# taz.de -- Museumseröffnung in Washington D.C.: 400 Jahre schwarze Geschichte | |
> Das Museum für afroamerikanische Geschichte und Kultur öffnet seine Tore. | |
> Endlich, denn es wurde schon vor über 150 Jahren gefordert. | |
Bild: Dieser Obelisk steht zu Ehren des Sklavenhalters George Washington. Das M… | |
Der Obelisk aus weißem Marmor, der 169 Meter hoch in den Himmel über der | |
US-Hauptstadt ragt, ist nicht mehr allein. Fortan stiehlt ihm ein Nachbar | |
direkt nebenan die Schau. Der optische Kontrast könnte kaum größer sein. | |
Das neue Gebäude ist breit und massiv, seine Fassade aus filigran | |
bearbeiteten Bronzeplatten und Glas lässt es je nach Lichtverhältnissen in | |
unterschiedlich dunklen und immer mysteriösen Brauntönen erscheinen, und es | |
geht fast zwei Dutzend Meter in die Tiefe. Direkt neben dem Obelisken zu | |
Ehren des ersten Präsidenten und Sklavenhalters George Washington würdigt | |
der neue Bau die schwarze Bevölkerung der Nation. | |
„Wir sind keine Last, wir sind kein Fleck, und wir brauchen kein Mitleid – | |
wir sind Amerika“, sagte Barack Obama am Samstag bei der Eröffnung des | |
„Museums für afroamerikanische Geschichte und Kultur“. Anschließend läut… | |
er zusammen mit der 99-jährigen Ruth Bonner, deren Vater als Sklave zur | |
Welt gekommen ist, und ihrer Urenkelin die Glocke der ersten schwarzen | |
Baptistenkirche. | |
In seiner Rede sprach Obama von Sklaverei und Segregation, aber auch von | |
überwundenen Hindernissen und von Jugendbewegungen, die seine Nation | |
bereichert haben. „Die Routinediskriminierungen sind keine uralte | |
Geschichte“, sagte er. | |
Am Ende einer Woche, in der Polizisten erneut schwarze Amerikaner auf der | |
Straße erschossen haben, erwähnte der Präsident in seiner Rede auch Orte | |
gegenwärtiger Aufruhr. Er sprach von Ferguson, wo im Sommer 2014 Proteste | |
nach der Erschießung des unbewaffneten Teenagers Michael Brown dafür | |
sorgten, die Führungsstruktur der Stadt umzukrempeln, und von Charlotte, wo | |
seit vergangener Woche jede Nacht junge Leute wegen der tödlichen | |
Polizeischüsse auf Keith Lamont Scott auf der Straße gehen. | |
## „Race Relations“ sind omnipräsent | |
Tagelang weigerte sich dort die Polizei, ihr Videomaterial von den | |
tödlichen Schüssen zu zeigen. Auch dagegen demonstrierten die Menschen in | |
Charlotte. Am Samstag veröffentlichte die Polizei nun doch die Videos. Sie | |
zeigen, wie der 43-Jährige beim Rückwärtsgehen von vier Schüssen getroffen | |
wurde. Er soll eine Pistole in der Hand gehabt haben – nur deshalb hätten | |
die Beamten auf ihn gezielt. | |
Jedoch berichten Anwohner, dass der Getötete unbewaffnet gewesen sei. Auf | |
den Videoaufnahmen ist keine Waffe in der Hand des Getöteten zu erkennen. | |
Der Vorfall werde weiter untersucht, aber nach aktuellem Stand der Dinge | |
würden die Schützen nicht angeklagt werden, so die Polizei. Der Anwalt der | |
Familie von Keith Lamont Scott sagte, das veröffentlichte Material lasse | |
mehr Fragen offen, als es beantworte. | |
Fast nur in Krisensituationen wie dieser wird über „Race Relations“, also | |
den Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen, gesprochen, dabei ist das | |
Thema omnipräsent. | |
Für den Präsidenten gehörte die Zeremonie zur Eröffnung des „Museums für | |
afroamerikanische Geschichte und Kultur“, sperrig abgekürzt NMAAHC, zu | |
seinem langen Abschied nach fast acht Jahren an der Macht. Für die Nation | |
könnte sie der Anfang einer neuen Auseinandersetzung mit einer ihrer | |
Ur-Sünden und mit deren jahrhundertelanger Verdrängung sein. | |
## Über 100.000 Privatleute unterstützen das Museum | |
Die USA haben sich mit dem neuen Museum schwergetan. Seine Geschichte | |
begann schon vor einem Jahrhundert, als schwarze Veteranen, die im | |
Bürgerkrieg (1861 bis 1865) für die Abschaffung der Sklaverei gekämpft | |
hatten, eine Gedenkstätte für die „Negro Race“ verlangten. 1929 beauftrag… | |
Präsident Calvin Coolidge an seinem letzten Amtstag eine Kommission mit den | |
Vorarbeiten dafür. Doch vier Jahre später löste Franklin D. Roosevelt die | |
Kommission wieder auf – offiziell wegen der Großen Depression. | |
Erst Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts schaffte das Projekt es | |
erneut auf die Tagesordnung im Kongress. Wieder waren es schwarze | |
Politiker, die am Widerstand weißer, konservativer Südstaatler scheiterten. | |
„Wir versuchen fast 400 Jahre unserer Geschichte vor uns zu verstecken“, | |
erklärt John Lewis, demokratischer Abgeordnete aus Georgia und schwarzer | |
