# taz.de -- Als Berliner Busfahrer erlebt man was: „Jetzt hör ick uff“ | |
> Axel Schröder war gerne Polizist – bis zur großen Straßenschlacht am | |
> Winterfeldtplatz. Danach ist zur BVG. Jetzt geht er in Ruhestand. Ein | |
> Protokoll. | |
Bild: Früher hat man gesagt: „Du hast doch ne Meise, dann war das geklärt. … | |
„Es reicht, habe ich mir gesagt. 45 Versicherungsjahre haste voll, du | |
kannst in Rente gehen. Und genau das tue ich jetzt – mit 63 Jahren. Das war | |
mein letzter Sommer in dem Job. Am 30. November ist Schluss. | |
Ich war nicht die ganze Zeit bei der BVG. Früher war ich Polizist. Bei | |
einer Einsatzbereitschaft und bei der Zivilfahndung in den 70ern bis Mitte | |
der 80er Jahre. In Berlin war das eine wilde Zeit. Ich war nicht immer | |
angepasst, sag ich mal so. Am Ende hat mich das meinen Job gekostet. | |
Am 13. September 1981 in der Pallasstraße in Schöneberg wurde meine Gruppe | |
aufgeraucht. Der US-Außenminister Alexander Haig war an diesem Tag zu | |
Besuch in Berlin. Im Rathaus Schöneberg sollte er empfangen werden. Rund um | |
den Winterfeldtplatz gab es deshalb eine riesige Straßenschlacht. Der | |
Himmel war schwarz von Steinen, so viele wurden geworfen. | |
Wir waren 100 Beamte. Uns gegenüber standen 4.000 Störer. Wir sollten eine | |
Polizeikette bilden, um sie aufzuhalten. Wir Gruppenführer haben zu unserem | |
Vorgesetzten, dem Bereitschaftsführer, gesagt: Das ist doch völliger | |
Quatsch. Das schaffen wir nicht. Außer, man fängt an zu schießen. | |
Auch ich war Gruppenführer und damit für neun Mann verantwortlich. Ich habe | |
zu meiner Gruppe gesagt: Wenn das hier losgeht – ab in den nächsten | |
Hauseingang. Lasst die rennen. Ich hatte noch nicht ausgesprochen, da ging | |
der Steinhagel los und die Hälfte meiner Leute lag am Boden. Da kam mein | |
Vorgesetzter, der Bereitschaftsführer. Ich sei unfähig, eine Gruppe zu | |
führen, schrie er mich an. Da habe ich ihm eine geschallert. Weil ich gut | |
durchtrainiert war zu der Zeit, fiel er um. Dann – er lag noch am Boden – | |
habe ich ihm meine Pistole und meinen Dienstausweis auf die Brust gelegt | |
und erklärt: „Jetzt hör ick uff.“ | |
## Busfahrer mit Vitamin B | |
Das Ganze hat mich vor Gericht 300 Mark gekostet. Das Verfahren ist | |
eingestellt worden, Körperverletzung im Amt ist ja normalerweise eine | |
Straftat. Ich war also nicht vorbestraft, ich hätte die Polizei nicht | |
verlassen müssen. Aber ich hätte nicht mehr in den Spiegel gucken können, | |
wenn ich geblieben wäre. Meine jungen Kollegen sind richtig verheizt | |
worden. | |
Ein Vierteljahr später bin ich dann bei der BVG Bus gefahren. Das war | |
Vitamin B. Beziehung. Mein Vater war ja auch schon bei der BVG. | |
Normalerweise dauert so was länger. Ich hatte alle Scheine. Nur den | |
P-Schein musste ich noch mal machen, meiner galt ja nur für | |
Polizeifahrzeuge. Dann bin ich knapp sieben Jahre Bus gefahren. Alle Busse: | |
Die 12-Meter-Busse, die Schlenkis, die Doppeldecker. Ich bin nur in Britz | |
gefahren. | |
1992 bin ich schon in den Personalrat gewählt worden. Die Kollegen meinten, | |
das sei nicht die schlechteste Idee. Ich habe den Finger immer dahin | |
gelegt, wo es besonders wehgetan hat. später bin ich dann | |
Gesamtpersonalratsvorstand geworden. Dort war ich zuständig für den | |
Omnibusbereich und die Fahrerinnen und Fahrer. Auch im Aufsichtsrat war ich | |
Mitglied. Bei der BVG gibt es rund 3.000 Busfahrer und 1.300 Busse: 400 | |
Doppeldecker, der Rest sind Schubgelenkbusse oder diese 12 | |
-Meter-Fahrzeuge. In ganz Berlin gibt es 110 Kilometer Busspur. Schon seit | |
20 Jahren ist die Zahl der Kilometer konstant. Fragen Sie mich nicht, warum | |
das so ist. Gemessen an der Größe der Stadt ist das nichts. | |
Ich sitze relativ wenig im Büro. Ich rede sehr viel mit den Kollegen. Mein | |
Sohn ist übrigens auch Busfahrer. Er ist ähnlich gestrickt. Sein | |
Versetzungsgesuch von der Müllerstraße nach Britz hat er damit begründet, | |
er möchte die Familientradition fortsetzen. So erfahre ich aus erster Hand, | |
was an der Basis los ist. | |
Ein guter Busfahrer muss Herz haben und immer einen guten Spruch drauf. Und | |
er muss die Arbeit gerne machen. Das vermisse ich bei vielen jungen | |
Kollegen. Viele sind überqualifiziert und sehen sich nach zwei Jahren nach | |
