er grinst. Polizisten auf Patrouille im wackligen Kanu wären schwer | |
vorstellbar. | |
## Mit dem Boot zur Kirche | |
Holzboote prägen Makoko ebenso wie die unzähligen kleinen Stelzenhäuser. | |
Sie sind das einzige Verkehrsmittel im Wasserslum von Lagos. Auf ihnen | |
bringen Verkäuferinnen Obst und Gemüse, Reis und Fisch. Kinder werden | |
darauf zur Grundschule gefahren, sonntags geht es so zu einer der kleinen | |
Kirchen. | |
Es ist Alltag für die Menschen – auch für Samuel Hungerun, der einen | |
Frisiersalon betreibt. Über dem großen Spiegel hängt sein | |
Ausbildungszertifikat, vorsichtig in Plastikfolie eingeschweißt. Vor seinem | |
kleinen Laden sind drei Boote festgemacht, die Kunden gehören. | |
„Das Leben hier ist gut“, sagt Samuel Hungerun. Und anderswo in Lagos, | |
irgendwo auf dem Festland? Der Friseur schüttelt den Kopf. Niemals. | |
## Unterhalb der Brücke | |
Umgekehrt ist das wohl genauso. Makoko kennt jeder in Lagos aus der Ferne. | |
Das Viertel liegt unterhalb der Third Mainland Bridge, der gigantischen, | |
von Deutschen gebauten Stadtautobahn, die in einem kilometerlangen Bogen | |
die Inseln Lagos Island und Victoria Island mit dem Festland verbindet. | |
Häufig ist die Brücke verstopft. Hunderttausende Menschen überqueren sie | |
täglich im Schneckentempo und schauen auf den Wasserslum hinunter. Trotzdem | |
verirrt sich kaum jemand hierher. | |
„Die denken doch, wir würden hier in erbärmlichen Hütten leben. Sie halten | |
unser Viertel für schlecht“, sagt Taiwo Shemede, der es sich auf einer | |
kleinen Holzbank bequem gemacht hat. Sie steht vor dem Haus seines Vaters | |
Emmanuell Shemede, der Chief von Makoko, also quasi der Bürgermeister. | |
„Man will, dass wir von hier fortgehen, weil wir nicht mehr ins Bild von | |
Lagos passen. Die Politiker denken, Makoko ist ein Schandfleck, der | |
Besucher aus dem Ausland abstößt“, sagt er wütend. Dabei hätte das riesige | |
Stelzendorf schon immer zu Lagos gehört. | |
„Wir wollen bleiben“, sagt Emmanuell Shemede. Eine Umsiedlung komme auch | |
deshalb nicht in Frage, weil die Männer vom Fischfang leben. Auf dem | |
Festland sei das nicht möglich. Ein Problem gibt es für Taiwo Shemede | |
allerdings: „Die Schulausbildung ist schlecht.“ Er fährt mit dem Kanu zur | |
kleinen Grundschule. Längst nicht alle Kinder haben hier Platz. | |
## „Schwimmende Schule“ | |
Für bessere Bildung will die Heinrich-Böll-Stiftung sorgen, die gerade ein | |
Konzept für eine schwimmende Schule entwickelt hat. Der Architekturentwurf | |
von Kunlé Adeyemi liegt bereits in der Schublade. | |
„Die Schule soll aus Bambus gebaut werden. Außerdem wollen wir regenerative | |
Energien nutzen“, erklärt Monika Umunna, Programmkoordinatorin im | |
Verbindungsbüro der Stiftung in Lagos. „Damit soll den Leuten klargemacht | |
werden, dass ein revolutionäres Umdenken in der Städteplanung notwendig | |
ist.“ | |
Makoko war bisher für viele der letzte Ausweg bei der Suche nach | |
Unterkunft. Lagos platzt aus allen Nähten. Und trotzdem lockt die Megacity | |
jeden Tag tausende Landflüchtlinge an. | |
18 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
## TAGS | |
Nigeria | |
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