Bürgerrechtler an der Seite von Martin Luther King, der seit 1986 für das | |
Museum gekämpft hat: „als würden sie irgendwie verschwinden, wenn wir sie | |
nicht erwähnen“. | |
2003 bekam Lewis die nötige Mehrheit im Kongress und die Unterstützung von | |
Präsident George W. Bush. Der heute 76-jährige Lewis hofft, dass die | |
Besucher des Museums feststellen werden, „dass wir mehr gleich als | |
verschieden sind“. | |
Finanziert wurde der 540-Millionen-Dollar-Bau zur Hälfte aus staatlichen | |
und zur Hälfte aus privaten Mitteln. Nachdem das Museum endlich politisch | |
auf den Weg gebracht war, flogen ihm Sponsoren zu. 100.000 Privatleute – | |
ein größerer Unterstützerkreis als bei jedem anderen Museum des | |
Smithsonian-Instituts. Unter ihnen zwei Superreiche, die afroamerikanische | |
Erfolgsgeschichten verkörpern: die Medienunternehmerin Oprah Winfrey ist | |
mit 21 Millionen Dollar die größte Einzelspenderin und der | |
Private-Equity-Finanzier Robert Smith mit 20 Millionen der zweitgrößte. | |
## Aus Afrikanern verschiedener Stämme wurden „Schwarze“ | |
Im Wahljahr 2016, in dem der republikanische Kandidat Donald Trump mit | |
rassistischen Ressentiments jongliert, ist das Museum auch ein politisches | |
Statement. | |
Die Museumsmacher haben „emotionale Erlebnisräume geschaffen, die zu Tränen | |
rühren und aufrütteln. Im dritten unterirdischen Stockwerk – dem 15. | |
Jahrhundert – wo der chronologische Rundgang beginnt, versetzen Fußfesseln, | |
Peitschen und die Einschätzung eines Geschäftsmanns, der vor einem | |
„verderblichem Rohstoff“ warnt, „der weniger sicher ist als Gold“, die | |
Besucher in die schwarzen Anfänge der Landesgeschichte. | |
In den Räumen geht es nicht nur um die Vorgeschichte der USA, sondern auch | |
um die Bildung europäischer Nationalstaaten, die mit dem transatlatischen | |
Sklavengeschäft reich wurden; um Afrikaner, die vor ihrer Deportation | |
Angehörige verschiedener Stämme waren und danach „Schwarze“ wurden; und um | |
Aufstände, politische Organisation und Fluchthilfebewegungen. | |
Auf einer Rampe nach oben führt der Weg durch die Segregation, die „große | |
Migration“ von den Südstaaten in den Norden, vorbei an Lynch-Szenen und | |
Sitzstreiks in Bussen und in Restaurants bis hin zur formalen | |
Gleichstellung der 60er Jahre und der Wahl des ersten schwarzen | |
Präsidenten. In seinen drei oberirdischen Etagen versucht das Museum, die | |
vielen afroamerikanischen Lebensentwürfe zu zeigen. Dazwischen trägt das | |
Museumsrestaurant Gerichte aus den verschiedenen schwarzen Küchen der USA | |
bei. Sie sind je nach Region süß oder scharf, stärker westafrikanisch oder | |
europäisch beeinflusst. | |
## Ein Gebäude „zwischen zwei Welten“ | |
Die „kulinarische Botschafterin“ des Museums, Carla Hall, nennt die „Race | |
Relations“ in der Küche vorbildhaft für den Rest der Gesellschaft. Denn | |
„während gerade bei Wahlen jeder in seine kleine Gruppe – Rasse, | |
Geschlecht, Religion – eintaucht, ist die Küche der Ort, wo es akzeptiert | |
ist, anders zu sein“. | |
Architekt David Adjaye hat Bronze für die Fassade gewählt, weil das | |
Material sowohl in Westafrika als auch in den Kolonialstädten Charleston | |
und New Orleans benutzt wurde. Der in Tansania geborene Brite wollte das | |
Gebäude „zwischen zwei Welten“ ansiedeln. Er setzt darauf, dass das Museum | |
Schulklassen auf Hauptstadtbesuch anzieht und die Ignoranz über „Race | |
Relations“ verringern wird. Aber die Illusion, dass Trump-Wähler nach einem | |
Museumsbesuch ihre Meinung ändern würden, macht er sich nicht. | |
Mit dem NMAAHC ist die afroamerikanische Geschichte und Kultur offiziell | |
auf der Wiese angekommen, auf der das Land sich selbst darstellt. Die Mall, | |
die sich durch das Zentrum von Washington zieht, endet im Westen mit dem | |
Denkmal für Präsident Lincoln, im Osten mit dem Kongress. Dazwischen stehen | |
Denkmäler für gewonnene und verlorene Kriege (mit dem Vietnamkrieg als | |
vorerst letztem) sowie – in unmittelbarer Nachbarschaft – für | |
Lichtgestalten der US-Geschichte, wie das 2011 eröffnete Martin Luther King | |
Memorial. | |
Rundherum reihen sich das Naturkundemuseum und das Raumfahrtmuseum, seit | |
2004 das an eine Felslandschaft in Arizona erinnernde Museum des „American | |
Indian“ und jetzt auch das NMAAHC. Von den Blöcken, in der Mall, auf denen | |
einst Afrikaner versteigert wurden, von denen manche später beim Bau des | |
Kapitols und des Weißen Hauses mitarbeiten mussten, hat sich das Land weit | |
entfernt. | |
25 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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