was anderem um. Auch Unterforderung macht krank. Als ich selber noch Bus | |
gefahren bin, war ich öfter krank. | |
Man ist ständig fremdbestimmt. Der Verkehr hat deutlich zugenommen. Die | |
vielen Baustellen führen permanent zu Staus. Wir stehen mittendrin und | |
können nicht weg. Die Verspätung können die Kollegen nie wieder aufholen. | |
Das geht alles auf Kosten der Pausen. | |
Man ist der Puffer zwischen Fahrgast und Betrieb. Früher wurde den Kollegen | |
immer geglaubt, wenn es Vorfälle auf dem Bus gab. Früher hat man gesagt: | |
„Du hast doch ne Meise.“ – „Du ooch.“ Dann war die Sache geklärt. Gu… | |
heute jemanden schief an, rennt der gleich zum Gericht. | |
An sich ist es nicht schwer, einen Doppeldecker zu fahren. Das Problem ist | |
eher, dass man für alle anderen Verkehrsteilnehmer mitdenken muss. Die | |
Leute an der Haltestelle stehen da und gucken auf ihr Handy, sie überlegen | |
gar nicht, dass der Bus noch einen Spiegel hat. Der kommt wie eine Keule um | |
die Ecke. Wenn die U-Bahn kommt, treten die Leute einen Schritt zurück, | |
beim Bus will jeder der Erste sein. | |
Oder die Radfahrer. Ein ganz normaler Radfahrer, der von A nach B fährt und | |
sich an die Verkehrsregeln hält, ist kein Hindernis. Das Problem sind immer | |
die, die von links und rechts oder sonst woher in den Fahrstreifen des | |
Busses kommen. Die haben keine Vorstellung, dass man bei einem Bus nicht so | |
auf die Bremse treten kann wie bei einem Auto. Sonst stapeln sich die | |
Fahrgäste an der Windschutzscheibe. | |
## Diese Pokémon-Jäger | |
Dieses Ich-Denken wird immer verbreiteter. Von den Pokémon-Jägern gar nicht | |
zu reden. Die laufen mit ihrem Handy über die Straße, ohne zu gucken. Wenn | |
sie einen Pokémon treffen, sind sie vielleicht glücklich, aber wenn sie der | |
Bus trifft, bestimmt nicht. | |
Teilweise hatte ich einen 14-, 15-Stunden-Tag. Meine Ämter habe ich in den | |
letzten zwei Jahren abgebaut, damit sich mein Nachfolger bis zu den | |
Personalratswahlen vernünftig einarbeiten kann. Inzwischen kümmere ich mich | |
nur noch um die Koordination der Busspuren-Betreuer. Als ich am ersten Tag | |
vorzeitig nach Hause kam, hat mich meine Frau gefragt: „Was machst du denn | |
hier?“ Ich sage: „Ich wohne hier.“ Sie: „Aber nicht um diese Zeit.“ | |
Inzwischen bin ich froh, dass es vorbei ist. Einige Kollegen der BVG werden | |
mich bestimmt vermissen – zumindest eine Weile. Ich weiß, wie man ein Feuer | |
ansteckt, aber auch, wie man es austritt. | |
Ich habe mein altes Hobby wieder angefangen. Reiten. Am Scharmützelsee | |
haben wir ein Ferienhaus. Ansonsten wird meine Frau für Betätigung sorgen. | |
Sie wird die Firma „Geh mal. Mach mal“ gründen. Sie ist acht Jahre jünger | |
und darf noch ein bisschen länger als Erzieherin arbeiten. | |
Wenn es diesen Vorfall am Winterfeldtplatz nicht gegeben hätte, wäre ich | |
bestimmt Polizist geblieben. Ich habe immer noch viel Verständnis für die | |
Polizei. Aber das Leben ist halt so. Manche Weichen sind gestellt.“ | |
21 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
## TAGS | |
BVG | |
Polizei Berlin | |
Verkehrspolitik | |
Lesestück Interview | |
Polizei Berlin | |
Polizeieinsatz | |
Fahrrad | |
Volksentscheid Fahrrad | |
Fahrrad | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Graffiti gegen Rad- und Taschendiebe: Die Berliner Polizei sprüht vor Ideen | |
Jetzt greift schon Polizeipräsident Kandt zur Farbdose: Mit Graffiti warnt | |
die Polizei an besonders gefährdeten Orten vor Dieben. | |
Schüsse durch Polizei in Deutschland: Polizei erschoss zehn Menschen | |
In den vergangenen Jahren ist der Polizeidienst gefährlich geworden. Bei | |
vielen Einsätzen hätten Beamte im Dienst schießen dürfen, konnten aber | |
deeskalieren. | |
Fahrrad- und Autoverkehr: Gutscheine für den Schulterblick | |
Viele Städte versuchen, ein besseres Miteinander der Verkehrsteilnehmer zu | |
schaffen. Infrastrukturprojekte reichen dafür nicht. | |
Unterschriften übergeben: Rad-Begehren geht durch die Decke | |
Unglaublich: Die Initiative „Volksentscheid Fahrrad“ hat 105.425 | |
Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt – in weniger als einem | |
Monat. | |
Mit den Busspuren-Betreuern unterwegs: Einfach zugeparkt | |
Zwischen Busfahrern und Radfahrern liegen Welten. Aber sie haben ein | |
gemeinsames Problem: Autofahrer, die ihnen die Spur blockieren. |